Evangelienkommentar 15. Sonntag im Jarheskreis (Lk 10, 25–37)
(rb–15.7.2022) / Der Kommentar zum heutigen Evangelium kommt von Paul Oswald Faulhaber, Zeremoniär und Referent des Erzbischofs.
Wie werde ich zum Nächsten?
Heute ist es wohl eher die Frage „Wer ist mein Nächster?“, mit der andere auf die Probe gestellt werden. Angesichts einer Welt globaler Beziehungen und Abhängigkeiten wäre es aber tatsächlich diese Verlegenheitsfrage des Schriftgelehrten, die Jesus – jedoch aus ehrlicher Sorge – vorzutragen ist: Sind meine Nächsten „nur“ die, denen ich täglich physisch begegne? Oder auch die, mit denen ich mich per Videokonferenz verbinde? Sind die Ukrainer, oder vielleicht doch auch die Russen meine Nächsten? Am Ende sogar all jene, von deren Not die täglichen Nachrichten erst gar nicht berichten?
Auf der Ebene des Seins, dem Wesen und Ursprung nach, sind alle unsere Nächsten, weil jede und jeder Einzelne von Gott geschaffen und gewollt ist. In einem Mehr göttlicher Transferleistung ist Gott selbst aus dem Himmel heruntergekommen, hat Paulus die Frohe Botschaft über das Meer gebracht. Das Wort des Mose an Israel gilt nun allen Völkern: „Der Herr wird dir Gutes tun.“ Darauf gründet die universale Geschwisterlichkeit aller Menschen.
Auch in der Gestalt des Wirtes können wir uns wiederfinden. Sorgen wir aber so, dass wir die Rückkehr des Barmherzigen, der immer bereit ist, mehr zu geben, getrost erwarten können.
Das Wissen um diese, in der Gott-Ebenbildlichkeit jedes Menschen gründenden Würde allein ist jedoch unvollständig, wenn es nicht das Handeln prägt – spätestens angesichts von Not auch außerhalb der Komfortzone. Deshalb stellt Jesus die Frage des Schriftgelehrten verändert zurück: „Wer ist der Nächste geworden?“ Wie werde ich zum Nächsten jener, denen ich zwar nie persönlich begegnen werde, von deren Hände Arbeit ich aber alltäglich lebe? Delegation ist dabei nicht verboten – der barmherzige Samariter beauftragt den Wirt mit der Fortführung seiner Sorge um den Verwundeten. Auch in dieser, oft wenig beachteten Gestalt des Wirtes können wir uns wiederfinden, denn wurde uns nicht die Sorge umeinander und um die ganze Schöpfung von Gott selbst anvertraut? Sorgen wir aber so, dass wir die Rückkehr des Barmherzigen, der immer bereit ist, mehr zu geben, getrost erwarten können.
Dieser Text ist im Rupertusblatt (Nr. 27/2022) erschienen. >>> Hier können Sie unsere Wochenzeitung abonnieren.