Mariä Empfängnis
Liebe Schwestern und Brüder,
am letzten Sonntag habe ich wie in jedem Jahr das Adventsingen im Großen Festspielhaus besucht. Dort wird mit großem Engagement versucht darzustellen, was wir heute am großen Marientag feiern: Das stille, zärtliche Eingreifen Gottes in das Geschehen dieser Welt. Gott möchte Mensch werden.
Freilich ist eine derartige Darstellung eines so einzigartigen Ereignisses immer in Gefahr, nach zwei Seiten hin abzugleiten: Entweder ins rein Menschliche – man feiert eine Geburt, wie sie auch heute geschieht, vielleicht vielfach zu wenig bei uns; oder aber man überhöht das Geschehen ins rein Göttliche, so weit weg von der Sinnlichkeit dieser Welt, dass es nichts mehr aussagt. In beiden Fällen meine ich, dass das Geheimnisvolle dabei verloren geht.
An einer Stelle aber ist es der Regie und den Darstellern nach meinem Empfinden meisterhaft gelungen, diesem göttlich-menschlichen Geheimnis gerecht zu werden. Es war dies der Umschwung des Josef vom Nicht-Verstehen zum Verstehen, als er bemerkt, dass seine Anvertraute ein Kind erwartet; Josef ist ja nicht von Anfang an „eingeweiht“, er weiß mit dieser erschütternden Nachricht nicht umzugehen. Doch er gelangt vom Zweifel hin zum Verständnis dieses Geheimnisses, man könnte auch sagen, vom Nicht-Glauben-Können hin zu einem Herzensakt des Glaubens und Vertrauens.
In der Heiligen Schrift wird berichtet: Ein Engel erschien Josef und erklärte ihm die Umstände im Traum. Diese Szene vom schlafenden Josef und dem Engel wird berührend ausgeführt. Die Botschaft ist gesagt, und nun scheint es: Nicht mehr Josef ist unruhig, sondern der Engel – seine zarten Bewegungen mit den Händen, sein Hin- und Zurückbewegen, als wolle er gehen und doch bleiben, lassen etwas erkennen, das ich wie ein Zittern Gottes selbst verstehen möchte – ein Zittern des Himmels, nicht der Erde. Ein Zittern über die Frage: Ist diese Kunde in Josef der Menschheit zumutbar? Ist es nicht zu viel, allzu groß und zu tief?
Ja, Gott möchte Mensch werden; doch er möchte nicht das Menschsein vereinnahmen, sondern mit den Menschen auf Augenhöhe Gott sein. Der Engel, der vom schlafenden Josef scheiden will, stellte in der Aufführung letzten Sonntag die Ursehnsucht eines menschenfreundlichen Gottes wundersam dar. Ich war zu Tränen gerührt. Josef wacht auf und er glaubt. Auch ich bin aus meinem Schlaf der Zuversichtlichkeit aufgewacht und war bewegt und zugleich auch besorgt. Ich frage mich: Wie gehen wir mit dieser Intimität unseres Glaubens um, die auch Gott selbst erfasst? Wir haben über diesen zärtlichen, zitternden Glauben wunderbare Kathedralen gebaut – gestern wurde Nôtre Dame, „Unsere liebe Frau“, nach einem verheerenden Brand wiederaufgebaut, in Paris neu geweiht. Wir haben darüber eine großartige Lehre errichtet, wir haben das Zittern Gottes gleichsam dogmatisiert. Wir feiern heute im Hohen Dom zu Salzburg und in allen katholischen Kirchen der Welt eine mächtig und prächtig anmutende Liturgie: Maria, ohne Erbsünde empfangen. All das ist wichtig, ja notwendig, das Geschehene muss in Erinnerung bleiben.
Über all das vorhin Genannte kann man trefflich streiten, man kann auch gänzlich verschiedener Meinung sein – aber eines, liebe Schwestern und Brüder, dürfen wir nie vergessen: Was nämlich der Grundstein unserer Lehre und unserer reichen Überlieferung ist: allein die wundersame Übereinkunft Gottes mit der ganzen Menschheit in der Person Mariens aus Nazareth. Am Anfang steht dieser Übereinkunft steht das Unverständnis des Menschen, aber auch das Zittern Gottes darum. In Maria hat Gott ein kleines Stück Paradies bewahrt, wohinein er sein Wort der Menschwerdung ohne Macht, allein aus purer Freundlichkeit sprechen konnte.
Für Maria war es vielleicht leichter, so habe ich es einmal sagen hören, ein einziges Mal dieses Wunder zu erfahren, als damit ein Leben lang zu leben, bis in die Niederungen des Alltags. Aber gerade das zeichnet sie als Lichtgestalt aus – es ist auch ihr zitternder Glaube: Was in ihr geschehen ist, möge sich auch in der Welt als wahr erweisen.
Papst Franziskus hat für dieses Kirchenjahr ein so genanntes Heiliges Jahr ausgerufen, wie es alle 25 Jahre geschieht. Wir bereiten dieses Heilige Jahr auch in unserer Erzdiözese vor, wir haben uns bereits einiges vorgenommen. So möchte ich auch Sie alle einladen: Begeben wir uns auf die Spur des Heiligen. Heiligkeit ist kein Prädikat, keine Fähigkeit, kein Talent – sie geschieht durch die Berührung mit diesem Gott, der sich uns in Maria so wunderbar offenbart und gezeigt hat. Dafür wollen wir sensibel, aufmerksam und wachsam sein, für den zitternden Glauben in uns, in unseren Herzen, so dass die Sehnsucht erwachen möge, dass neu wahr werde, was sich in Nazareth einst wahrhaftig ereignet hat. Amen.