Vorsynodale Versammlung
Liebe Schwestern und Brüder!
Weggefährtinnen und Weggefährten!
Als Papst Franziskus die nächste Weltsynode zum Thema Synodalität ausgerufen hat, war ich bass erstaunt. Es ist mir eigentlich nie eingefallen über das Wesen von Synode nachzudenken; ich meinte, es zu wissen. Wir hatten 2015 überlegt einen Zukunftsprozess zu starten, weil in der Diözese im 10- Jahresrhythmus immer eine diözesane Versammlung stattfindet. Damals wurde im Konsistorium darüber beraten, was wir veranstalten wollen. Wir waren uns schnell einig: Synode soll es keine sein, weil wir uns durch die kirchenrechtlichen Vorgaben zu sehr eingeschränkt fühlten. Und nun stellt uns der Papst das Thema der Synodalität vor. Wir sollten darüber in den Diözesen, in den Teilkirchen und schließlich in der Universalkirche beraten; Fragen beantworten, Anhörkreise veranstalten und sogar eine vorsynodale Versammlung, zu der wir nun versammelt sind, abhalten. Als ich dann in einem seiner Texte den Kirchenlehrer Johannes Chrysostomos lass, dass Kirche und Synodalität Synonyme seien, wurde ich neugierig und hoffnungsfroh zugleich.
Ich muss dazu etwas ausholen: Ich habe die Kirche, so wie meine Lebensgeschichte, immer als ein organisches Ganzes empfunden. Ich kann mein Leben nicht nur auf einen Teilaspekt reduzieren. Meine Herkunft, mein Weg, meine Offenheit auf die Zukunft hin werden immer eine Einheit darstellen. Natürlich kann Neues durch Bildung, prägende Erlebnisse, hinzukommen, aber wohl nie so, dass ich ein ganz anderer werde, als der ich geworden bin. Von Heidegger stammt das schöne Wort: Herkunft schafft Zukunft! Ähnlich verhält es sich auch mit der Kirche. Sie ist ein organisches Ganzes.
Ich erlaube mir, diesen Gedanken mit einem Bild zu illustrieren, jenem des Flusses. Jeder Fluss hat einen Ursprung, das ist die Quelle. Üblicherweise gibt die Quelle dem Fluss auch den Namen. Der Name steht für das Wesen. Wie aber wird die Quelle zum Fluss? Durch Zuflüsse, die das Quellwasser weitertragen. Nun können verschiedene Probleme auftauchen; etwa, wenn Quell und Flusswasser zu sehr differieren, wie es der Fall ist, wenn Abwasser der Quelle zufließen. Quellwasser kann man bedenkenlos trinken; doch Flusswasser zu trinken ist weit weniger ratsam.
Ein anderes Problem betrifft die Quelle. Wenn zum Beispiel die Quelle der Salzach versiegen würde, hörte auf der Höhe von der Stadt Salzburg die Salzach nicht zu fließen auf. Aber: die Salzach wäre nicht mehr dieselbe Salzach; in gewisser Weise wäre ihre Identität verändert. Der Kontakt mit dem Ursprung ist wichtig.
An dieses Bild, das ich früher oft bei Katechesen gebracht habe, erinnerte ich mich, als ich begann, mich mit Synodalität zu beschäftigen. Die Kirche als großer breiter Fluss braucht ihre lebendige Beziehung zur Quelle. Ihr Ursprung liegt im Heilswirken Gottes durch und in Jesus Christus. Das ist ihr lebendiges Quellwasser, welches sie weiterzugeben hat. Für die Kirche als lebendiger Fluss ist es wichtig, dass es Zuflüsse gibt. Jede Generation, im Grunde jeder und jede Einzelne, ist so ein Zufluss, der hilft, das frische Quellwasser weiterzutragen. Die Synodalität ist nun jenes Geschehen, jenes Mitereignis, das dieses Zusammen-Fluss-Sein reguliert, verbunden mit der lebensspendenden Quelle. „Synodos“ heißt ja „gemeinsamer Weg, Weggemeinschaft“. Ich habe das Konzept Synodalität einmal mit „allein sind wir immer schon zu wenig“ – wir allein genügen nicht, wenn wir uns nicht in eine Gemeinschaft einfügen, die Gott als ihren Ursprung zumindest nicht ausschließt. Die Gefahr, dass die Kirche zum Selbstläufer wird, ist heute meiner Meinung nach heute sehr groß. Soweit mein Bild, das mir durch die Beschäftigung mit der Synodalität wieder lebendig bewusst wurde.
