Sich verändern lassen

Salzburg. Die gegenwärtige Krise der Demokratie und der politischen Öffentlichkeit und die Krise, die die christlichen Kirchen in Form von Relevanz- und Gläubigenverlust erfahren, hängen miteinander zusammen. Diese These vertrat Hartmut Rosa bei seinem Festvortrag. Fluchtpunkt beider Krisen sei nämlich ein Verlust an „Resonanzfähigkeit“, das heißt der Verlust der Fähigkeit, „sich vom Anderen und von anderen affizieren, berühren zu lassen“. Auf der anderen Seite vermittle Religion damit zugleich eine wesentliche Kompetenz, die auch Demokratie und Öffentlichkeit benötigen: „Politische Öffentlichkeit funktioniert nur auf Basis einer im weiteren Sinne religiösen Grundhaltung.“
Religion beschreibe ursprünglich genau dieses Angesprochen-Werden: Der Mensch erfahre sich in der Religion als „Angesprochener“, die Welt ist ihm in dem Moment nicht mehr „kalt, leer und still“, sondern ein Ort der Hoffnung, dass „sein Schreien, Flehen, Hoffen“ auf eine Antwort trifft. Die Dauerbelastung aus Beschleunigung, Stress und permanenter ökonomischer Steigerungserwartung würde jedoch diese Fähigkeit in den Hintergrund rücken lassen. „Es verhindert, dass wir in den Modus der Resonanzfähigkeit, ja, der Lebendigkeit hineinkommen. Die Welt wird scheinbar sicherer, unsere Weltreichweite vergrößert sich, aber wir werden zunehmend unglücklicher“, so der Philosoph.
Nicht nur Status quo erhalten
Öffentlichkeit und damit Demokratie „funktioniere“ auf der anderen Seite immer dort, wo Menschen sich nicht nur vom Anderen „berühren“ lassen, sondern auch die Bereitschaft mit sich bringen, sich vom Anderen verändern zu lassen. „Gesellschaften, die sich nicht verändern wollen, die nur den Status quo erhalten wollen, sind leblose, resonanztaube Gesellschaften.“ Rechtspopulistische und identitäre Bewegungen seien entsprechend das Resultat eben jener Krisenerfahrung, „dass die politische Öffentlichkeit nicht mehr als Resonanzraum der vielfältigen Stimmen funktioniert“, erklärte Rosa. Die Antwort des Populismus, sich hinter der Stimme einer Leitfigur zu versammeln und die Vielfalt der Stimmen stillzustellen, sei keine Lösung, sondern verschärfe die Krise noch zusätzlich.
Hartmut Rosa ist Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena sowie Direktor des Max-Weber-Kollegs an der Universität Erfurt. Seine Habilitation erschien 2005 unter dem Titel „Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne“ und erregte großes öffentliches Interesse. Zuletzt wurde Rosas 2016 erschienenes Werk „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehungen“ zu einem Bestseller.
Angst – unsichtbare Weltmacht
Neben Stress und Beschleunigung zähle auch Angst zu den „Resonanzkillern“, führte Rosa weiter aus – ein Thema, dem sich die nächsten „Salzburger Hochschulwochen“ widmen werden, wie Erzbischof Franz Lackner ankündigte. Angst sei „eine unsichtbare Weltmacht“, die Politik wie Märkte bestimme, heißt es in der Ankündigung. Das Individuum erfahre sich oftmals anonymen Mechanismen ausgesetzt, dabei werde der Ausruf „Keine Angst!“ gleichermaßen zu einem „Versprechen und Imperativ der Moderne“ – ein Versprechen, für das nicht zuletzt auch Religion einstehe. kap
Fotos (roi): Der Mensch erfahre sich in der Religion als „Angesprochener“. Das betonte der Jenaer Starsoziologe Hartmut Rosa, der den Festvortrag bei den „Salzburger Hochschulwochen“ hielt. „Öffentlichkeiten“ waren heuer das zentrale Thema.
Aus der Predigt
„Wir müssen aufpassen, dass die technische Horizonterweiterung nicht zu einer Horizontverengung des Menschen führt.“ Das sagte Diözesanbischof Alois Schwarz in seiner Predigt zum Abschluss der „Salzburger Hochschulwochen“. Der Kärntner Bischof plädierte für einen kritischen, reflektierten Umgang mit den neuen Medien „Das Leben ist mehr als Datenverarbeitung“, betonte Schwarz. Die moderne Öffentlichkeit mit all ihren technischen Möglichkeiten sei „ein tägliches Gut und eine tägliche Gefahr zugleich“. Sie vermittle dem Menschen indirekt, „nicht zu genügen, wenn er nicht ständig surft, kommuniziert, Dinge teilt“. Die Algorithmen suggerierten zwar oftmals, „dass sie uns besser kennen als wir uns selbst“, sie hätten jedoch keine Antwort auf existenzielle Fragen wie jene nach Liebe und Tod. Der Gottesdienst im Salzburger Dom bildete den liturgischen Schlusspunkt der heurigen „Salzburger Hochschulwochen“, die unter dem Generalthema „Öffentlichkeiten“ standen. kap
Ausblick: Die „Salzburger Hochschulwochen“ 2018 finden vom 30. Juli bis 5. August statt – zum Generalthema „Angst“. Eine ausführliche Nachlese zur diesjährigen Sommertagung gibt es unter www.salzburger-hochschulwochen.at