Ärzte-Tagung über „modernes Sterben“ und Sterbehilfe

SALZBURG (eds-10.10.2020) / „Eine Medizin, die meint, alles planen und sogar das Ende bestimmen zu können, hat nicht mehr den Gegebenheitscharakter des Lebens im Blick, zu dessen Wesen es gehört, ein Ende zu haben, sondern die perfekt einstellbare Maschine.“ Das sagte Erzbischof Franz Lackner zu Beginn der Tagung „Modernes Sterben - Aufgaben und Grenzen der Medizin am Lebensende“ gestern Abend im Salzburger Congress. Von 9. bis 10. Oktober trafen dort auf Einladung des Salzburger Ärzteforums Ärzte, Ethiker, Vertreter von Politik und Gesellschaft zusammen, um über das brisante Thema der aktiven Sterbehilfe und Suizidbeihilfe, zu dem in Österreich ein Spruch des Verfassungsgerichts in den nächsten Wochen erwartet wird, zu diskutieren. Von Seiten der Politik waren u.a. Landeshauptmann Wilfried Haslauer und Bundesratspräsidentin Andrea Eder-Gitschthaler zu Gast, die sich für eine Beibehaltung der derzeitigen Gesetzeslage aussprachen.
Lackner: Palliativmedizin kann viel leisten
Im modernen Machbarkeitsdenken werde das Sterben nicht mehr als Gegebenes betrachtet, sondern immer differenzierter gelenkt und kontrolliert, unterstrich Erzbischof Lackner in seinem Grußwort. Anfang und Ende des Lebens dürften hingegen „nicht rein innerweltlich abgehandelt werden - sie weisen in eine andere Wirklichkeit hinein.“ Die Errungenschaften der Palliativmedizin, medizinische Hilfe und Pflege könne bis zu dieser Grenze am Lebensende viel leisten. „Ein Rest bleibt“, der dem Leben geschuldet sei, der zugleich auch eine letzte Ohnmacht berge.
Di Fabio: Erleben Verschiebung im Würdeverständnis und Menschenbild unserer westlichen Demokratie
Im Anschluss hielt Udo di Fabio, früherer Richter am deutschen Bundesverfassungsgericht, den ersten Hauptvortrag. Menschenwürde als Maßstab für gesellschaftliche und wissenschaftliche Entscheidungen ist in der gegenwärtigen Zeit aufgrund eines einseitig und eindimensionalen Verständnisses von Willensfreiheit gefährdet, utilitaristisch gebraucht zu werden. Das war eine der Hauptthesen des Staatsrechtlers. Als Grundlage des Rechtsstaats galt laut Di Fabio lange die Annahme: „Im Schutz der Würde des Einzelnen findet eine ganze Gemeinschaft ihre normative Grundlage“. Die Subjektformel: „Der Mensch geht seines Menschseins nicht verlustig“ wurde durch Christentum und Naturrecht gefestigt. Durch Aufklärung und Moderne jedoch trat die vernunftbetonte Rationalisierung des Willens als mächtiges Pendant der Religion gegenüber, so di Fabio. „Das christliche Erbe – im Kulturkampf attackiert und schließlich bezwungen – fehlt nun als Gegenüber zur eindimensionale Vorstellung der Aufklärung von Selbstbestimmung“, konstatierte der Deutsche.
Der Fortschritt der Medizin, die Angst des Menschen vor körperlichen Siechtum und davor, in Pflege „verwaltet“ zu werden, lässt Leiden nur mehr von außen, von Technik, Fortschritt und Medizin beurteilbar erscheinen, so die Fabio. Diese Faktenlage zwinge zur Frage: „Gibt es dadurch eine tektonische Verschiebung im Würdeverständnis und Menschenbild unserer westlichen Demokratie?“ Die Umwertung von Würde und Subjetstellung hänge in jedem Fall vom Verblassen und Verdunsten der religiösen und ethischen Basis ab, sagte der Deutsche. „Aber das Verblassen des großen Antipoden Glaube und Kirche ist kein Sieg der Aufklärung, sondern Verlust. Es ist ein Abstürzen in eine technisch utilitaristische Eindimensionalität“ resümierte der Jurist.
Di Fabios Plädoyer: „Die Würde des Menschen verlangt den Respekt vor dem Willen des Einzelnen und die Vorsorge gegen die Gefahren eines technischen Utilitarismus, wo Menschen Opfer eines allein durch die Vernunft gefügten Rechts werden.“ Das heiße: „Aus der Würde des Menschen kann kein Anspruch auf gutes Leben und schmerzloses Sterben durch den Staat gewährleistet werden“, ansonsten agiere er paternalistisch; und: die Gesellschaft der Selbstbestimmten verfüge nicht über das Schicksal des Einzelnen. Eine humane Gesellschaft, bekräftigte der Jurist, „will nicht den raschen Tod, sondern vermehrt die Anstrengungen für Vorsorge und Begleitung“ des Kranken.
