Advent und Lockdown: Telefonseelsorge nun besonders gefordert

SALZBURG (eds) / In der Pandemie ziehen sich Gräben durch die Gesellschaft. Das merkt das Team von Telefonseelsorge und kids-line genau. „Es steigt die Suche nach so genannten Schuldigen. Ein Bruch geht durch Beziehungen und Familien. Er droht, uns zu spalten“, sagt Gerhard Darmann. Er leitet die Telefonseelsorge und die kids-line in der Erzdiözese Salzburg und hat so sein Ohr ganz nahe bei den Sorgen und Nöten der Menschen.
Er spricht sich für ein aufeinander Zugehen aus: „Was jetzt gut täte, wäre ein Mehr an Telefonseelsorge – im Sinne einer gewaltfreien Kommunikation, welche die Bedürfnisse aller Beteiligten achtet und respektiert“, sagt er.
„Jemandem die Schuld geben zu können, diese Strategie ist tief in uns verankert – oft von der Sandkiste an. Man könnte auch bis ,Adam und Eva‘ zurückgehen. Diese Dynamik zeigt sich in vielen Konflikten, die auch davon befeuert wird, dem anderen die Verantwortung für das eigene Befinden zu geben“, erklärt Darmann. Auch bei Erkrankungen, von denen sein Team und er hören, werde nach Gründen gesucht. „Wenn liebe Menschen sterben, quält uns auch die Frage nach dem Warum.“
Klagen können entlasten – Schuldfrage aufnehmen und wandeln
In den Gesprächen der Telefonseelsorge, so berichtet Gerhard Darmann, beklagen die Anrufenden sehr oft ihre Situation. „Oder sie beschweren sich über Personen, die ihnen nahestehen. Oder es werden Umstände angeklagt. Das gute Aufnehmen dieser Grundmelodien ist für den Verlauf eines Gesprächs sehr bedeutsam.“
Erfahrungswerte der Telefonseelsorge zeigen: Förderlich in diesem Prozess ist, nicht zu viel und nicht zu schnell etwas zu wollen. Das bedeutet die Wertschätzung der ganz kleinen Schritte und ein Lob auf die Langsamkeit. „Wenn jemand etwa sehr traurig ist, wäre es wenig hilfreich, die Person vorschnell auf ,die bunte Wiese‘ führen zu wollen. Veränderung kann beginnen, wenn wir die Menschen so annehmen, wie sie sind.“ Auch die Frage „Wer hat Schuld“ könne sich in diesem Prozess verwandeln – und zwar zu der Einsicht, selber (mehr) gestalten oder verändern zu können.
Das Herz sind die Ehrenamtlichen
Damit der Dienst der Telefonseelsorge geleistet werden kann, braucht es ein großes Team an ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen. Mit dem Stichtag 1. 12. 2021 sind es 132 Personen. Sie gliedern sich wie folgt:
86 in der TS Salzburg (7 davon sind zur Zeit karenziert)
18 in der TS Pinzgau / Außenstelle Zell am See
12 in der TS Lungau / Außenstelle Tamsweg
16 in der laufenden Ausbildung 2021-2023
15 der 132 Personen sind auch in der Mail- und Chatberatung der Telefonseelsorge Österreich tätig. Dazu kommen noch 60 Personen, die in der kids-line arbeiten.
Weitere Aufgaben der Telefonseelsorge
- Das Team hört täglich von Einsamkeit als Begleiterin von vielen Menschen, nicht nur von den Alleinlebenden.
- Psychische Erkrankungen und ihre Auswirkungen auf das engste Umfeld der Betroffenen sind Thema.
- Konflikte in Beziehungen und Partnerschaften und dem Zusammenleben der Generationen kommen zur Sprache.
Für nicht wenige Personen ist es wichtig zu wissen, dass sie sich immer wieder bei der Telefonseelsorge melden können und in ihr einen Anker haben.
Das Motto: „Sprich’s und schreib’s dir von der Seele – Tag und Nacht“: Die Kernaufgabe der Telefonseelsorge ist, bei Tag und bei Nacht für Gespräche bereit zu sein. Der Notrufstatus der Telefonseelsorge erfordert einen lückenlosen Dienst, 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag. Leiter Darmann: „Da gilt es alle Kräfte zu bündeln, damit diese Erreichbarkeit immer wieder gewährleistet werden kann. Die Telefonseelsorge bietet ein offenes Ohr für die Sorgen der Menschen. Sie leistet psychosoziale Begleitung für Menschen, die nicht unbedingt auf der Sonnseite des Lebens angesiedelt sind.“
Online-Beratung in Kooperation mit der Telefonseelsorge Österreich: Die Telefonseelsorge Salzburg unterstützt die Mail- und Chatberatung, die gemeinsam mit der Telefonseelsorge Österreich organisiert und durchgeführt wird. Wer sich die Sorgen von der Seele schreiben will, ist hier gut aufgehoben.
