Evangelienkommentar 4. Sonntag der Osterzeit (Joh 10, 27–30)
(rb–8.5.2022) / Der Kommentar zum heutigen Evangelium kommt von Br. Thomas Hessler OSB, Leiter des Europaklosters Gut Aich in St. Gilgen.
Unterscheiden verbindet
Die Unterschiedlichkeit (Diversität) wird heute als wesentliche Grundlage für stabile und dauerhafte Ökosysteme angesehen. Je unterschiedlicher die Arten sind, umso krisenbeständiger sind sie.
Das erlebe ich täglich bei unseren Hühnern hier im Kloster.
Sie sind sehr, sehr unterschiedlich. Nicht nur nach der Art ihrer Herkunft (es sind keine klassischen Legehühner), sondern auch in ihrer Persönlichkeit. Die eine forsch und unternehmenslustig, die andere schüchtern und scheu, die nächste ruhig und besonnen und wieder eine andere kämpferisch und furchtlos.
Menschen, die differenzieren, - das heißt unterscheiden können, sind verbindlich.
Gerade durch diese Unterschiedlichkeit ergänzen sie sich und bilden eine Einheit, ein buntes Miteinander und kein graues Einerlei. Bei uns Mönchen ist es genauso.
Der hl. Benedikt schreibt über den Abt: „Er muss die Fähigkeit haben, der Eigenart vieler zu dienen.“ Diese Eigenart – nicht der Eigensinn – ist die Grundlage, damit Beziehung zu sich selbst und zur anderen/zum anderen möglich wird. „Denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind.“ (Joh 17,22) Die „Unterschiedlichkeit“ zwischen der Schöpferwirklichkeit GOTTES (zu der Jesus „Abba, Papa“ sagt) und Jesus dem CHRISTUS verbindet. Sie ermöglichen ein In-Beziehung-Sein und lässt Verbundenheit erahnen. Diese wird so spürbar in den Abschiedsreden im Johannesevangelium. Und noch etwas: Menschen, die sehr differenziert sind in ihrem Denken, Reden und Handeln, die gut unterscheiden können, sind sehr verbindliche und verbindende Menschen. Sie sind offen und sie haben viele Anknüpfungspunkte.
Es sind Menschen, die die Einheit fördern, weil sie die Unterschiedlichkeit achten und beachten.
Dieser Text ist im Rupertusblatt (Nr. 18/2022) erschienen. >>> Hier können Sie unsere Wochenzeitung abonnieren.
