Zuhören, begleiten und stärken

RB: In Salzburg sind rund 82.000 Personen armutsgefährdet. Diese Armut hat viele Ge-sichter und ist trotzdem oft unsichtbar. Warum?
Richard Gölzner: Armut ist ein gesellschaftliches Tabu. Man möchte einfach nicht als arm dastehen. Das hat sich in der letzten Zeit noch einmal verschärft.
RB: Gibt es Unterschiede zwischen der Armut in der Stadt und Armut am Land?
Richard Gölzner: In der Stadt kommen die Leute von sich aus zu den Sozialberatungsstellen. Sie fragen auch in den Pfarren um Hilfe. Das ist am Land zum Teil ganz anders. Seit 2015 ist die Sozialberatung freitags in der Stadt Hallein vor Ort. Das wird gut angenommen. Wir erreichen vor allem die Menschen aus Hallein und wir haben KlientInnen aus Kuchl oder Golling. Nur an die Menschen aus den kleineren Gemeinden wie Krispl, Gaissau oder St. Koloman kommen wir nicht ran.
RB: Das heißt aber nicht, dass in kleineren Landpfarren keine armen Menschen leben?
Richard Gölzner: Es gibt natürlich Menschen, die unter der Armutsgrenze leben. Menschen, die nach Jobverlust oder Krankheit in schwierige Situationen geraten oder die sich mit dem Hausbau übernommen haben. Stromabschaltungen und Delogierungen passieren, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie in der Stadt. Doch der Zugang zu diesen Betroffenen ist sehr schwierig. Es will niemand zugeben: Ja, die finanziellen Schwierigkeiten nach der Scheidung wachsen mir über den Kopf. Die Leute gehen nicht zum Bürgermeister oder in die Pfarre. Ich erinnere mich an eine Frau, die sich eine medizinische Behandlung nicht leisten konnte. Ein anderes Mal hat eine ältere Dame angerufen, die nicht in der Lage war die Beerdigung ihres Mannes abzubezahlen. Aber in der Gemeinde um Hilfe bitten wollten beide nicht – niemals war die Antwort. Dabei haben die Gemeinden und Pfarren genau für solche Fälle Sozialfonds und Unterstützungsmöglichkeiten. Freiwillige könnten Erstansprechpersonen für Menschen sein die von Armut betroffen sind, eine Andockstation, die nicht institutionalisiert ist. Ziel ist es, dass die Menschen ihre Scheu ablegen, mit jemanden reden, der sie dann bei den weiteren Schritten begleitet – so kann vermieden werden, dass sich eine Situation weiter verschlechtert.
RB: Die Caritas bietet dazu im Tennengau einen Lehrgang für Freiwillige an. Für wen ist der Lehrgang „Wir.begleiten“?
Richard Gölzner: Wir denken an Menschen, die sich bereits in ihrer Pfarre/Gemeinde im sozialen Bereich engagieren oder das vorhaben. Am 24. Jänner starten wir in Golling mit dem ersten von fünf Kursabenden. Zu Beginn geht es um den Begriff Armut: Was bedeutet Armut für mich? Wo sehe ich die Selbstverantwortung für Armut? Was heißt es, um Hilfe bitten zu müssen? Ein anderes Mal schauen sich die TeilnehmerInnen die soziale Landkarte des Tennengaus aus: Welche Formen der regionalen Soforthilfe gibt es? Caritas-Direktor Johannes Dines behandelt an einem Abend diakonisches Handeln als Ausdruck des Glaubens: Wie kann gelebtes Christentum unsere Motivation stärken? Ein weiteres Modul dreht sich um Begegnung und Gespräch.
RB: Wie sollen sich die Freiwilligen einbringen?
RichardGölzner: Da ist zum einem soziales Wahrnehmen gefragt, das Beobachten des Klimas, der Strukturen. Zum anderen sollen sie ganz konkret Betroffene begleiten, ermutigen, sie bei den Wegen zu Ämtern oder in alltagspraktischen Dingen unterstützen. Sie hören zu, denken mit, bauen Vertrauen auf und vor allem: Sie nehmen sich Zeit. Sie fungieren als MittlerIn zu sozialen Beratungseinrichtungen und ermöglichen zielgerichtete Hilfe.
Foto (Caritas): Richard Gölzner und das Sozialberatungsteam der Caritas weisen Wege aus der Armut – doch am Land ist die Scham, sich überhaupt Hilfe zu holen, sehr groß.
Freiwilliges Engagement
„Wir.begleiten“ heißt der Lehrgang, den die Caritas in Kürze in Golling startet. Angesprochen sind Menschen, die sich bereits in der Pfarre/Gemeinde in sozialen Bereichen engagieren und die von Armut betroffenen Personen helfen möchten.
Ort, Kurszeiten & Kosten
Pfarrsaal Golling, Markt 73.
Beginn ist am Mi., 24. Jänner, 18.00 Uhr zum Thema „Armut und ich“; danach im 14-tägigen Rhythmus weitere vier Module und Zertifikatsverleihung.
Die Kosten des Lehrgangs übernimmt die Caritas Salzburg.
Anmeldung & weitere Infos
Sigrid Brandauer, Caritas Sozialberatung, Plainstraße 83, Salzburg, 0662/84 93 73-224, sigrid.brandauer@caritas-salzburg.at