Christtag
Liebe Schwestern und Brüder!
Ich weiß nicht, ob es wahr ist oder nur „ben trovato“, wie die Italiener sagen, dass Anton Bruckner sich in der Kirche einsperren ließ, nachdem er in der Christmette die Orgel gespielt hatte. Frühmorgens fand ihn der Mesner vor der Krippe, nur stammelnd „Gott ist Mensch geworden.“ Unglaublich! Aber zu diesem tief frommen Komponisten würde es passen. Und in der Tat ist es so, dass jeder Verstand, der sich anschickt, darüber etwas konkret auszusagen, verrücktspielen muss. Von daher wird ein wenig mehr einsichtig, dass die Evangelien sehr verschieden darüber berichten. Die ersten drei, die so genannten synoptischen Evangelien, bleiben im geschichtlich Konkreten verhaftet. Das Johannesevangelium hingegen geht theologisch in die Tiefe. Beides ist notwendig, um der Gefahr vorzubeugen, die Spannung Gott-Mensch einseitig aufzulösen oder sie oberflächlich einfach zu verwischen.
In der Heiligen Nacht hörten wir gestern, was sich äußerlich, wo, wann und wie rund um die Menscherdung Gottes abgespielt hat. Das konkrete Ereignis bleibt, wie bei der Auferstehung, im Schutz der Dunkelheit und der Unwissenheit. Das Johannesevangelium aber spricht nicht von der Geburt Jesu Christi, sondern vom Wort, das Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat. Dieses Wort hat seinen Ursprung in Gott, es war bei und von ihm. Johannes geht sogar noch weiter: Durch dieses Wort wurde alles geschaffen; darum konnte Jesus später, für uns unverständlich, sagen: „Noch ehe Abraham wurde, BIN ich.“ Jesu Wirken geschah nicht aus sich, sondern er lebte und verstand dieses ganz vom Vater her.
Hier, liebe Schwestern und Brüder, liegt unser Schwachpunkt: Wir sind heute selbst unser Ursprung; wir tun so, als ob mit uns die Heilsgeschichte überhaupt erst den Anfang nähme. Wir missachten unsere geistig-geistliche Herkunft, ohne die wir aber nur ein ausgetrocknetes Flussbett sind, in dem kein Wasser fließt. Sehr stark zu bemerken ist dies beim synodalen Prozess. Papst Franziskus wird nicht müde zu betonen, dass dieser Prozess ein geistlicher sein muss, aus einer Sendung heraus, die wir nicht von neuem und nicht aus uns selbst heraus bewerkstelligen können. Der Heilige Apostel Paulus hat dies einst prägnant auf den Punkt gebracht: „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.“ (1 Kor 15,10)
Ein zweiter Punkt, den Johannes in seinem Prolog besonders herausstreicht, ist die Zeugenschaft. „Ein Mensch trat auf, von Gott gesandt; sein Name war Johannes.“ Was mich bei Johannes, der ja Patron meines Bischofsamtes ist, so sehr berührt, ist: Er wusste, was er NICHT ist. Das wissen wir von uns häufig nicht. Was Leben und Glauben angeht, meinen wir, alles zu wissen. Von Johannes hingegen heißt es: „Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht.“ Und es wird sofort hinzugefügt: „Er selbst war nicht das Licht.“ Das wahre Licht liegt in der Krippe, aber die Welt – und das ist auch heute weithin leider bittere Wahrheit – erkannte es nicht. „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“
Liebe Schwestern und Brüder, lassen wir uns betreffen von der Botschaft aus Bethlehem. Christ sein bedeutet, sich zweimal betreffen zu lassen – von Gott wie von den Menschen und ihren Nöten um uns herum. In unserer Welt herrschen so viel Unzufriedenheit, Frustration, Unsicherheit und Not. Der Friede beginnt in uns, in unseren Herzen, auch in unserer Kirche. Die schrecklichen Kriege, die zurzeit geführt werden – vor allem in jenen Ländern, wo unser Glaube seinen Ursprung hat, als auch in der uns so nahen Ukraine –, zeigen uns: Die Welt braucht einen Erlöser!
Zu Bethlehem ist er geboren.
Amen.