Jahresschlussandacht
Schwestern und Brüder!
Ein weiteres Jahr kostbaren Lebens liegt hinter uns. Gewiss gab es in vielerlei Hinsicht Anlass zur Freude und Hoffnung. Allerdings – es war auch ein Jahr großer Herausforderungen. Nach wie vor sind wir konfrontiert mit Teuerung und Inflation, mit der Polarisierung unserer Gesellschaft. Extreme und Radikalisierungen nehmen zu, während Konsens und Ausgleich an Bedeutung verlieren. Ungehemmt tobt der Krieg in der Ukraine weiter – erst vorgestern musste das Land den schwersten russischen Luftangriff seit Kriegsbeginn erleiden. Auch im Heiligen Land, in dem der Friedensfürst einst Mensch wurde, ist man vom Frieden weit entfernt.
Gleichzeitig haben wir erneut Wärmerekorde erlebt. Die Klimakrise kann und darf nicht geleugnet werden. Es liegt an uns Heutigen, die Lebensumstände der Nachkommenden zum Guten hin zu lenken. Vielleicht können wir, vor allem die älteren unter uns, den Lebensabend noch in gewohnten Bahnen erleben – doch wie steht es um jenen der Kinder und Kindeskinder? Die Jüngsten unter uns werden das 22. Jahrhundert sehen – welche Welt hinterlassen wir ihnen?
Kirchlicherseits wissen wir uns in diese Verantwortung mithineingenommen. Wir wollen Freud und Leid teilen, denn „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi“, wie es das Zweite Vatikanische Konzil in der Konstitution „Gaudium et Spes“ formulierte.
Ein besonderer Akzent lag freilich auf dem Thema der Synodalität. Immer wieder vernehme ich Fragen, was damit denn überhaupt gemeint sei. Wortwörtlich bedeutet „synodos“ im Griechischen „gemeinsamer Weg“ – Synodalität bedeutet also, gemeinsam unterwegs sein. Es geht um eine Weitung und Vertiefung unseres Glaubens über die engen persönlichen, lokalen und nationalen Grenzen hinaus. In der Erzdiözese haben wir uns dabei sehr intensiv eingebracht. Wir ringen um die gemeinschaftliche Dimension von Kirche, die immer auch die hierarchische Verfassung der Kirche ernst nimmt, die das Konzil in der Konstitution „Lumen Gentium“ bekräftigt hat (18).
Bereits 2022 fand in Salzburg eine vorsynodale Versammlung statt sowie weitere Beratungen auf nationaler Ebene. 2023 folgten die kontinentale Versammlung in Prag, im vergangenen Oktober schließlich in Rom die Bischofssynode selbst, an der ich mit Kardinal Schönborn und der Linzer Pastoraltheologin Csiszar teilnehmen durfte.
Ich bin nach wie vor tief bewegt von diesem Erlebnis. Zunächst von der Methode: Ein Wechselspiel von Gebet, Stille, Reden aus der eigenen Erfahrung, Zuhören und schließlich Ringen um eine gemeinsame Position. Eine Entdeckung war für mich besonders die Stille als Ort des Heiligen Geistes. „Der Hl. Geist ist Stille, dort wo vorher geredet wurde,“ heißt es bei Klaus Berger in seiner posthum erschienenen „Theologie der Stille“.
Wichtig waren auch die Gespräche an den runden Tischen, die so genannten „circuli minores“. An jedem Tisch waren Vertreter und Vertreterinnen aus allen Erdteilen anwesend – nicht nur Bischöfe, sondern auch Laien, Frauen und Männer. Jeder und jede sprach aus der eigenen Erfahrung, wie er oder sie Glaube, Freude und Leid mit anderen lebt und erlebt. In dieser Umgebung war es relativ leicht, sich mit dem, was man zu sagen hatte, einzufügen in ein größeres Ganzes, das die Kirche ja immer ist.
Diese Vorgehensweise wäre, so glaube ich, auch im gesellschaftlichen Leben von großem Nutzen. Zuhören, stehen lassen, was der andere sagt; nicht sofort Position oder gar Opposition beziehen. Sich selbst zurücknehmen, Abstand zur eigenen 100%-Antwort gewinnen. Eine solche Art des gesellschaftlichen Miteinanders würde nicht nur unmittelbar Diskussionen erleichtern – sie würde langfristig auch dem Frieden dienen.
Kriege, Polarisierungen brauchen unser aller gemeinsame Anstrengung. Kriege haben internationale Auswirkungen, wie uns die Teuerung und die Ressourcenknappheiten drastisch vor Augen führen. Wenn Völker in Unterdrückung leben, bemerken wir früher oder später auch Auswirkungen auf das Ganze. Auch die Klimakrise kann nicht innerhalb eigener nationaler Grenzen gemeistert werden. Wir müssen nach gemeinsamen Lösungen suchen, die gerecht sind. Partikulare Interessen helfen nicht uns nicht in einer Welt, die so vernetzt ist wie nie zuvor. In einer solchen Welt hat jeder Krieg, jeder Konflikt Folgen für alle – und wir erkennen einmal mehr: Friede ist ein wahrhaft universales Gut.
