Pfingstpredigt
Liebe Schwestern und Brüder,
Gewöhnlich findet zu Pfingsten im Salzburger Dom das große Fest der Jugend statt. Bis zu 10.000 Jugendliche sind jedes Jahr zu Pfingsten nach Salzburg gekommen und verbrachten viel Zeit im Lobpreis Gottes. Wir vermissen diesen pfingstlichen Elan heuer; andererseits freuen wir uns aber auch, dass wir dieses Jahr in der Domkirche als Volk Gottes das Fest des Heiligen Geistes feiern können. Diese Freude hat uns die Not des Coronavirus beschert. Nein: Nicht die Not ist der Antrieb, sondern der Hl. Geist. Als Christinnen und Christen sind wir positiv gestimmt, auch wenn so manche Mühe uns zugemutet wird. Letztlich ist es Fügung; Gottes liebevoller Blick ist auf uns gerichtet, gerade dann, wenn dunkle Wolken uns das Licht der Sonne verdecken. Wir sind nicht allein. „Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt“, lautet der letzte Satz im Evangelium nach Matthäus.
Das Pfingstfest wird von den ersten Jüngern Jesu wie ein erneuertes Ostern erlebt: Der Herr ist auferstanden, er lebt, mehrmals hat sich seinen ersten Gefährten und Gefährtinnen gezeigt – das ist eine so umwerfende Erfahrung, die an die Grenze des Fassbaren stößt. Denken wir nur, es würde ein uns lieber Verstorbener plötzlich vor uns stehen. Unsere Sinne würden gewiss verrücktspielen. Nach anfänglichen Irritationen keimte damals bald große Freude und Begeisterung auf, und dennoch blieben die ersten Zeugen und Zeuginnen eine verschreckte Gruppe. Wir haben es heute im Evangelium gehört. Aus Furcht versammelten sie sich am Abend des ersten Tages hinter verschlossenen Türen. Und da tritt Jesus in ihre Mitte und wünscht den Frieden. Wiederum erst einmal Zurückhaltung; hingegen kommt Freude auf, als er ihnen seine Wunden an den Händen und der Seite zeigt. Das ist höchst bemerkenswert. Der Auferstandene wird an den Wunden erkannt. Die Zeichen seines Scheiterns weisen ihn aus, nicht jedoch der verklärte, wieder erstandene, Leib.
Als Christen werden wir auch nicht anders glaubwürdig sein und erkennbar bleiben als durch die uns zugefügten Wunden, die jedoch aufgrund der steten Bereitschaft zur Versöhnung und noch größeren Bereitschaft zu verzeihen und um Verzeihung zu bitten, zu leuchten beginnen. Jesus hat am Kreuz die große Versöhnungstat eingeleitet: „Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk. 23,34) Mit den Worten „Vater in deine Hände lege ich meinen Geist“ …, „hauchte er den Geist aus“. (Lk. 23,46) Der Vater seinerseits haucht den ihm zurückgegebenen Geist Jesu erneut durch die Auferweckung Leben ein. Der Auferstandene zeigt sich seinen Gefährten; an den Wunden erkennen sie den Meister. Er wünscht ihnen Frieden und er haucht sie mit dem Geist Gottes an: „Empfangt den Heiligen Geist.“ Aber was tun die Jünger? Sie gehen nicht hinaus die Frohe Botschaft zu verkünden, sie verharren weiter hinter verschlossenen Türen.
Liebe Schwestern und Brüder, wurden nicht auch wir in Taufe und Firmung vom Geist Gottes angehaucht? Was hat sich seither getan? Auch wir verbleiben mit der Gabe Gottes, das ist der Heilige Geist, hinter verschlossenen Türen. Das Leben, den Alltag, versuchen wir vornehmlich mit dem eigenen Geist zu meistern. Der Beistand Gottes, der Heilige Geist, geniest über weite Strecken ein verschlossenes Dasein; der Geist der Erneuerung, der Vergebung und Versöhnung, möchte uns hingegen hoffungsvoll antreiben, mitzuwirken am Gelingen der Gesellschaft. Warum ist das so? Ich glaube, weil die eigentliche Kraft des Hl. Geistes kein einzelnes oder partikulares Geschehen ist, sondern die volle Kraft sich erst dann entfaltet, wenn – wie es die Apostelgeschichte berichtet – alle am selben Ort zusammen sind. Nun können wir fragen: Wer waren damals jene „alle“, die am selben Ort versammelt waren? Die Apostelgeschichte nennt sie. Es waren die Jünger, die Jesus von Anfang an gefolgt sind; es waren die ersten Auferstehungszeuginnen, Frauen, die frühmorgens, als es noch dunkel war, das Grab aufsuchten und fürs Erste nur Leere vorfanden, aber auch jene Jüngerinnen, die mit Jesus und den anderen Jüngern durch das ganze Land wanderten. In der Versammlung waren schließlich auch Familienangehörige Jesu und jene Frau, mit der die Menschensohn-Geschichte Gottes angefangen hat, Maria, die Mutter Jesu. Alle: Das war damals die betend wartende Urgemeinde und die sollen wir heute sein. In der Taufe und Firmung wurden wir angehaucht und nun sind wir im Gebet versammelt.
Der pfingstliche Geist wirkt sich zweifach aus: Die Menschen hörten die Urgemeinde in verschiedenen Sprachen, auch in ihrer eigenen, reden – das Hörwunder; und zweitens: die Gemeinde begannen in diesen anderen Sprachen zu reden, so wie es der Geist eingab – das Sprachenwunder. Darauf kommt es an: Mit dem Geist Gottes die Sprache jener zu hören, die rufen, bitten und flehen und in demselben Geist Gottes zu lernen, in diesen Sprachen zu reden. Beides weist darauf hin, dass wir füreinander geschaffen sind – Einer trage des Anderen Last. Leid und Freud teilen, gemeinsam den Lebensweg wagen und Gott nicht aus dem Auge und dem Herzen zu verlieren. Vielmehr ist es heute jedoch so: Weithin herrscht eine „Ich-Religion“. Wo doch gerade in dieser Zeit der Prüfung und Not das gemeinsame Engagement unser erstes Anliegen sein soll, zu tun und zu reden, was der der Geist eingibt.
Es ist dies, wie es das Hirtenwort der Bischöfe anlässlich des Pfingstfestes formuliert, der Geist der Dankbarkeit und der Demut; der Geist der Versöhnung und Verbundenheit, der Geist der Aufmerksamkeit und Solidarität; der Geist der Wertschätzung und Lernbereitschaft, der Geist der Achtsamkeit und Entschlossenheit, der Geist der Lebensfreude und Geduld und schließlich der Geist des Vertrauens und der Zuversicht.
Liebe Schwestern und Brüder, ich schließe mit einem Wort von Bischof Johann Weber, den wir am Mittwoch zu Grabe tragen; er war ein Apostel der Menschenfreundlichkeit. In diesen Tagen wurde in den Medien ein Schlusssatz aus einer seiner vielen Predigten zitiert:
„Das Vertrauen hat den längeren Atem als die Angst.“
Vertrauen wir dem Heiligen Geist, vertrauen wir dem Nächsten und vertrauen wir auch uns selbst.
Amen.