Kirchen dienen der Feier des Glaubens, sind Rast- und Gasthaus

SALZBURG (23.6.2017 - eds/Kerschbaum)
Kirchliche Versammlungsorte sind so alt wie das Christentum. Wurden zunächst Privaträume für Liturgiefeiern genützt, so gab es spätestens seit dem 3. Jh. n. Chr. Hauskirchen, eigens umgebaute Räume in Wohnhäusern. Die Existenz von Kirchen ist bereits aus der Zeit vor der Legalisierung des Christentums durch Quellentexte bezeugt. Der nach 313 (Mailänder Vereinbarung) einsetzende Kirchenbau orientierte sich nicht an antiken Tempeln (als Haus des Götterbildes und ihrem exklusiven Zutrittsrecht für Kultdiener), sondern an den öffentlichen Markt- und Gerichtshallen, den Basiliken. Kirche als Haus Gottes sollte das Haus der Menschen sein und allen offen stehen. Die christliche Gemeinde als Tempel des Heiligen Geistes (vgl. 1 Kor 3,9.16) ist die eigentliche Kirche, die das gebaute Haus mit Sinn und Leben erfüllt. Die Basilika wird in ihrer prächtigen Ausstattung wie alle später folgenden Kirchen zu einem Schatzhaus von Kunst und Glaube. Denn sie weist als Wegkirche und Abbild des himmlischen Jerusalem auf Christus hin und wird zu seinem irdischen Thronsaal (vgl. Offb 21,3). Kirchen bestehen aus dem gleichen Material wie andere Gebäude. Und doch wollen sie „Andersorte“ sein. Licht, Farben und Materialien ermöglichen in Verbindung mit der Architektur geistige Erlebnisräume, in denen der Mensch andere Erfahrungen machen kann wie in Profanbauten. Verschiedene Stile haben dies auf unterschiedliche Weise dargestellt.
Architektur im Wandel
Die Romanik versuchte es mit bergenden Gottesburgen (vgl. Ps 9,10; 31,3f.). Die in die Höhe strebende Gotik schuf einen „Glaspalast“ der Kathedrale aus durchlichteten Wänden, der Christus als Licht spürbar machen sollte (vgl. Joh 8,12). Für Kirchen der Renaissance sind die Proportion, Harmonie und Vollkommenheit Ausdruck des Göttlichen. Barocke Kunst dynamisiert die Architektur. Sie reißt den Himmel der Illusion auf, illustriert den Glauben mit systematischen Bildprogrammen und verwandelt Räume in glänzende Säle im Dialog zwischen sinnlicher und transzendenter Wirklichkeit. Die Moderne reduziert diese „Sinnlichkeit“ oft zugunsten einer „erfüllten Leere“, in der allein Architektur, Licht und Farbe wirken sollten, wobei sich gerade die Architektur seit den 1950er-Jahren im kirchlichen Bereich einer ungeheuren Vielfalt erfreuen darf. Zeltkirchen (z. B. Salzburg Taxham oder ev. Kirche in Innsbruck Reichenau) und Kirchen in Schiffsform sind Beispiele einer Bandbreite, die sich auch in neuen Konzepten zur Raumgestaltung (z. B . Communioräume wie in Innsbruck Kranebitten) fortsetzen. Daneben versuchten neue Pfarrzentren, Kirche als „Wohnung“ erfahrbar zu machen, wobei das Modell multifunktionaler Kirchenräume (z. B. erster Bau von Salzburg St. Paul) zugunsten eigener Sakralbauten oft wieder aufgegeben worden ist.
Verschiedene Funktionen
Kirchen werden primär als Orte zur Feier des Glaubens und zur Begegnung zwischen Mensch und Gott erbaut. Darüber hinaus haben Kirchen viele andere „Funktionen“. Sie verstanden sich in einem Zeitalter der staatlich unsicheren Rechtslage als Schutzräume im Sinne des Kirchenasyls. Kirchen dienen immer dem persönlichen Gebet. Gerade Wallfahrtsorte, ihre Votivgaben und die Heiligenverehrung sind Ausdruck der persönlichen Nöte, Anliegen und Schutzbedürftigkeit des Menschen. Kirchen dienen heute wieder vermehrt als Rückzugsorte der Stille. In einer Zeit der Hektik braucht es ein Rasthaus der Seele, wo der Mensch nichts leisten muss, wo er einfach da sein darf. Kirchen sind auf vielfältige Weise Gasthäuser, nicht nur des Glaubens, sondern auch der Kunst und Kultur. Kirchen ziehen in vielen Tourismuszentren Millionen Menschen an. Sie zeigen künstlerische Schätze und wollen zugleich eine Brücke zu den unsichtbaren Schätzen des Glaubens schlagen. Sie sind als die ältesten Religionsbücher in sich ruhende „Geistesriesen“, die durch den Herzblick des Betrachters wieder lebendig werden. Hier leistet Musik in der Kirche einen großen Beitrag, da sie nonverbal und unmittelbar berühren kann. Es ist daher Aufgabe kirchlichen Bauens, durch die Materie spürbare Transzendenz zu vermitteln. Kirchen offenbaren und sind zugleich Orte von Geheimnissen. Sie entgrenzen, wollen zugleich bergen sowie dem Menschen als Ort der vielfältigen Begegnung ein Stück weit Verwandlung anbieten.
Roland Kerschbaum ist seit 2011 Diözesankonservator der Erzdiözese Salzburg.
Dieser Text erschien ursprünglich in: Moment, Sonderbeilage der Tiroler Tageszeitung. Lesen Sie die ganze Ausgabe <link>hier.