Osternacht 2020
Liebe Schwestern und Brüder!
Dem Christentum wird auch Schwieriges zugemutet! Christsein kostet etwas! Auferstehung, das zentrale Mysterium unseres Glaubens, das wir in dieser Heiligen Nacht feiern, ist nicht etwas, worauf man ein Anrecht hat. Es ist ein Geschenk, letztlich wohl des Himmels. Und man sollte sich darüber nicht beschweren, weil wir nicht in der Weise feiern können, wie man es gewöhnt ist.
Nun leben auch wir in einer Notzeit. Gedenken wir der vielen, die in diesen Tagen Krankheit, Todes- und Zukunftsängste zu erleiden haben. Mit ihnen wollen wir in diesen Stunden fühlen und für sie beten. Es gibt allerdings Unmut, weil wir als Gläubige das religiöse Feiern nicht in der Fülle der Liturgie begehen können. Ich bitte hier um Verständnis. Bedenken wir doch unter welch großem Druck und welch großer Angst Gläubige seit alters her ihren Glauben unter großen Gefahren feiern konnten und können. Ich darf dazu ein Beispiel bringen:
Vor einigen Wochen war ein indischer Pater, Father Tom, zu Gast in Salzburg. Über 1 1/2 Jahre musste er in einem Gefängnis von Extremisten verbringen, nicht wissend was mit ihm geschehen würde; ob und wann man ihn umbringen würde. Einmal hieß es – so erzählte er – zur Osterzeit werde er wie sein Herr Jesus Christus umgebracht. In seiner finsteren Gefängniszelle zelebrierte er immer wieder Eucharistie, ohne eucharistische Gestalten, ohne Bücher, nur die Messtexte auswendig sprechend. Was mich an diesem Priester beeindruckte, war sein Resümee; Er habe keine schlaflosen Nächte, keinen Zorn oder Hass auf die, die ihn ins Gefängnis brachten. Father Tom wurde Schweres, Kerker und Todesdrohungen zugemutet. Er hat seinen Glauben nicht verloren und er hat diesen unter widrigsten Umständen gelebt; die Eucharistie, so wie es ihm möglich war, gefeiert, allein auf sich gestellt in feindlicher Umgebung. Uns wird in diesen Tagen vergleichsweise wenig zugemutet. Wir können nicht in gewohnter Weise das Hauptfest unseres Glaubens feiern. Darum sollen wir nicht mutlos und ungeduldig sein.
Das Osterevangelium ermutigt uns, einsame, beschwerliche Wege zu gehen. Wir haben es soeben gehört. Beim Anbruch des Tages gehen die Frauen zum Grab. An anderer Stelle heißt es, sie wollten den in der Schnelle bestatteten Meister die letzte Ehre erweisen und ihn mit wohlriechenden Ölen salben. Obwohl sie wissen, ein großer Stein versperrt ihnen den Weg; dennoch gehen sie weiter. Eigentlich müssten sie umkehren, denn sie können nicht das tun, was sie gerne möchten. Trotzdem gehen sie weiter. In diesem „trotzdem“ spiegelt sich eine Lebenserfahrung wider. Wir kennen solche Situationen des Lebens. Es spricht vieles dagegen und doch gibt man nicht auf. Liebe ist so. „Es ist Unsinn sagt die Vernunft. Es ist, was ist sagt die Liebe“, heißt in einem berühmten Gedicht von Erich Fried. In dem Wort „trotzdem“ liegt auch die Oster- und Glaubensdynamik verborgen. Gemeint ist damit nicht ein „trotziges“ dennoch, sondern ein, wie man es auch nennen kann „ich kann nicht anders“. Wenn Leute etwa sagen, die Hoffnung stirbt zuletzt. Von den ersten Christen hat es geheißen; „sperare contra spem“, sie hofften gegen jede Hoffnung. Sehr schön kommt diese Glaubensdynamik in den Bekenntnissen des Heiligen Petrus zum Ausdruck, wenn er mit dem Einsatz seines Lebens sagt: „Herr, wohin sollen wir gehen, denn nur Du hast Worte des ewigen Lebens“. Es gibt keine Alternative. Oder an anderer Stelle: Jesus fragt Petrus nach seiner Auferstehung am See dreimal: „Simon Petrus liebst du mich?“ Beim dritten Mal heißt es, da wurde Petrus traurig. Warum wurde Petrus traurig? Mit großer Wahrscheinlichkeit erinnerte er sich an den dreimaligen Verrat an Jesus. Zu präsent war offensichtlich sein Bekenntniswort: „Herr, wenn alle Dir Anstoß nehmen – ich werde an Dir niemals Anstoß nehmen.“ Und Jesus: „Ich sage dir: in dieser Nacht wirst du mich dreimal verleugnen.“ Was mag da in diesem Moment in Petrus vorgegangen sein? Gleichsam nackt, entblößt, aufgedeckt, wie es im Ernstfall wirklich um ihn steht. Es wird sich wohl so etwas wie ein letzter Rest an Sehnsucht in ihm gemeldet haben, denn seine Worte bewegen das Herz: „Herr Du weißt alles, Du weißt auch, dass ich Dich liebe.“
Trotz aller Schwäche, entgegen aller Widersprüchlichkeiten, die unsere Menschennatur abgrundtief zu prägen scheinen, bleibt die Sehnsucht. Sehnsucht lässt sich nicht auslöschen, so lange wir lieben, wollen wir glauben und hoffen. Das Wort „trotzdem“ ist im biblischen Sinn ein Sehnsuchtswort.
Davon waren die Frauen am Morgen nach dem Sabbat gewiss bestimmt, als sie bei Anbruch des Tages zum Grab gingen. Sehnsucht gibt es nur als Doppelphänomen von an sich widersprechenden Gefühlslagen: Ungewissheit und Wagnis, Angst und Freude. Die Frauen verließen das Grab voll Furcht und Freude.
In diesem Gemenge von Gefühlen begegnet ihnen der Auferstandene und begrüßt sie mit den Worten: „Fürchtet euch nicht! Geht und verkündet meinen Brüdern, sie sollen nach Galiläa gehen.“ Jesus schickt sie dorthin, wo alles angefangen hatte; in eine Zeit zurück, als das Reich Gottes die Dramatik und tödliche Logik des Kreuzes noch nicht kennen musste. Jesus sendet sie an den Ort der Berufungserfahrung. „Das Reich Gottes ist nahe; kommt her, folgt mir nach“, sind Anfangsworte seiner Mission. Galiläa ist der Ort der Berufung.
Mit der Aufforderung nach Galiläa zu gehen will der auferstandene Christus einen neuen Anfang setzen. Ostern schenkt neu die Gnade des Anfangs.
Auch unser Leben pendelt zwischen Galiläa und Jerusalem. Auch bei uns wechselt das Leben zwischen Enttäuschung und Entdeckung hin und her. Oft scheint es, das Leben mit seinen Visionen und Ideen hält nicht das, was es verspricht. Für das Glaubensleben ist eines wichtig: Verlieren wir nicht die Sehnsucht! Sie ist die Lampe, die uns in den leeren Gräbern unserer Zeit mehr sehen lässt, als bloßen gähnenden Abgrund, nämlich: Es gibt Auferstehung. Es gibt letzte Gerechtigkeit für alle. Und es gibt Erfüllung. Denn: Der Herr ist auferstanden. Amen.