Was Synodalität wirklich bedeutet, finden wir in den Heiligen Schriften überliefert, in der Apostelgeschichte (15): Zwischen den Juden und Heiden kommt es zum Streit, ob für die zuletzt Genannten die Beschneidung und das Gesetz Mose genauso gelte. Paulus und Barnabas erzählen, was Gott mit ihnen gewirkt hat. Die Apostel und die Ältesten kommen zusammen, der Zwist zwischen ihnen geht weiter. Daraufhin erhebt sich Petrus, der Fels, der erste Papst. Er ergreift das Wort und sagt, Gott habe schon längst die Entscheidung getroffen und mache keinen Unterschied zwischen den Juden und Heiden. Nun heißt es: „Da schwieg die ganze Versammlung.“ Jetzt legt Jakobus dar: die Worte des Petrus stimmen überein mit den Propheten, die schon kundtaten, dass Gott die Hütte Davids wieder herstellen werde – für alle Völker, über denen sein Name ausgerufen ist. Danach fallen die so entscheidenden, jedoch weithin vergessenen Worte: „Der Heilige Geist und wir haben beschlossen.“ Am Ende also der krönende Moment: Der Heilige Geist kommt ins Spiel.
Klaus Berger schreibt in seinem posthum erschienenen Buch mit dem Titel “Schweigen. Eine Theologie der Stille“: „Der Heilige Geist ist radikal anders, er ist Schweigen dort, wo man vorher geredet hat.“
Worauf kommt es in einem synodalen Prozess an?
1.) Reden! Neues drängt sich auf; der Kirche kommen im Laufe ihrer Geschichte je eigene neue Adressen zu; den Dissens benennen; wenn es sein muss auch streiten. Nicht jedoch mit dem Anspruch auftreten, hundertprozentige Antworten zu liefern. Teilkirchen in ihren je verschiedenen Gestalten können nie die ganze Antwort geben. Synodalität bedeutet auch Teilmenge sein, die anschlussfähig, ergänzungsbedürftig durch die nächste Größe bleibt. Ohne den Zwist und Streit, den Paulus und Barnabas in die Jerusalemer Gemeinde gebracht haben, wäre diese nicht zur Universalkirche geworden, die sie ist und sein soll.
2.) Hören! Wir sollen einander hören. Papst Franziskus sagt: Redet offen und hört in Demut zu. Er unterscheidet auch zwischen Hören und Hinhören. Hinhören hat eine Richtung. Dazu wiederum ein Beispiel: Ein Bischof erzählte mir, er war beim Papst und legte ihm eine Frage vor, worauf der Papst mit „nein, das geht nicht“ antwortete. Worauf dieser Bischof noch einmal das gleiche Anliegen vorbrachte. Und der Papst gleichsam zu sich selbst sagte: „Ich muss hören!“ Was? Worauf? Ich wage zu behaupten, gemeint war ein Hinhören auf den sensus fidei in credendo: den Glaubenssinn, wie er sich im reinen Glaubensakt zeigt. Der Glaubenssinn kann sich in unserem ringenden Fragen, in unseren Bitten und Sehnsüchten zeigen. Nur im Unfrieden liegt kein Glaubenssinn. Und wir müssen hinhören auf all jene Instanzen, denen der Dienst der Einheit aufgetragen ist, damit wir nicht die Verbindung mit unserem Ursprung, der Quelle unseres Lebens und Glaubens verlieren. Diese Quelle ist jene, die der oberste Diener der Einheit, der erste Papst, Petrus der Fels so eindrucksvoll bezeugt hat: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“
3.) Schließlich kommt auf es das Schweigen an. Schweigen meint nicht Verstummen. Es kann wohl sein, dass einzelne – unter den Christen und Christinnen kommt das gar nicht so selten vor – in einer Gesprächsrunde nicht reden; vor Gott schweigen sie, vor den Menschen hingegen sind sie verstummt. Wir sollen achtsam sein, niemandem drängen, niemanden an die Wand reden. „Die ganze Versammlung schwieg“, so heißt es in der Apostelgeschichte. Schweigen ist das Phänomen an der Grenze. Es ist die erfüllte Stille, wenn der letzte Ton verklungen ist. Wie das Amen zum Gebet. Es ist so! Es möge sein! Gott geb‘s!
Als die Jünger aus ihrem synodalen Prozess, aus dem gemeinsamen Schweigen, zur Tagesordnung zurückkehrten, konnten sie sagen: „Der Heilige Geist und wir haben beschlossen.“
Zum Schluss eine Erfahrung aus einem Anhörkreis, der in einem Frauenkloster stattfand. Der Orden musste die Konstitution erneuern. Ein erster Entwurf lag vor und wurde jeder einzelnen Schwester vorgelegt, sie konnten Eingaben machen. Das war für sie erstmalig ein synodaler Vorgang. Eine Schwester wurde bei dieser Anhörung, an der ich teilnahm, gefragt, ob sie ihre Eingaben im endgültigen Entwurf wiedergefunden habe. Sie antwortete: „Direkt nicht, aber verwandelt, denn der Heilige Geist ist oft die dritte Lösung.“