Predigt am Christtag
Liebe Schwestern und Brüder!
Wir feiern Weihnachten, die Geburt Jesu Christi. Im heurigen Jahr unter erschwerten Bedingungen; wir stehen vor dem dritten Lockdown. Ich will nicht aus der Not eine Tugend machen, oder gar irgendwelche Mängel seitens der Bischöfe, die man uns zuweilen sehr heftig nachsagt, im Nachhinein rechtfertigen, sondern in Erinnerung rufen, in welch trister, nicht zu vergleichenden Weise das Weihnachtsereignis sich einst ereignete. Wir haben die wohl viel schwierigeren Umstände in der Heiligen Nacht zu sehr glorifiziert. Wir hören es im Weihnachtsevangelium alljährlich in gewohnter Weiset: „in der Herberge war kein Platz“; so kurz vor der Niederkunft Mariens wird der Stall notgedrungen zum willkommenen Ausweichquartier. Die Not von Bethlehem möge mithelfen, unsere vergleichsweise sehr milde Not ein wenig leichter zu verstehen. Es geht dabei nicht nur um eine Äußerlichkeit, vielmehr offenbart die Armut von Bethlehem gleichsam die Ouvertüre, unter welchem Stern das Projekt der Menschwerdung Gottes durch die ganze Zeit stehen wird. Denn die Gefahr einseitiger Glorifizierung bleibt latent mit einhergehender Verkennung der eigentlichen Bedeutung, der eigentlichen Botschaft, die auch für uns heute notwendig ist. Nur nebenbei – man kann es auf der Straße zuweilen hören –, es tut Menschen gut, einmal auf das viele Brimborium um dieses schlichte Fest herum zu verzichten. Denn die Armut von Bethlehem steht letztendlich für eine unverhältnismäßig viel größere Armut, nämlich für die auf Golgotha. Davon zeugen die Evangelien.
So auch im heutigen Evangelium von Johannes: der wunderbar gestaltete Prolog. Dennoch, Schönheit ist nicht das Letzte, so sagte es einmal Nikolaus Harnoncourt, es geht um Wahrheit. Die Schönheit möchte nicht die Dramatik verdecken, die auch genannt wird. Wenn es mit den wohlgesetzten Worten heißt: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Dann ist noch schwerer zu verstehen, wenn es heißt: „Und das Wort ist Fleisch geworden.“ Das Wort ist Mensch geworden, würde doch besser passen. Nein, Fleisch! Fleisch steht für die Hinfälligkeit des Menschen. Und das sei Gott geworden. So eine Aussage wird man in der ganzen römisch-griechischen Antike vermissen müssen. Auch das Alte Testament kennt nichts Ebenbürtiges. Bei den alten Griechen findet sich der Satz: „Wie schön ist der Mensch, wenn er wirklich Mensch ist.“ Die Fleischlichkeit des Menschen wird dort eher mit einem Grab der Seele verglichen.
In dieser etwas deftig anmutenden Aussageweise steckt doch eine tiefe Bedeutung der ganzen Mission Jesu Christi hier auf Erden. Drei Aspekte:
1. Der Gottmensch Jesus kommt nicht triumphierend, er kommt arm, leise, von der Allgemeinheit unerkannt. Er unterstellt sich dem Gesetz. Kurz nachdem Jesus das Licht der Welt erblickt hat, wird er in den Tempel gebracht, um ihn, wie es das Gesetz vorschreibt, dem Herrn zu weihen. Der Herr über das Gesetz wird dem Gesetz unterstellt. Über die längste Zeit seines irdischen Daseins lebt er ein total verborgenes Leben in Nazareth. Von dieser Zeit wird wenig berichtet, außer, dass Er an Alter und Weisheit zunahm und ihnen – seinen Eltern – Untertan war. Am Sabbat ging er wie gewohnt in die Synagoge. Zimmermannssohn wird er genannt. Mit Recht wird man annehmen können, dass er dieses Handwerk auch ausgeübt hat.