De Boer: „Sterbehilfe wird immer mehr eine Option um schreckliches Leben zu beenden, anstatt schreckliches Sterben zu verhindern“
Am Samstag referierte der niederländische Gesundheitsethiker Theo Boer über die Situation in seinem Heimatland. Die Inanspruchnahme von Euthanasie und Sterbehilfeoption steigt in den Niederlanden seit 2002 deutlich an. Der Anstieg dieser Zahlen ließ de Boer, der bei Einführung der Sterbehilfe noch Fürsprecher für die Gesetzesänderung war, kritisch werden. Zudem seien von den ca. 70.000 Fällen in den letzten 17 Jahren lediglich 11 Fälle abgelehnt worden, das müsse nachdenklich stimmen.
Eine der problematischen Entwicklung, so de Boer, sei, „dass es in der Sterbehilfe immer mehr die Tendenz gibt, nicht-medizinische Probleme medizinisch zu lösen“. Eine zentrale These seines Vortrages: „Bei Sterbehilfe handelt es sich nicht mehr, wie zu Beginn der Sterbehilfediskussion in den achtziger und neunziger Jahren um Schmerzlinderung.“ Entscheidende Gründe für die Inanspruchnahme seien stattdessen die Angst vor Bedeutung- und Kontrollverlust.
Zahlen müssen skeptisch machen
Der Ethiker lehne Sterbehilfe in ausweglosen Fällen nicht kategorisch ab, empfinde aber einen Paradigmenwechsel in seinem Heimatland: „Sterbehilfe wird immer mehr eine Option um schreckliches Leben zu beenden anstatt schreckliches Sterben zu verhindern.“De Boer entkräftete zudem das Argument, aktive Sterbehilfe reduziere die Suizidzahlen. „Im Gegenteil, die Zahlen sprechen dagegen“, so der Niederländer. Die Suizidzahlen und Euthanasiezahlen steigen in Holland an. Der Universitätsprofessor bemerkte zudem, den steigenden Druck auf Ärzte, aktive Sterbehilfe zu betreiben. Die Ärzteschaft selber hingegen werde tendenziell skeptischer und zögerlicher in der Ausführung.
Schließlich sah de Boer noch schwierige Entwicklung zur Beschleunigung der aktiven Sterbehilfe und des assistierten Suizids auf sein Heimatland zukommen: Das von einer Regierungspartei unterstütze Programm „Vollendetes Leben“ beinhalte die Einführung des assistierten Suizids für ältere Menschen ab dem 75. Lebensjahr mit nicht medizinisch bedingtem Leiden, mittlerweile sei die Sterbehilfe für Kinder, auch unter 12 Jahren, in Diskussion und die gemeinsame Euthanasie für Ehepaare werde auch zunehmend Thema.
Lebensmüdigkeit: Es braucht Begleitung und Kommunikation
Dr. Thomas Frühwald, Facharzt für Innere Medizin und Geriatrie und Mitglied der Bioethik-Kommission, stellte fest, Lebensmüdigkeit am Ende des Lebens sei in den seltensten Fällen ein medizinisch zu lösendes Problem. Vielmehr gehe es um Begleitung und Kommunikation durch die Pflege und Ärzteschaft, die selbstverständlich Zeit in Anspruch nehme.
Prof. Kurt Schmoller, Professor der Rechtswissenschaften am Fachbereich für Strafrecht der Universität Salzburg referierte in seinem Vortrag: Das deutsche Verfassungsgericht, das den geschäftsmäßig assistierten Suizid straffrei stellte, fasse den Begriff der Autonomie zu weit. Für Österreich plädierte er für den weiteren Schutz vor temporärer Autonomie. Bei einer Rücknahme des Lebensschutzes in Ausnahmefällen seien weitreichende Folgen – auch in anderen rechtlichen Bereichen – zu erwarten. Die Fremdbewertung eines Lebens als wertlos stehe im klaren Widerspruch zum Prinzip der Menschenwürde, so Schmoller.
Susanne Kummer: Ich will sterben heißt nicht töte mich
Die Geschäftsführerin des Ethikinstitutes IMABE, Suanne Kummer, plädierte in ihrem Kommentar in der Debatte wieder mehr Positionen und Argumente der Solidarität mit Alten und kranken Menschen fließen zu lassen. Es gehe darum, „ die Würde des ganzen Lebens und Menschen anstatt Momentaufnahme eines Zustands“ im Blick zu haben. Die entscheidende Frage für die Ethikerin ist deshalb: „Ist es legitim zu töten? Denn sterben müssen alle“. Eine Sprache der Solidarität zu finden, so die Philosophin, helfe in der Sprachlosigkeit, in der Pflege und Medizin stecke, dabei. „Ich will sterben heißt nicht, töte mich“.
Diese Solidarität müsse die Gesellschaft auch auf der Ebene der Beziehung mit den Betroffenen umsetzen: Es gehe um eine Identifikation mit Sterbewillen aber nicht mit Suizidwunsch des Betroffenen. Eine ehrliche und ausgeglichene Selbstbestimmungsdebatte müsse zeigen, dass Menschen nie losgelöst von anderen leben und sterben können. Es gehe um relationale Autonomie anstatt einer überhöhten Selbstbestimmung, erläuterte Kummer, die den Menschen gerade in Fragen von Lebensanfang und Lebensende überfordern.
Foto1: Erzbischof Franz Lackner bei seinem Grußwort