Christmette
Liebe Brüder und Schwestern!
„Das Volk, das in der Finsternis ging...“ Dieser Halbsatz aus der ersten Lesung in dieser Heiligen Nacht, gesprochen durch den Mund des Propheten Jesajas, hat sich durch die ganze Heilsgeschichte immer wieder leidvoll bewahrheitet. Eine Finsternis hat auch unsere Zeit erfasst; die Finsternis der Pandemie. Weithin herrscht Orientierungslosigkeit; Unsicherheit und Existenznöte bedrohen den gesellschaftlichen Zusammenhalt; da und dort ufert eine zwar verständliche Unzufriedenheit in nicht tolerierbare Aggression aus. Diese Gemengelage von an sich widersprechenden Emotionen mit den zum Teil unkontrollierbaren Reaktionen, wie wir sie seit zwei Jahren erleben und erleiden, ist durchaus vergleichbar mit der Situation zur Zeit als der Prophet seinen Satz vom Volk in der Finsternis niederschrieb. Aber, wie eingangs erwähnt, war dies nicht die ganze Wahrheit, es folgt noch, wie für gläubige Menschen gar nicht anders vorstellbar, die Ergänzung. Denn gerade als die lange Zeit des Wartens und Ausharrens den Höhepunkt erreichte, sah das Volk ein helles Licht aufstrahlen; Erlösung kündigte sich an. Mit der Hoffnung auf Erlösung überstanden die Menschen zu allen Zeiten schwierigste Situationen.
Nun können wir fragen, wo sind die Lichtblicke in der Dunkelheit dieser Pandemie? Hier könnte vieles angeführt werden, was geleistet wird im Gesundheitswesen, die wachsame Aufmerksamkeit nicht weniger für den Nächsten in Nachbarschaft und im Berufsleben. Besonders erwähnenswert ist wohl jeder Beitrag zur Ruhe in einer aufgeheizten Atmosphäre. All das ist Anlass zur Hoffnung. Darüber hinaus möchte ich auf einige Lichtblicke hinweisen, die uns Hoffnung bringen möchten.
Ich muss etwas weiter ausholen. Zurzeit lese ich das monumentale Werk von Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit. Darin steht der Satz zu lesen: „Jede Epoche hat ihre besondere Krankheit.“ Die Pest – so Friedell – war die Seuche der beginnenden Neuzeit. Unmittelbar schoss es mir durch den Kopf: Die Pandemie ist die Krankheit des beginnenden 21. Jhdt. Die zeitliche Einordnung lässt schon etwas von der Ursache erkennen. Das weckte in mir Hoffnung. Und in diesem Lichtblick der Hoffnung meine ich, einige Anhaltspunkte zu erkennen. Unsere Zeit zeichnet sich durch ein ständiges Mehr an Leistung, Mehr an Produktivität, Mehr an Vergnügen, Mehr an Freiheit, wie vieles andere noch zu nennen wäre. Dagegen stehen nun Regeln: weniger Kontakt, weniger Freizeitmöglichkeiten, weniger an Produktivität, weniger Hoffnung. Ein der Menschheit weltweit aufoktroyiertes Exerzitium. Offensichtlich hat die Menschheit das rechte Maß und den Sinn für Grenze gänzlich verloren, und damit auch den Blickpunkt nach Kontakt nach oben, den absoluten Fluchtpunkt, verloren.
Ich kehre zurück zum Hirtenfeld, wo das weihnachtliche Geschehen seinen authentischen Ort gefunden hat. Die Hirten waren Meister der Wachsamkeit. Ihre Aufgabe erschöpfte sich allerdings nicht nur darin, den Schafen eine ruhige Nacht zu gewähren, sondern ihre Wachsamkeit war auch Eingangstor der Botschaft des Engel: „Ich verkünde euch ein große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch der Retter geboren.“
Gleiches erfahren wir von den so genannten drei Weisen aus dem Morgenland. Sie waren Meister in der Sternenkunde, geschult im Blick nach oben. Sie waren aber nicht vom Licht der Sterne, von ihrer Begeisterung und eigenen Wissenschaft geblendet, sondern sie ließen sich von diesem Licht führen hin zum Stall, wo sie von sehr großer Freude erfüllt wurden.
Die Hirten waren zur damaligen Zeit sozial am Rand der Gesellschaft Stehende und die Weisen aus dem Morgenland Fremde, die gar nicht erst zum auserwählten Volk gehörten. Dass ausgerechnet diese zwei Gruppen in den Weihnachtserzählungen prominenten Platz einnehmen, gibt zu denken. Die Botschaft von Weihnachten darf nicht exklusiv verstanden werden; sie möchte zu allen Menschen sprechen. Der heilige Apostel Paulus benennt auf seine Weise denselben Sachverhalt. Wir haben in der zweiten Lesung gehört: „Die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten.“ (Tit. 2,11)
Im Zentrum dieses Geschehens steht die junge Frau mit Namen Maria. Von ihr werden nicht viele Worte überliefert. Mehrmals heißt es jedoch, „sie dachte über das Gesagte nach und bewahrte es in ihrem Herzen.“
Noch nie waren die Menschen so mobil wie heute, noch nie hatte die breite Masse ungehinderten Zutritt zu Informationen wie es heute der Fall ist. Was vermag der Mensch im 21. Jahrhundert zu leisten. Das sind Höchstleistungen und doch fehlt es uns etwas, was zu früheren Zeiten nicht so der Fall war. Wir bereisen schon die Sterne des Himmels mit unbenannten und bald auch mit bemannten Raumfähren. Die Sterne leuchten uns nicht mehr den Weg. Unsere Fähigkeiten und unser Wissen führen nicht mehr über uns hinaus zum Göttlichen, sondern wir kreisen um uns selbst. Der deutsche Soziologe Hartmut Rosa meinte, die Erfahrungen der Pandemie müssten zu einer neuen und vertieften Nachdenklichkeit führen. Woher kommen wir? – wohin gehen wir? Wo befindet sich der Stall, über den ein Stern aufgegangen ist, in unseren Tagen? Wie sagte es Angelus Silesius:
„Und wäre Christus 1000 Mal in Bethlehem geboren worden und nicht in Dir: Du bliebest doch in Ewigkeit verloren.“
Amen.