Evangelienkommentar 7. Sonntag im Jahreskreis (Lk 6, 27–38)
(rb–20.2.2022) / Der Kommentar zum heutigen Evangelium kommt von Lucia Greiner, Leiterin des Seelsorgeamts der Erzdiözese.
Dreh- und Angelpunkt
In der östlichen Weisheitsliteratur wird von einem König erzählt, der alle seine Feinde vernichtet hat. Auf die Frage, wie ihm das gelungen sei, meinte er „Ich habe sie zu Freunden gemacht.“
Die Erkenntnis, dass die Feindesliebe hilft, eigene Verluste zu vermeiden, gibt es zurzeit Jesu in anderen Kulturen auch. Sie wird klüger angesehen als Krieg zu führen, denn der eigene Einfluss- und Wirkungsbereich vergrößert sich.
Auf dem Weg zum Frieden ist es unerlässlich, sich mit dem Feind zu beschäftigen und seine Interessen und Beweggründe zu kennen, um zu Ausgleich und Versöhnung zu kommen.
Auch die Möglichkeit, dass der andere Mensch sein unangemessenes Verhalten einsieht, weil seine Forderungen übererfüllt werden, wird eingeräumt. Diese ethischen Herangehensweisen teilen wir mit anderen Kulturen und Weltanschauungen.
Im christlichen Glauben liegt der Dreh- und Angelpunkt immer – und so auch bei der Feindesliebe – in Gott selbst.
Jesus heilt Menschen und entfaltet in der sog. Feldrede in vielen Bildern, wie es den Menschen im Reich Gottes ergeht, was heil und ganz werden kann. Dabei stellt er unter den Menschen eine grundsätzliche Gleichheit her, weil ja alle Geschöpfe Gottes sind. Undankbarkeit und Böses sind verbreitet, aber Gott geht barmherzig damit um, so erklingt es im Antwortpsalm.
Entscheidend ist, ob wir diese Haltung zu unseren Mitmenschen einnehmen können, gleich ob sie uns freundlich oder feindlich begegnen. Im Vertrauen auf Gottes Liebe, die in uns wirkt, können wir barmherzig handeln. Wir müssen nicht mehr wegrennen, nicht mehr siegen oder zerstören, sondern können als Kinder Gottes über unsere Ängste hinauswachsen und Feindschaft auflösen. Weil wir von Gott zuerst geliebt sind, können wir als erste auf andere zugehen, den ersten Schritt wagen, lieben.
Wir scheitern daran, auch mit schrecklichen Folgen, wie der Blick in die Geschichte zeigt. Wir versuchen es neu, bescheidener und zugleich im Wissen um die Kraft des Glaubens. In der Taufe haben wir Christus angezogen. Die Feindesliebe ist eine Nagelprobe dafür.
Dieser Text ist im Rupertusblatt (Nr. 7/2022) erschienen. >>> Hier können Sie unsere Wochenzeitung abonnieren.