Winkler: "Schwarz-Weiß-Denken funktioniert nur bei Extremisten"
KLAGENFURT (kap)/ Als "ausgesprochen prekär" hat der Salzburger Ostkirchenexperte Prof. Dietmar Winkler die Lage der Christen im Heiligen Land bezeichnet. "Es gibt palästinensische Christinnen und Christen, die sind zum Beispiel im Gazastreifen oder in Galiläa, sie können israelische Staatsbürger sein oder auch nicht", so Winkler im Interview mit der Kärntner Kirchenzeitung "Sonntag" (aktuelle Ausgabe). Schwarz-Weiß-Denken funktioniere jedenfalls nicht. Nachsatz: "Das funktioniert nur bei Extremisten, sowohl auf Seiten der Hamas als auch bei den Israelis." Und: "Menschen wollen in Frieden leben. Was in Israel passiert, trägt nicht dazu bei."
Winkler gab aber auch zu bedenken, dass die Grausamkeit des Anschlags vom 7. Oktober 2023 gar nicht umfassend in die Öffentlichkeit gekommen sei, "weil man solche furchtbaren Bilder nicht zeigen will". Israel halte sich an den Medienkodex. "Würde man die Bilder veröffentlichen, dann würde die Öffentlichkeit anders reagieren", so Winkler. Israel habe völlig unbestritten Selbstverteidigungsrechte, "aber irgendwann muss man den Schritt zum Frieden wagen".
Wenn in einer Region Ruhe einkehrt und man am ökonomischen und politischen Prozess und der Gesellschaft innerhalb eines Staates teilnehmen kann, dann stabilisiere sich die Situation auch für das Christentum vor Ort sofort, so der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg: "Wir erleben das zur Zeit im Nordirak, wo die kurdische Autonomiebehörde den Staat zu stabilisieren versucht. Aber wenn keine Stabilität gegeben ist, dann kommt es zur Flucht." Hilfsprojekte seien immer nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, "denn im Prinzip muss es eine politische Lösung geben, die wir im Westen nur unterstützen und einmahnen können".
Winkler ist Mitglied der offiziellen Gemeinsamen Internationalen Kommission für den theologischen Dialog zwischen der Katholischen Kirche und den Orientalisch-Orthodoxen Kirchen. Zudem ist er Vorsitzender der Salzburger Pro Oriente-Sektion und leitet die "Pro Oriente Kommission für Ökumenische Begegnung zwischen den Orientalisch-Orthodoxen Kirchen und der Katholischen Kirche" (CEE) sowie die Kommission "Forum Syriacum". Gegenüber dem "Sonntag" unterstrich er, dass das Wichtigste das gegenseitige Vertrauen sei. "Wenn man miteinander im Gespräch ist, dann muss man einander vertrauen können. Und wenn man dem anderen vertraut, dann hört man ihm besser zu."
Ohne Vertrauen funktioniert Dialog nicht, so der Ökumene-Experte: "Und das ist jetzt keine Frage von unten nach oben oder von oben nach unten, sondern das muss schräg und quer durchgehen. Weil jeder Ökumeniker hat innerhalb der eigenen Kirche auch so seine Schwierigkeiten, die Ökumene zu kommunizieren." Man fühle sich "manchmal mit jemandem von der anderen Kirche enger verbunden als mit jemandem von der eigenen Kirche".
Winkler hob zudem hervor, "dass das Christentum von Anfang an plural war". Die vier Evangelien zeigten schon unterschiedliche theologische Richtungen. Das Christentum habe sich gleichzeitig Richtung Ost und West ausgebreitet, "daher hat es von Anfang an je nach der Region Unterschiede gegeben". Und: "Wenn ich das weiß, dann kann ich entspannter diskutieren."
In manchen innerkirchlichen Diskussionen herrsche heute eher Rechthaberei statt Offenheit und Hinhören. Man beharre gerne auf dem eigenen Standpunkt und sage: "Dieses und jenes war schon immer so, da kann man nichts machen." - In vielen Fällen stimme das einfach nicht, so Winkler: "Als Historiker kann man so eine Herangehensweise schwer aushalten - gerade weil es von Anfang an im Christentum bei vielen Themen unterschiedliche Zugänge gab. (...) Wenn man sich die frühen Theologen ansieht, dann würde man aus heutiger Sicht über manchen Kirchenvater sagen: Der ist eigentlich nicht rechtgläubig."