Ostkirchenexperte Winkler: Papst sollte in die Ukraine reisen

BONN / SALZBURG (kap) / Ein persönliches Treffen von Papst Franziskus mit Patriarch Kyrill wäre nach Ansicht des Salzburger Ostkirchenexperten und Vorsitzenden der Salzburger Pro Oriente-Sektion Prof. Dietmar Winkler zum gegebenen Zeitpunkt das falsche Signal. Moskau würde dies für sich und seine Kirchenpolitik vereinnahmen, zeigte sich Winkler im Interview mit der deutschen "Katholischen SonntagsZeitung" (aktuelle Ausgabe) überzeugt.
Das richtige und stärkere Friedenszeichen wäre es, wenn Papst Franziskus jetzt nach Kiew reiste, um seine Solidarität mit den unter den Zerstörungen Leidenden und vom Krieg Flüchtenden auszudrücken. Das entspräche durchaus dem Selbstverständnis von Papst Franziskus, "der weiß, an die Ränder der Gesellschaft zu gehen. Also nicht in den Patriarchenpalast nach Moskau, sondern zu den zerstörten Kirchen der Ukraine!"
Das Verhalten von Patriarch Kyrill, werde von Tag zu Tag, mit jeder Bombe und jedem Toten mehr, unerträglicher, so Winkler: "Dies ist eine Pervertierung des Evangeliums und der Botschaft Jesu." Man werde erst dann zu einem ehrlichen theologischen Dialog zurückkehren können, wenn hier deutliche Worte gesprochen werden.
Rom muss Klartext sprechen
Grundsätzlich sei es freilich notwendig, im Gespräch zu bleiben. "Wenn Gesprächsfäden abreißen, dann bleibt auch keine Möglichkeit mehr, auf das Moskauer Patriarchat einzuwirken". Das letzte Online-Gespräch zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kyrill hat für den Theologen aber einen höchst schalen Beigeschmack hinterlassen: "Der seit Jahren äußerst vorsichtige Umgang Roms mit Moskau hat zur Folge, dass das russische Patriarchat den Vatikan stets für seine Interessen zu instrumentalisieren weiß."
Papst Franziskus sei in seiner Verurteilung der völkerrechtswidrigen Aggression klar. Von Patriarch Kyrill, der mit der Politik Putins Hand in Hand geht, komme hingegen eine Rechtfertigung des Krieges gegen die Ukraine. Nun werde vom Moskauer Patriarchat aber verbreitet, "dass Franziskus und Kyrill die Lage in der Ukraine ähnlich bewerten. Das ist absurd." Nachsatz: "Rom wird mit Moskau wesentlich klarer sprechen müssen, das darf man auch von einem Dialog der Wahrheit erwarten."
Vom Moskauer Patriarchat ist aus heutiger Sicht und aufgrund der bisherigen Erfahrungen der postbyzantinischen "Sinfonie von Staat und Kirche" in Russland kein konkreter Schritt zu erwarten, der zur Beendigung des Krieges beiträgt, so Winkler. Auch sehe sich das Patriarchat nicht in der Verantwortung. Hier seien bei weiteren Gesprächen eindeutige Worte aus Rom vonnöten.
Prof. Winkler wies allerdings auch darauf hin, dass nicht die gesamte Russisch-orthodoxe Kirche gleich zu beurteilen sei. Auch russisch-orthodoxe Gläubige und Gemeinden, und auch jener Teil der orthodoxen Kirche in der Ukraine, die zum Moskauer Patriarchat gehört, stellten sich klar gegen den Krieg und die russische Aggression.
Kritik an Moskauer Afrika-Politik
Kein gutes Haar ließ der Ostkirchenexperte auch an der Afrika-Politik des Moskauer Patriarchats. Moskau übe Druck auf jene orthodoxen Kirchen aus, die die autokephale ukrainisch-orthodoxe Kirche anerkannten. So habe man im vergangenen Dezember ein eigenes Exarchat und diözesane Strukturen in Afrika errichtet. Afrika sei aber seit der Antike das kanonische Territorium des Patriarchats von Alexandrien.
Offiziell begründe Moskau seinen Schritt allein damit, dass sich das Patriarchat von Alexandrien mit der Anerkennung der "schismatischen" ukrainischen orthodoxen Kirche selbst ins Schisma begeben habe. Daher müsse man den Geistlichen und Gläubigen in Afrika rechtgläubige Strukturen schaffen, so Winkler: "Dass der Leiter des Moskauer Außenamtes, Metropolit Hilarion, Anfang Februar, als er eine Auszeichnung von Präsident Putin erhielt, in dessen Anwesenheit sagte, die Afrikaner benötigten die Hilfe Russlands, passt hier gut ins Bild obskurer Realitätskonstruktion."