Ostersonntag
Liebe Schwestern und Brüder!
Der biblische Mensch hatte, im Gegenteil zu uns, noch Zeit. Seine Lebenserwartung war um ein Vielfaches kürzer, aber Eile und Stress waren Ausnahme. Das schlägt sich auch in der Heiligen Schrift nieder. Vom Laufen ist da selten die Rede. Und wenn man lief, dann war wirklich etwas los. Solche Situationen sind für uns sehr aufschlussreich. Zum Beispiel: Wenn in der damaligen patriarchalen Kultur, wo dem Vater sogar eine gewisse Form von Gerichtsbarkeit zukam, ein Vater seinen Sohn von ferne heimkommen sieht und diesem auch noch entgegenläuft, obwohl er sein Erbe verprasste, dann ist wirklich etwas los. Mit diesem Gleichnis wollte Jesus etwas von Gott kundtun, das revolutionär anders ist als bisherige Gottesvorstellungen.
Am Ostermorgen ist auch viel vom Laufen die Rede, so berichtet es uns die Heilige Schrift. Maria von Magdala war schon frühmorgens, als es noch dunkel war, am Grab und sah, dass der versiegelte Stein weggerollt worden war. Sofort lief sie zu Petrus und meldete, man habe den Herrn weggenommen. Petrus und Johannes liefen schnell zum Grab. Geradezu minutiös wird uns berichtet, wie Petrus, der ältere, naturgemäß langsamer war und Johannes, der jüngere, schneller. Jedoch, am Grab angekommen wartet Johannes, bis Petrus kommt, auf dass der ältere zuerst ins Grab hinein gehe. Sie sehen Leinenbinden liegen – interessant, das Schweißtuch liegt zusammengebunden daneben. Sie sehen: Das Grab ist leer. Er ist nicht hier. Im Jüngeren – wiederum interessant – regt sich der Glaube. Es heißt: „Er sah und er glaubte.“ Daraufhin kehren sie wieder nach Hause zurück.
Was tut Maria? Sie war ja diejenige, die alles ausgelöst hatte mit ihrem frühmorgendlichen Gang zum Grab. Sie bleibt dort. Man könnte sagen: Trotzdem, obwohl es offensichtlich nichts mehr zu sehen gab, blieb sie am Ort ihrer Trauer. In diesem „trotzdem“ zeigt sich etwas für den Auferstehungsglauben Typisches; ein Element von Widerständigkeit. Sich nicht mit der normativen Kraft des Faktischen zufriedengeben.
Und Maria weint. Das zeigt, worin der tiefste Grund ihrer Resilienz liegt. Es ist die Sehnsucht, ihrem Herrn und Meister nahe zu sein, selbst wenn er tot ist. Sie gehörte zu der kleinen Gruppe Frauen, die mit dem jungen Johannes unter dem Kreuz ausgeharrt hatten.
Auferstehungsglaube bedeutet: Gott nahe zu bleiben, auch wenn dieser menschenfreundliche Gott bei den Menschen zunehmend an Bedeutung verliert.
Maria von Magdala wird in ihrer Sehnsucht nicht enttäuscht. Sie ist nach den Berichten die erste, die vom auferstandenen Herrn mit Namen angesprochen wird. „Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und sagte auf Hebräisch zu ihm: Rabbúni, das heißt: Meister.“
Darauf sprach Jesus ein anderes Wort zu ihr: „Halte mich nicht fest.“ Über diese Aussage habe ich viel nachgedacht. Wie können und dürfen wir es verstehen? Gewiss hatte sie zu diesem Jesus eine innige Beziehung und es scheint mir nicht ganz abwegig zu sein, dass sie ihn gerne berührte und umarmte. Menschen tun das gerne unter Freunden. Aber durch die schrecklichen Geschehnisse und darauf eine schier unglaubliche Überwindung von Tod und Leid, scheint mir doch so etwas wie eine ehrfürchtige Distanz eher angebracht zu sein.
Dieses Wort vom nicht Festhalten lässt noch eine zweite Deutung zu. Erkennen heißt für uns festmachen, es genau bestimmen. Wissen ist Macht, sagte eine Philosophie am Beginn der Neuzeit, als die Wissenschaft ihren Triumphzug antrat. Jesus spricht Maria mit dem Namen an. Der Name nennt das innerste Wesen der Person. Da betreten wir heiligen Boden. Da sollen wir keine Ansprüche stellen, Markierungen setzen wollen.
Erkennen heißt in diesem Bereich Sein-Lassen. Ich habe die Schweigegebote Jesu, die er oft nach großen Ereignissen ausspricht, in diesem Sinne verstanden. Fürs Erste einmal: Lass es sein! Lass los von deinen Vorstellungen und Erwartungen. Erst später, in weiterer Folge, kannst du es weitererzählen.
Wie immer im Glauben ist beides wichtig. Als Auferstehungschristen haben wir einen Auftrag für die Welt. Im Angesicht Gottes und seinem wunderbaren Erlösungswerk einfach da zu sein, loszulassen von unseren Vorstellungen und zumeist schlechten Erfahrungen, die uns oft bestimmen. Die Hl. Klara betete am Sterbebett: „Herr ich danke dir, dass du mich erschaffen hast.“ Und an diesem Ostersonntag müssen wir noch hinzufügen: „… dass du mich erschaffen hast und noch wunderbarer erlöst.“
Aber auch die Widerständigkeit schreibt uns der Glaube an die Auferstehung ins Herz. Wir dürfen uns nicht einfach damit abfinden, dass wenige hundert Kilometer von uns ein furchtbarer Angriffskrieg im Gange ist. Denken wir auch an alle anderen Schauplätze kriegerischer Auseinandersetzungen. Wir wollen, so wie die Frauen auf dem gottlosen Hügel Golgotha einst ausharrten, auf den heutigen Hügeln schwerster Nöte, betend bittend und helfend da sein. Ein häufiges Wort des auferstandenen Herrn ist Friede. Beten wir, dass auch in unseren Herzen Frieden herrsche; dort greift eine besondere Form von Unfrieden vermehrt um sich, das ist die Unzufriedenheit.
Bei jeder Heiligen Messe erinnern wir uns, was Jesus einst den Jüngern gesagt hat und heute uns sagt: „Was ich euch zurücklasse ist Frieden: Ich gebe euch meinen Frieden – einen Frieden, wie ihn die Welt nicht geben kann.“
Dieser Friede ist unsere Mission bei allem, was wir tun und wirken.
Amen!