Raum für Erinnerung

SALZBURG (eds-10. 11. 2018) / In der Nacht vom 9. auf den 10. November versammelten sich Juden und Christen, SchülerInnen und Studierende, KünstlerInnen und LehrerInnen in der Kollegienkirche zu einer interreligiösen Gemeinschaft und gaben der Erinnerung an die Lebendigen und die Toten ein Gesicht.
Vielgestaltiges Programm
Die Kollegienkirche war randvoll, als die Gedenknacht um 19.00 Uhr von Christian Wallisch-Breitsching von der Katholischen Hochschulgemeinde und Ingrid Allesch, Superintendentialkurator-Stellvertreterin der evangelischen Kirche Salzburg/Tirol – den Organisatoren der Gedenknacht – eröffnet wurde: „Vor 80 Jahren blieben die Fenster und Türen der Kirchen verschlossen. Heute wollen wir sie aufmachen. Wir wollen nicht vergessen, wir wollen uns erinnern. Erinnern heißt vergegenwärtigen. Die Geschichte von damals kann uns die Augen öffnen für die Geschehnisse von heute“, so Wallisch-Breitsching. Anwesend waren auch Marko Feingold, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, seine Frau Hanna Feingold, Erzbischof Franz Lackner, Senior Adam Faugel, Superintendent-Stellvertreter der evangelischen Kirche, Bürgermeister Harald Preuner und Landtagsabgeordneter Josef Schöchl in Vertretung des Landeshauptmanns. „Es ist eine kleine Erinnerung an eine weltweit große Angelegenheit“, kommentierte Marko Feingold die Nacht. Eingeleitet wurde die Nacht von einer Gedenkminute, die in ein beklemmendes wie berührendes Cello-Solo sowie ein vertontes Kaddisch (eines der wichtigsten Gebete im Judentum) von Salamone Rossi mündete. Weiters gestalteten den Abend das BachWerkVokal unter der Leitung von Gordon Safari, Julia Gschnitzer, die Texte verlas, sowie die Performance Group des Musischen Gymnasiums unter der Leitung von Karin Weiß, Kathrin Pichler und Astrid Weger-Purkhart, die eine Tanz-Performance zum Thema Erinnern aufführten. Den Tanz begleitete das Unterstufenorchester des Mozart Musikgymnasiums unter der Leitung von Burghild Vötterl. Um 23.00 Uhr wurden Namen von und biografische Erinnerungen an verfolgte Salzburger verlesen. Es erklang Klaviermusik und Gesang (Tamara Obermayr, Alt und Silvia Moroder, Sopran) – beispielsweise „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ von Viktor Ullmann, der im Konzentrationslager Theresienstadt weiter musikalisch aktiv blieb. Außerdem war ein von Maurice Ravel vertontes Kaddisch zu hören. Abgerundet wurde die Gedenknacht um 5.00 Uhr früh mit Orgelmusik von Gordon Safari. Es wirkten unter anderem Julia Gschnitzer, Armin Eidherr, Hannes Eichmann, das BachWerkVokal, das Musische Gymnasium und das Mozart Musikgymnasium mit.
Installationen
Eine Installation von Oskar Stocker und Luis Rivera, deren zentraler Inhalt die geschriebene Form des Kaddisch ist, ist zehn Tage lang in der Kollegienkirche zu sehen. Auf einer 3,5 mal knapp 30 Meter großen Leinwand, die in der Mitte der Kollegienkirche am Boden angebracht ist, ist das Kaddisch zu lesen, Fußabdrücke und Glasspitter bedecken die Schriftzeichen. „Verfolgung und Verachtung sind nie anonym, sondern treffen stets ein Du. Die heutige Fülle an Informationen kann unseren Blick auf die einzelnen Schicksale trüben“, so Wallisch-Breitsching. Mit ihrer Installation wollen Stocker und Rivera genau dem entgegentreten. Der Betrachter, die Betrachterin waren eingeladen, der eigenen Erinnerung Raum zu geben und sie in den Erinnerungsraum der Kollegienkirche einzufügen. Eine weitere Installation bildete ein Projekt von SchülerInnen des Musischen Gymnasiums, die sich im Kunstunterricht mit dem Thema „erinnern“ auseinandergesetzt haben. Steine aus der Salzach wurden in Papier, auf das Erinnerungen geschrieben sind, eingewickelt und in der Kollegienkirche zu Boden gelegt. Auch hierbei wurden die gedenkenden Menschen dazu einladen, sich aktiv zu beteiligen.
Lebendige Erinnerung
„Eine lebendige Erinnerung kann möglicherweise aufkeimenden Vorurteilen und Diskriminierungen entgegentreten. Im aktiven Dialog der Religionen und Weltanschauungen wird die Hoffnung auf den Weltfrieden Gestalt annehmen“, bedenkt Wallisch-Breitsching. Im Gedenken an jenen grausamen November und achtsam für gegenwärtige Strömungen in der Gesellschaft wurde in der Kollegienkirche ein Erinnerungsbogen vom Damals ins Heute gespannt.
Geschichtliches
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 2018 jährt sich zum 80. Mal jene grausame Nacht, in der die jüdische Bevölkerung im Deutschen Reich für rechtlos erklärt wurde. Mit der vom NS-Regime im ganzen Reich organisierten Zerstörung jüdischer Synagogen und Häuser sowie der Misshandlung unzähliger jüdischer Mitmenschen beginnen jene Gräueltaten, die schlussendlich zur Ermordung und Vernichtung der Juden in Europa geführt haben.
Foto 1: SchülerInnen des Musischen Gymnasiums tanzen Erinnerung
Foto 2: Senior Adam Faugel, Superintendent-Stellvertreter der evangelischen Kirche, Marko Feingold, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, Erzbischof Franz Lackner (v.l.)
Fotos: Erzdiözese Salzburg