Supervision: Die Mitarbeiter*innen dürfen mit den belastenden Erfahrungen aus den Diensten nicht alleinbleiben. Die Supervision in der Gruppe stärkt die Mitarbeiter*innen in ihrem Dienst, sie finden Möglichkeiten der Entlastung, der Bearbeitung und Begleitung, digital und analog.
Ausbildung zur Mitarbeit: Die zweijährige Ausbildung bildet die Grundlage für die Mitarbeit in der Telefonseelsorge und kids-line. Im Juni 2021 wurde die Ausbildung 2019-2021 von 15 Teilnehmer*innen abgeschlossen. Im Oktober 2021 startete die neue Ausbildung 2021-2023 mit 16 Teilnehmer*innen.
„Upgrade für Mail- und Chatberatung“: Von Jänner bis Juni 2022 findet im Rahmen der Telefonseelsorge Österreich ein „Upgrade“ zur Mitarbeit in der Mail- und Chatberatung bei der Telefonseelsorge Österreich statt.
Wunsch nach Begleitung: „Was in der kids-line auffällt ist der große Wunsch nach regelmäßiger Stützung und Begleitung und die Sehnsucht nach stabilen, erwachsenen Bezugspersonen, “ sagt Katja Schweitzer, Koordinatorin der kids-line. „Probleme in der Familie und Suizidgedanken bilden einen thematischen Schwerpunkt in der kids-line-Beratung“, erklärt sie weiter.
Gewalt in der gewaltfreien Stadt: In dieser Plakataktion der Stadt Salzburg ist kids-line eine der niedrigschwelligen Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche.
Die Themen der kids-line
- Sehnsucht nach Beziehung, Nähe
- Eskalationen und Beziehungsarmut in Familie
- Gefühle der Sinnlosigkeit und Hoffnungslosigkeit
- Seismograph nimmt gestiegene Suizidalität wahr
Tendenzen in kids-line und Chatberatung: In der kids-line hat sich seit 2017 neben der Telefonberatung die kids-line Chatberatung etabliert. Kinder ab acht oder neun Jahren melden sich im Chat. Die Chatberatung ist ein zeitgemäßes Angebot, das ohne jede Werbung floriert und angenommen wird.
Das Telefon dient als Medium für lange Gespräche bei psychischen Problemen. Es wird verstärkt von den Jugendlichen (ab 14 Jahren) in Anspruch genommen. Die noch jüngere Generation bewegt sich lieber im Chat.
Die Dienste der Chatberatung sind doppelt bzw. dreifach besetzt. Auch die Beratungszeit in der kids-line hat zugenommen. Ohne die Vergrößerung des ehrenamtlichen kids-line Beratungsteams wäre die große Nachfrage der kids-line nicht zu bewältigen. Will heißen: Das ehrenamtliche Team der kids-line hat sich im Zeitraum von 2019-2021 verdoppelt. Klar ist auch: Ehrenamtliche Tätigkeit braucht auch die Unterstützung durch hauptamtliche Begleitung.
Das kids-line-Beratungsteam: Es wirken insgesamt ca. 60 Personen in der kids-line Telefon- und Chatberatung mit. Rund 40 davon sind bereits länger aktiv und bilden den Kern des kids-line-Teams. Das Team der kids-line darf von Praktikant*innen und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen profitieren.
Vom Bundesministerium anerkannt: Die Telefonseelsorge und kids-line Salzburg sind vom Bundesministerium als Praktikumseinrichtungen für das psychotherapeutische Propädeutikum und für das psychotherapeutische Fachspezifikum anerkannt.
Organisation und Durchführung: kids-line ist eine Einrichtung des Landes Salzburg. Seit 1999 kann man bei kids-line unter 0800 234 123 anrufen. Die Organisation und Durchführung liegen bei der Telefonseelsorge. Finanzielle Unterstützung kommt auch von der Stadt Salzburg sowie von der Erzdiözese Salzburg. Chatten mit kids-line ist seit 2017 möglich.
Die Telefonseelsorge wurde 1978 als Telefonseelsorge der katholischen und evangelischen Kirche Salzburgs gegründet. 1998 kamen regionale Außenstellen in Zell am See und in Tamsweg dazu. Seit 1998 ist die Telefonseelsorge über den gebührenfreien Notruf erreichbar.
Seit 2012 wirkt Salzburg in der Mailberatung und seit 2016 in der Chatberatung der Telefonseelsorge Österreich mit.