Patriarch Sako warnt vor neuer Gewalt im Nordirak

SALZBURG (eds-kap / 26. 9. 2017) / Sehr besorgt über die Zukunft der Christen im Irak hat sich der chaldäische Patriarch Louis Sako gezeigt. Im Beisein von Erzbischof Franz Lackner hielt er gestern Abend den Hauptvortrag bei der Jahrestagung der Initiative Christlicher Orient (ICO) in St. Virgil. Nach der Befreiung des Irak von der Terrortruppe des IS habe unter den Christen Aufbruchsstimmung geherrscht, so Sako. Die ersten christlichen Flüchtlinge seien bereits in ihre befreiten Dörfer und Städte in der nordirakischen Ninive-Ebene zurückgekehrt. Durch das gestrige Unabhängigkeitsreferendum der Kurden stelle sich die Situation nun aber wieder komplex und unsicher dar. "Wir wissen einfach nicht, was die Zukunft bringt. Die Menschen haben Angst".
Prinzipiell habe jedes Volk das Recht, über die eigene Zukunft zu entscheiden, hielt der Patriarch fest, doch der Zeitpunkt für das Referendum sei falsch. "Das kommt alles viel zu schnell, ohne entsprechenden Dialog zwischen der kurdischen Regionalregierung und der Zentralregierung in Bagdad".
Aber nicht nur mit der Zentralregierung gebe es massive Spannungen, betonte Sako. Er verwies auf die massiv ablehnende Haltung der Nachbarstaaten Türkei, Iran und Syrien wie auf die ablehnende Haltung der internationalen Staatengemeinschaft. Er habe Angst vor einem neuen Krieg in der Region, so der Patriarch. Die irakische Armee sei wieder stark aufgerüstet, dazu kämen die vom Iran unterstützten schiitischen paramilitärischen Gruppen im Land. Noch einen militärischen Konflikt, bei dem die kleine christliche Minderheit zwischen die Fronten gerät, würde diese wohl nicht mehr aushalten. Dann würden die meisten Christen wohl endgültig das Land verlassen. Dabei seien sie gerade erst dabei, ihre vom IS zerstörten Häuser und Dörfer wieder aufzubauen. Damit dies gelinge und die Christen sich wieder eine Existenz schaffen könnten, brauche es zuallererst Stabilität in der Region.
Laut Patriarch Sako gibt es nicht einmal mehr 500.000 Christen im Irak. Rund 140.000 davon würden im Nordirak leben, der größere Teil noch in Bagdad. Genaue Zahlen gebe es freilich nicht. Noch seien diese christliche Gemeinden recht stark und vital. Der Patriarch appellierte an die Kirchen im Westen, besonders den Christen im Orient Hilfe zukommen zu lassen. "Die Sunniten in der Region bekommen Hilfe von Saudi Arabien oder Katar, die Schiiten vom Iran, die Christen von niemandem", so sein Befund.
Islam braucht Reformen
Zum Islam sagte der Patriarch, dass dieser ohne innere Reform keine Zukunft habe. Das mahne er auch immer wieder im Dialog mit islamischen Autoritäten ein. Erste kleine positive Ansätze ortete er in Tunesien und Algerien, wo es - laut Sako - inzwischen möglich ist, dass Muslime zu anderen Religionen konvertieren, ohne mit drastischen Sanktionen rechnen zu müssen.
Der Patriarch mahnte die westlichen Staaten zudem, stärker auf eine Integration der ankommenden Muslime zu drängen, und rief dazu auf, auch weiterhin gegenüber dem IS-Terror wachsam zu sein. Auch wenn der IS militärisch weitgehend geschlagen sei und große Teile seines Territoriums bereits verloren habe, sei die IS-Ideologie noch lange nicht besiegt.
Überwältigende Mehrheit für Abspaltung
Unterdessen zeichnete sich noch in der Nacht beim Referendum der Kurden eine überwältigende Mehrheit für eine Abspaltung vom Rest des Landes ab, wie die APA berichtete. Die Wahlkommission in Erbil rechnete nach ersten Auszählungen damit, dass mehr als 90 Prozent der Wähler für die Unabhängigkeit gestimmt haben. Ungeachtet der politischen Konflikte findet in Rom diese Woche eine internationale Konferenz statt, bei der die weitere Hilfe für die christlichen Dörfer und Städte in der Ninive-Ebene koordiniert werden soll.
Zur Eröffnung der ICO-Tagung hatte bereits gestern Vormittag der Linzer Bischof Manfred Scheuer zur Hilfe für die Christen vor Ort aufgerufen. Scheuer verwies auf die "Aktion Heimkehr", die sich zum Ziel gesetzt habe, das christliche Dorf Baqofa, das rund 25 Kilometer nördlich von Mossul liegt und als Österreich-Dorf bezeichnet wird, wieder aufzubauen. Scheuer appellierte an die heimische Politik und Wirtschaft, sich den Bemühungen der heimischen Hilfsorganisationen anzuschließen.
"Umbrüche im Nahen Osten"
Die ICO-Tagung steht heuer unter dem Motto "Umbrüche im Nahen Osten" und versucht, einen Spannungsbogen über die Länder des Nahen Ostens zu ziehen; von der Türkei über Syrien in den Irak und Iran, vom Libanon bis Ägypten. Mitveranstalter der Tagung ist die Salzburger Sektion der Stiftung "Pro Oriente". Von Seiten der heimischen Bischöfe nehmen neben Manfred Scheuer auch der Salzburger Erzbischof Franz Lackner, Militärbischof Werner Freistetter und der Salzburger Alterzbischof Alois Kothgasser an der Tagung teil.
Die "Initiative Christlicher Orient" unterstützt seit vielen Jahren die Christen in Syrien, im Irak, im Libanon oder auch im anatolischen Tur Abdin. Die Arbeit der von Prof. Hans Hollerweger gegründeten ICO begann 1989 mit dem Einsatz für die bedrängten christlichen Gemeinden in der Südosttürkei ("Tur Abdin"), später wurde die Hilfe auf den gesamten Orient ausgeweitet.
Foto: Patriarch Louis Sako appellierte in St. Virgil an die weltweite Solidarität der Christen, damit die Minderheit im Irak überleben kann. Foto: EDS