2. Die zweite Grundhaltung betrifft seine Sendung. Jesus trat nicht in eigenem Namen auf. Er wusste sich gesendet: „Der Geist des Herrn ruht auf mir. Er hat mich gesandt (…).“ Sein Wirken ist fortan Verkündigung. Jesus predigt aber nicht wie Johannes der Täufer die Feuertaufe, er droht nicht, er wirbt vielmehr um das Reich Gottes: „Kehrt um, das Himmelreich ist nahe.“ Und er unterstreicht diese seine Worte mit Wundertaten und Zeichenhandlungen. Und was ganz wichtig ist; Jesus tut nichts aus sich heraus. „Ich und der Vater sind eins (…); ich tue nichts ohne den Vater.“ Es ist dies die Absage jeglicher Form einer „Ich-Religion“, die heute so sehr boomt; wie dies in der oft gehörten Aussage „Ich habe meinen Glauben“ zum Ausdruck gebracht wird.
Ich wurde einmal gefragt, was das Tröstlichste im christlichen Glauben sei. Mir kam spontan die Antwort: die Sendung. Ich bin gesendet. Ich bin nicht in eigener Mission unterwegs, muss nicht alles allein tun, von meiner eigenen Festplatte runterladen. Es steht einer hinter uns, oder wie es in der Adventszeit uns mehrmals kundgetan wurde: Mitten unter euch steht Er. Unerkannt zwar! Hinter uns steht eine Gerechtigkeit für alle, wenn wir es aus eigener Kraft nicht schaffen. Hinter uns steht Erlösung und Heilung, wenn die Welt nicht aufhören kann, Wunden zu schlagen, Hoffnungen zu enttäuschen. Er, der hinter uns steht, wird alle Tränen abwischen. Das ist die Verheißung. Wir sind nicht allein! Gott ist mit uns und er ist es vor allem mit den Armen und Zerschlagenen. Dort ist er auch zu suchen und dort ist ihm zu begegnen.
3. Aber aus dieser Sendung erwächst Größe. Sich senden lassen, drückt nicht nieder, sondern richtet auf, schenkt Kraft, Mut und Freude. Die Freude am Herrn ist meine Stärke, heißt es einmal in der Hl. Schrift. Aus Jesu Mund hören wir Worte, die seine göttliche Größe aufleuchten lassen, z.B. die vielen „Ich-bin-Worte“ aus dem Johannesevangelium: „Ich bin das lebendige Brot; Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; Ich bin die Auferstehung und das Leben“. Wer kann solche Worte sagen. Und schließlich die Worte, die ihn ans Kreuz brachten: „Ich bin der Sohn Gottes.“ Das sei Lästerung Gottes. Das wird in den meisten Fällen auch stimmen, aber nicht für den, der es ist und der es bleiben wird in Ewigkeit.
Liebe Brüder und Schwestern an diesen Grundhaltungen Jesu haben wir Anteil. Der Apostel der Adventszeit Johannes der Täufer legt dafür Zeugnis ab, wenn es heute im Evangelium heißt: „Ein Mensch trat auf, von Gott gesandt; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge.“ An anderer Stelle heißt es von ihm „Er bekannte und leugnete nicht!“
Das Wort ist Fleisch geworden, damit wir im Sinne Jesu Mensch werden können. Das ist die Frohe Botschaft von Weihnachten. Das ist unsere Freude; auch, wenn es uns zuweilen nicht so gut geht. Wir dürfen, ja sollen, sein Werk weiterführen. Der Geist des Herrn ruht nun auf uns, wenn wir den Armen die Frohe Kunde bringen, wenn wir den vielen in irgendeiner Weise Zerschlagenen zur Freiheit verhelfen, wenn wir das als Gesendete tun und nicht aufhören, davon zu sprechen und es weiterzusagen. Dann ist Weihnachten nicht nur ein Mal im Jahr, sondern der Normalfall von Bethlehem und Nazareth.