Pilgern per Pedal

Oberpinzgau. Die Speichen drehen sich beständig, die Reifen graben sich in die nasse Erde, Tropfen spritzen vom satten Boden und malen Muster auf die Hosenbeine der Radler. „Wir lassen uns auf ein Abenteuer ein, wir wissen nicht, wie weit wir kommen, was uns auf dem Weg erwartet. Wir setzen uns der Natur aus“, haben Pfarrer Oswald Scherer und Sr. Christa Baich bei der spirituellen Einstimmung zu Beginn der Tour gemeint. Und nun ist es wirklich so: Der Regen prasselt herab, die Schuhe der Radpilger verwandeln sich langsam in ein feuchtes Biotop – einen Tag später wird man dazugelernt haben, der Herbergsgeberin sei dank, und die Füße zusätzlich in Gefrierbeuteln verstaut haben.
Durch eine Kulisse aus Strommasten, Heustadeln, sattem Grün und Kirchtürmen, die ab und zu am Horizont auftauchen, führt der Weg durch den Oberpinzgau, von den Krimmler Wasserfällen zum Rupertuskreuz im Bischofshofener Gotteshaus. Allmählich findet jeder in sein Tempo. Das Wasser begleitet uns auf dieser Reise – bis hin zur abendlichen Dusche, die dankbar genossen wird. Es geht auch vorbei an Staubecken, die zeigen, was die gebündelte Kraft dieses Elements auszurichten vermag, vorbei an Wasserfällen, in die Tiefe donnernde Gischt, die sich noch hundert Meter weiter in Tropfen auf dem Gesicht niederlässt, unschuldig fast, und doch lassen sie die Macht der in die Tiefe donnernden Massen erahnen.
Während wir uns vom Wasser in seiner vielfältigen Gestalt begleiten lassen, machen wir uns auf die Suche nach den Quellen unseres Glaubens, lassen uns mitnehmen vom Strom des Lebens. So wird das Wasser für uns zum Symbol des Unterwegsseins im Leben und im Glauben. Immer wieder kehren wir zu spirituellen Impulsen auch in die Kirchen und Kapellen am Wegesrand ein.
Radreisen mit Mission
Das Pilgern trifft den Geist einer hektischen Zeit: Zwischen den Erwartungen, die die Welt und wir selbst an uns richten, reiben wir uns auf und vergessen auf unsere eigentlichen Bedürfnisse zu hören. Auf das eigene Ich zurückgeworfen wird man heute neben sakralen Orten fast nur noch in der Natur. Künstler ziehen sich ins Klos-
ter zurück, versuchen in den Rhythmus ihres Selbst zu finden, Manager und Studenten suchen das Aus auf dem Jakobsweg. Deren Zahl steigt Jahr für Jahr. 262.458 Menschen wurden 2015 im Pilgerbüro in Santiago registriert, 25.000 mehr als im Jahr davor – dazu kommen jene, die auf ihre Urkunde verzichtet haben. Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich die Zahl der Pilger auf dem Jakobsweg fast verdreifacht.
Schwieriger ist es, die Zahl der Radpilger festzustellen. Fakt ist, dass das Angebot da ist: Auf alten Pilgerrouten und modernen Radfernwegen gelangen Radfahrer zu Kirchen, Klöstern und Wallfahrtsorten von historischer Bedeutung, etwa auf dem Donau-Alpen-Adria-Radpilgerweg, der sich von Passau nach Grado 575 Kilometer an wichtigen Marien-Wallfahrtsorten entlangzieht.
„Man ist in der Natur unterwegs, spürt den eigenen Körper, ist nahe am wirklichen Leben dran. Gleichzeitig ist man schneller unterwegs, als man das zu Fuß wäre – und doch hat es etwas Spirituelles“, beschreibt Pfarrer Scherer den eigenen Reiz dieser Form des Pilgerns. Die Route durch den Oberpinzgau führte ihn und 13 Mitstreiter in drei Tagesetappen je 40 Kilometer den Tauernradweg entlang.