Polarisierungstendenzen werden deutlicher

SALZBURG (st.virgil/presseservice/nz) )/ Während Deutschland in Sachen Qualität der Demokratie erstmals in die Top 10 aufsteigt, rutscht Österreich auf Platz 26 der funktionierenden Demokratien ab. Dieser Befund war Ausgangspunkt der Tagung „Gespalten? Polarisierung und gesellschaftlicher Zusammenhalt“, zu der sich von 14. bis 16. Juni an die 230 Personen in St. Virgil trafen, um über das Thema zu diskutieren. Prominente Speaker waren unter anderem der ehemalige Bundesminister Rudolf Anschober, der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel sowie die ukrainische Autorin Kateryna Mishchenko und die Klimaaktivistin Lena Schilling. Organisisert wurde die Tagung von St. Virgil Salzburg, dem Friedensbüro, der Katholischen Aktion (KA), dem Internationalen Forschungszentrum (ifz) sowie dem Afro-Asiatischen Institut (AAI).
Der Fokus der Tagung lag auf Polarisierungstendenzen als Herausforderung – auch im Hinblick auf die Demokratie. Im Impulsvortrag nahm Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel dieses hochaktuelle Thema unter die Lupe und zeigte Ursachen und Wirkungen von Polarisierung auf:
Moralismus als Katalysator für Spaltung
Belegt durch empirische Daten, erklärte der emeritierte Direktor am WZB (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung), dass global gesehen in den letzten Jahren immer mehr Tendenzen zur Polarisierung sichtbar werden. Dabei muss nicht jede Polarisierung schlecht sein – beispielsweise fördere laut Merkel ein gewisses Misstrauen gegenüber einzelnen Politiker*innen die Partizipation und sei daher notwendig. „Schwierig wird es dann, wenn ein generelles Misstrauen gegenüber Institutionen entsteht“, so der Politikwissenschaftler, „oder – noch problematischer – wenn die Bürger*innen sich untereinander nicht mehr vertrauen.“ Ein wichtiger Aspekt dabei sei die Moralisierung: Moral sei wichtig für die Gesellschaft. Wenn sie sich allerdings zum Moralismus umkehrt, „wenn man die eigene Sichtweise als die einzig moralische und das Gegenüber folglich als unmoralisch sieht, dann wird es gefährlich“, so Wolfgang Merkel. So entstünden zwei Lager, zwischen denen die Kommunikationskanäle oft abbrechen.
Wie fühlt sich Polarisierung am eigenen Leib an?
Ausgesuchte Personen stellten sich für lebensgeschichtliche Interviews zur Verfügung, darunter auch Rudolf Anschober (Bundesminister a.D.) und Kateryna Mishchenko, die als sowjetisches Kind in die Ukraine kam und inzwischen in Berlin lebt. Sie brachte den Aspekt ein, wie Spaltung von außen gesteuert werden kann: „Die russische Seite und die ukrainischen Machteliten hatten Interesse an der Spaltung der Gesellschaft in der Ukraine. Und diese künstliche Spaltung war so erfolgreich, dass die Welt nicht wahrgenommen hat, dass Russland schon 2014 die Ukraine angegriffen hat. Man hat es für einen internen Konflikt gehalten.“
Rudolf Anschober gab zu bedenken, dass Polarisierung auch das Wachsen einer Demokratie positiv beeinflussen kann, da man lernt, sich eine Meinung zu bilden. Aber: „Polarisierung kippt, wenn sie in Aggression umschlägt und diese auf die individuelle Ebene gezogen wird, ganz konkret in die Familie – beispielsweise, wenn nahestehende Menschen konkrete Morddrohungen erhalten, nur weil ich in der Corona-Krise auf eine gewisse Art und Weise agiere.“
Gemeinsam Krisen bewältigen
Fazit: Polarisierung steigt aktuell weltweit stark an und stellt Demokratie und Gesellschaft vor große Herausforderungen, sie bietet aber auch Chancen. In der Diskussion stellte sich heraus, dass es durchaus Wege aus der Spaltung gibt – gut sichtbar in den Good Practice Beispielen, die von Stiegenhausgesprächen und Demokratie-Repair-Cafés oder Dialog inmitten des Kriegs berichten: „Die Lösung ist Kommunikation“, fasst Gunter Graf, Tagungsverantwortlicher in St. Virgil, zusammen. „Wenn Menschen miteinander reden und die Kommunikationskanäle wieder öffnen, wirkt das der Spaltung entgegen. Zusammenhalt entsteht.“
Foto (v.l.): Kateryna Mishchenko (Schriftstellerin), Hans-Peter Graß (Friedensbüro), Julia Herrnböck (Investigativjournalistin), Jakob Reichenberger (Direktor St. Virgil), Lena Schilling (Klimaaktivistin), Rudolf Anschober (Bundesminister a.D.), Gunter Graf (Studienleiter St. Virgil), Wolfgang Merkel (Politikwissenschaftler).
Foto: © Friedensbüro/Sturmer