Messe vom Letzten Abendmahl
Liebe Schwestern und Brüder,
liebe Pfarrgemeinderäte und -rätinnen, denen ich heute – in Erinnerung an das Beispiel Jesu an seinen Jüngern – die Füße waschen darf!
Die großen Themen unseres Lebens, zu denen zweifellos der Glaube zählt, sind wie ein Wechselspiel gegeben. Zum Beispiel: Nähe und Distanz – nur Nähe wird irgendwann zu eng, nur Distanz führt in Kälte. Jedes Leben braucht innig-innigliche Berührung und zugleich große Freiheit. Vereinnahmung ist die große Gefahr, davor soll man sich hüten. Hierin ist der Schlüssel zu finden, wie die Offenbarung Gottes ihre Lebendigkeit, ihre Aktualität für alle Zeiten und für jede Zeit behält. Gottes Wort eignet sich nicht zur Durchsetzung noch so guter Eigenpositionen. Geschieht dies, sprechen wir von Fundamentalismus. Es ist uns gesagt, gegeben, das Wort Gottes – nicht um damit billig Macht auszuüben, sondern im Modus der Vorenthaltung. Es braucht daher unsererseits liebevolle Zurückhaltung, gerade dann, wenn wir meinen, wir haben Recht.
Dazu ein Beispiel aus meiner Studienzeit. Unser Professor für das Alte Testament hat mit Stolz betont, dass Israels Gott einen Namen habe. Gott hat seinen Namen geoffenbart, und der Name steht immer auch für das Wesen. Im jüdischen Glauben nennt man Gott oft „ha-Schem“, was einfach „der Name“ bedeutet. Ja das stimmt, Gott hat seinen Namen geoffenbart, aber unter der Vorenthaltung, dass er mit Achtung auszusprechen war. Daraus wurde es im Judentum üblich, das Aussprechen des Namens ganz zu vermeiden. Nur einmal im Jahr, im Allerheiligsten im Tempel, durfte der Hohepriester am Versöhnungstag den Namen Gottes aussprechen.
Was man im Namen Jesu den Pharisäern damals vorwerfen muss, ist, dass sie mit dem Wort Gottes so umgegangen sind, als ob man damit Recht selbst über Leben und Tod sprechen könnte. Denken wir an das berührende Evangelium von der Ehebrecherin, gelesen am fünften Fastensonntag, die Jesus vorgeführt wird, um ihn auf die Probe zu stellen – das heißt, ihn eigentlich in eine Falle zu locken. Nach dem Gesetz hatten die Pharisäer Recht, aber es fehlte ihnen die Reinheit des Herzens, der Motivation. „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ Oder denken wir an den Satz: „Wir haben ein Gesetz, nach dem muss er sterben!“, der Jesus ans Kreuz bringt.
Das Wort Gottes ist uns geoffenbart, gegeben aber mit einer Vorenthaltung. Wir dürfen es nicht – auch in der Erkenntnis nicht – bis zur Neige ausschöpfen.
Warum diese etwas lang geratene Einleitung? Weil die Heilsgeschichte sich fortschreibt bis in unsere Zeit hinein. Obwohl, auch das muss gesagt werden, das Christentum keine reine Buch- oder Schriftreligion ist, sondern eine Brotreligion. Wir feiern heute die Einsetzung der Eucharistie. Als Jesus am Abend vor seinem Leiden mit seinen Jüngern das Mahl vor dem Paschafest feierte – Judas, der sich in seinen Erwartungen enttäuscht fühlte, war schon in die finstere Nacht entwichen – sprach er den Segen über das Brot „Das ist mein Leib!“, und dann über den Kelch „Das ist mein Blut!“, und er forderte seine Jünger auf: „Tut dies zu meinem Gedächtnis, bis ich wiederkomme“.
Das sind kostbarste Worte, ein unglaubliches Vermächtnis!
Mir hat einst ein jetzt schon verstorbener Priester von seiner Primizmesse erzählt. Als er zum ersten Mal der Eucharistie vorstand, habe ihn sein Vater zur Seite geholt und ihm eindringlich gesagt:
„Ich habe gesehen, als du nach den Wandlungsworten über das Brot die Hostie erhobst, da hast du gezittert – bewahre dir dieses Zittern.“
Der Heilige Thomas von Aquin hat dieses Geheimnis der Eucharistie wie kaum ein anderer tief erkannt, wenn er in seinem Hymnus zur Eucharistie schreibt:
„Gottheit tief verborgen, betend nah ich dir.
Unter diesen Zeichen bist du wahrhaft hier.
Augen, Mund und Hände täuschen sich in dir.
Jesus, den verborgen jetzt mein Auge sieht.“
Liebe Schwestern und Brüder, wie gehen wir mit diesem geheimnisvollem Vermächtnis Jesu um? Wir können es nicht begreifen, die Sinnlichkeit, unsere Verständnis- und Vorstellungskraft, all das vermag es nicht zu fassen: Gottes und Jesu verborgene Anwesenheit.
Auch wir sind nicht gefeit, Fehler vergangener Zeiten zu machen; zu meinen, zu behaupten, wir hätten es in unserer Macht. Ich höre zuweilen reden von einem „Recht“ auf die Eucharistie. Die Gefahr des Fundamentalismus sehe hier nicht so sehr gegeben, vielmehr jedoch das Extrem auf der anderen Seite: Oberflächlichkeit, Gleichgültigkeit, keine Sehnsucht, von der Jesus am Abend vor seinem Leid sprach: „Wie sehr habe ich mich danach gesehnt, mit euch dieses Mahl zu feiern.“
Wie sehr wir aber Diener der Mysterien Gottes sind und nicht deren Beherrscher, zeigt uns die Kirche. Am Hohen Donnerstag, wenn wir die Einsetzung des Allerheiligsten Sakraments des Altares feiern, lesen wir im Evangelium nicht den Bericht des letzten Abendmahles, sondern das Beispiel, das Jesus seinen Jüngern gegeben hat und uns heute gibt: er wäscht ihnen die Füße.
So sollen wir einander tun, mit der Gesinnung des Dienens, denn Er, Jesus, hat uns ein Beispiel gegeben.
Amen!