Auf dieser Ebene ist die Kirche weltweit ein bedeutsamer „Player“, wie man heute sagt. Wenn wir zur Erneuerung von Kirche und Gesellschaft beitragen wollen, müssen wir im kleinen Anfangen. In unseren Pfarren, Einrichtungen und Gruppen, ja sogar in den Familien. Dort müssen wir das geistliche Gespräch üben, die Stille das Zuhören auf den anderen. Dazu möchte ich aufrufen. Nur so kann Synodalität wachsen, nur so können Spaltungen überwunden werden – nur so kann am Ende Friede gedeihen.
Vergessen wir auch nicht auf das gemeinsame Gebet. „Geeintes Gebet ist eine Macht, die Gottes Barmherzigkeit herabzieht,“ so sagte einst der Gründer des Rosenkranz-Sühnekreuzzugs P. Petrus Pavlicek. Unsere Gespräche, Sitzungen, unser ganzes Miteinander bekommen dadurch eine neue Kultur. Das vermag das Geistliche zu leisten. Diesen Pfad des Geistlichen darf die Kirche nie verlassen.
Zurück zur Synode. Im Herbst des neuen Jahres folgt nun die abschließende Vollversammlung in Rom. Der Abschlussbericht wird danach Papst Franziskus vorgelegt. Wir dürfen hoffen, dass danach konkrete Schritte erfolgen, auf dass die Kirche partizipativer, missionarischer und gemeinschaftlicher wird.
Ein Thema, das auch sehr kontrovers diskutiert wurde, war die Segnung von homosexuellen Paaren. Das Glaubensdikasterium hat nun dazu eine Antwort gegeben, die sowohl die überlieferte Lehre der Kirche aufrecht erhält als auch Menschen in ihrer Bitte um Segen entgegen geht. Es hat klargestellt, dass hier keine Verbindung gesegnet und damit bestätigt wird, zu der die Kirche objektiv nicht „ja“ sagen kann – sehr wohl aber, dass zwei Menschen einen „aufsteigenden“, also einen bittenden Segen empfangen können. Einen Segen, der das Gute in ihren Leben festigt und mehrt. Mir war die Unterscheidung zum sakramentalen, bestätigenden Segen, wie er der Ehe zwischen Mann und Frau zukommt, wichtig. Das Dokument „Fiducia supplicans“ stellt hier klar: Verwechslungen sind unbedingt zu vermeiden, weshalb es auch keine liturgische Formgebung für die erwähnten Segensformen geben wird. Dieser Segen muss ein anderer sein – so wie auch Isaak für Esau noch einen anderen Segen als jenen des Erstgeborenen hatte. Segnen ist ein Grundnahrungsmittel, das in rechter Disposition niemandem verwehrt werden darf.
Nun stehen wir also am Ende des Jahres – wir wollen es in Gottes Hand legen, sowie auch einen Blick in die Zukunft wagen. 2024 wird auch Jahr der Wahlen sein: Wir sehen der Europawahl entgegen, der Nationalratswahl, in Salzburg auch den Gemeinderatswahlen. Hier ist es unsere besondere Pflicht, uns im Sinne des bonum commune, des Gemeinwohls einzubringen und unser Stimmrecht zu nutzen. Je größer die Zahl der Wählerinnen und Wähler, desto klarer können Ergebnis und Auftrag sein und den Wählerwillen abbilden und repräsentieren. Gerade heute, wo wir, wie eingangs erwähnt, immer stärkere Polarisierungen beobachten, ist jede einzelne Stimme wertvoll.
Schwestern und Brüder, in der Lesung haben wir gehört vom Antichrist, ja – von vielen Antichristen, die auftreten. In dieser weihnachtlichen Zeit hat mich ein Wort zur Hoffnung begleitet, das Goethe zugeschrieben wird: „Hoffnung ist die leise Stimme, die ‚vielleicht‘ flüstert, während die Welt ‚nein‘ schreit.“ – Ja, die Welt schreit in der Tat laut „nein!“. Das Destruktive scheint bisweilen überhand zu nehmen. Aber als Christinnen und Christen lehrt uns die Hoffnung den Glauben an das Gute, selbst wenn alles verloren scheint, sogar die Hoffnung selbst.
Herzlich danke ich allen, die sich für den Glauben, für den Frieden und die Hoffnung, die aus ihm erwachsen, einsetzen – für die vielen Armen und Bedürftigen dieser Welt. Vergelt’s Gott! Und schließlich: Beten wir füreinander, beten wir für unsere Kirche – und beten wir auch für unseren emeritierten Erzbischof Alois, auf dass ihm weitere Schritte der Genesung gelingen mögen.
Möge der Herr uns im kommenden Jahr Frieden schenken und uns gewähren, als Botschafter der Hoffnung und Mitarbeiter des Friedens am Aufbau einer Welt in Gerechtigkeit und Liebe mitzuwirken.
Amen.