Die Bitte um Versöhnung von Erzbischof Dr. Andreas Rohracher an die evangelischen Christen in der Erzdiözese Salzburg im Jahre 1966 eröffnete ein völlig neues Kapitel der ökumenischen Beziehungen zwischen den beiden Konfessionen im Land. Das Rupertusblatt bringt zur Erinnerung an das Ereignis vor 50 Jahren die Gedanken eines Zeitzeugen.
Prälat Prof. Dr. Johannes Neuhardt
Salzburg. Man schreibt den 27. März 1966. In der evangelischen Christuskirche in Salzburg vollzieht sich ein denkwürdiges Ereignis. Die evangelischen Christen der Bundesländer Salzburg und Tirol werden zu einem eigenen Bistum zusammengefasst. Die neu errichtete evangelische Diözese Salzburg-Tirol erhält ihren Sitz in Innsbruck und als ersten Superintendenten wird DI Emil Sturm in sein Amt eingeführt. Erzbischof Dr. Andreas Rohracher nimmt als Gast teil und hält dort zum Erstaunen aller Anwesenden eine höchst bedeutsame Rede. Er sagte wörtlich:
„Aus diesem ökumenischen Geist heraus drängt es mich, die Verfügung eines meiner Vorgänger zu bedauern, wodurch die evangelischen Brüder und Schwestern genötigt wurden, das Land Salzburg zu verlassen. Als Entschuldigung für diese Anordnung kann ich nur anführen, dass der damalige geistliche Landesfürst noch im Banne jenes unseligen Grundsatzes des Westfälischen Friedens stand, der lautet: „Cujus regio, ejus religio“ (Wer die Herrschaft hat, dessen ist auch die Religion). Wie jedem historischen Ereignis die Auffassung jener Zeit, in der es sich begab, zugrunde zu legen ist, so muss dies auch hinsichtlich dieser Anordnung geschehen, um ein gerechtes Urteil fällen zu können. Nichts- destoweniger drängt es mich hier, mein aufrichtiges Bedauern über die damaligen Ereignisse auszusprechen und nicht nur in meinem Namen sondern auch im Namen meiner ganzen Erzdiözese die evangelischen Brüder und Schwestern dafür um Vergebung zu bitten, wie es Papst Paul VI. zu Beginn der Zweiten Session des letzten Vatikanischen Konzils getan hat“.
Weltweites Aufsehen
Diese Vergebungsbitte des Salzburger Erzbischofs hat ein weltweites Echo ausgelöst. So etwas war eben noch ganz und gar undenkbar und Erzbischof Rohracher hat das allein auf seine eigene Initiative hin getan. Die Optik ist trotzdem eine schiefe, denn das Emigrationspatent hat ja der Salzburger Erzbischof Leopold Anton Freiherr von Firmian 1731 als Staatsoberhaupt und nicht als Bischof erlassen. Kann sich also der Erzbischof von Salzburg im 20. Jahrhundert für das, was ein weltlicher Fürst im 18. Jahrhundert angestellt hat, entschuldigen? Stünde es nicht eher dem Landeshauptmann von Salzburg zu diese Entschuldigung auszusprechen?
Das Gebiet, auf dem im 18. Jahrhundert der Erzbischof von Salzburg als geistliches Oberhaupt wirkte und jenes, wo er weltlicher Landesfürst war, waren durchaus nicht deckungsgleich. Die Erzdiözese Salzburg bedeckte etwa 60 Prozent des heutigen österreichischen Staatsgebietes und im Westen darüber hinaus noch weite Teile Bayerns bis vor die Tore Rosenheims. Hätte also Firmian auch dort Menschen verjagen können? In Traunstein etwa, das politisch kurbayrisch war oder in einer habsburgischen Stadt wie Graz? Nie und nimmer. Er konnte es nur dort, wo er politische Macht hatte. Also ist es klar, dass Firmian als Staatsoberhaupt gehandelt hat und deshalb als reichsunmittelbarer Fürst. Er musste den Kaiser nicht fragen. Dieser war in höchstem Maße darüber entsetzt, denn Kaiser Karl VI. benötigte zur Thronnachfolge seiner Tochter Maria Theresia das Wohlwollen der evangelischen Kurfürsten und bemühte sich eifrig diese mit Geschenken zu besänftigen. Deshalb kam ihm dieser Salzburger Querschuss höchst ungelegen und brachte ihn in einen ganz furchtbaren seelischen Zwiespalt.
Angesichts des Elends der Flüchtlinge die heute zu Hunderttausenden aus dem Osten durch Europa getrieben werden, sind wir für die Not der 22.000 Salzburger des Jahres 1732 ganz besonders sensibilisiert. Unrecht bleibt Unrecht – menschlich wie christlich!
Reue im Hause Firmian
Dass diese späte Reue über dieses Unrecht von 1731 auch die Familie Firmian ergriffen hat, bezeugt das Testament der italienischen Generalswitwe Leopoldine von Reccagni. Diese Dame war eine geborene Gräfin Firmian und vermachte in dem am 16. Juni 1879 abgefassten Testament ihr gesamtes Vermögen der Stadt Salzburg zu Gunsten evangelischer Waisenkinder. Sie begründet das: „Ich glaube, damit eine Schuld abzutragen, da ein meiner Familie Angehöriger im vorigen Jahrhundert vielleicht allzu fanatisch manche evangelische Familie ins Verderben gejagt hat.“
Erzbischof Andreas Rohracher hat vor 50 Jahren mit seinem weit vorausschauendem Schritt der ökumenischen Bewegung einen großen Dienst erwiesen. Das Gespräch zwischen den Christen aller Konfessionen ist inzwischen wesentlich vorangekommen. Es gehört heute zu den selbstverständlichsten Gepflogenheiten sich bei wichtigen Anlässen zu besuchen und gottesdienstliche Feiern des jeweils anderen mit einer offiziellen Delegation auszuzeichnen.
Versöhnung geschieht eben durch Erinnerung – nicht durch Verdrängung. Gerade im Jahr der Barmherzigkeit sollte uns dies erneut bewusst werden und im eigenen Leben ein Stück der Versöhnung dieser Welt zu hinterlassen.