Kann es eine gemeinsame ökumenische Ethik geben?

Ioan Moga, rumänisch-orthodoxe Kirche, Olivier Dantine, Superintendent der Evangelischen Superintendentur A. B., Erzbischof Franz Lackner, Angelika Walser, katholische Moraltheologin Salzburg, Dietmar W. Winkler, Vorsitzender PRO ORIENTE Salzburg (v.l.)
SALZBURG (eds) / Beim jährlichen ökumenischen Empfang heute Abend im Kardinal-Schwarzenberg-Haus referierte die Moraltheologin Angelika Walser im Beisein von zahlreichen Vertreterinnen und Vertretern der Salzburger Ökumene und der Stiftung PRO ORIENTE Salzburg über die Situation und Zukunft einer gemeinsamen Ethik der Konfessionen. Erzbischof Franz Lackner plädierte in seinem Grußwort für ein „neues Bewusstsein für die besondere Bedeutung von religiösen Begründungswegen in der Ethik“.
Religion kann Einzigartiges für Ethik beitragen
Lackner empfahl die Religion als Ethik stiftende Grundlage: „Transzendente Fundierungen können im Bereich der Ethik etwas leisten, wozu andere nicht fähig sind. Das lässt sich etwa am Begriff der Menschenwürde zeigen.“ Denn, „es macht einen Unterschied, ob Menschwürde diskurstheoretisch, vertragstheoretisch oder eben theologisch im Gedanken der Gottebenbildlichkeit fundiert wird“, betonte Lackner in seinem Grußwort. Angesichts der zunehmenden Marginalisierung des Christentums in gesellschaftlichen Fragen erhielten die unterschiedlichen Aussagen der christlichen Kirchen im Bereich der Ethik und der Lehre vom Menschen eine besondere Brisanz, so Lackner. „Diesen fundierenden Zusammenhang zwischen christlicher Religion und dem Gedanken der Menschenwürde wieder neu ins Bewusstsein zu rufen, ist eine der zentralen ökumenischen Herausforderungen der kommenden Zeit“. Dazu brauche es einen guten ökumenischen Austausch, der aber laut dem Salzburger Oberhirte nicht immer auch in einer gemeinsamen Erklärung münde: „Nicht immer ist es uns gelungen, in ethischen Fragen eine gemeinsame Position zu erarbeiten.“
Es braucht Nüchternheit und Gelassenheit
Ihre persönliche Erfahrung auf wissenschaftlich-theologischer Ebene habe sie sehr ernüchtert, sagte Angelika Walser bei ihrem Vortrag: „Es war mir kaum gelungen, irgendwie ein Profil ökumenischer Ethik ausfindig zu machen, ja ich war mir damals gar nicht mehr sicher, ob es überhaupt noch ein Projekt ökumenischer Ethik geben könnte oder geben sollte.“ Walser betonte das Fehlen einheitlicher konfessioneller Stimmen zu einer ökumenischen Ethik: „Es gibt sie eben nicht, die katholische, die protestantische, die orthodoxe und altkatholische Stimme und weitere, die ich hier jetzt nicht ausdrücklich jedes Mal nenne.“ Deshalb lasse sich „eine ökumenische ‚Kontrovers-Ethik‘ entlang der konfessionellen Linien nicht betreiben.“
Assistierter Suizid, Embryonenforschung und Umgang mit homosexuellen Partnerschaften
Die Theologin handelte im Folgenden drei ethischer Konfliktfelder in Hinblick auf die Konfessionen ab: Assistierter Suizid, Embryonenforschung und Umgang mit homosexuellen Partnerschaften. In Bezug auf den assistierten Suizid müsse Walser festhalten, „dass das Selbstbestimmungsparadigma am Lebensbeginn und Lebensende die christlichen Konfessionen derzeit eher trennt als eint.“ Eher Konsens herrsche zwischen den Konfessionen, wenn es um die Ethik der Verantwortung füreinander geht. Dies zeige sich im bedingungslosen Annehmen des anderen. „In einer Gesellschaft, in der Menschen sich hauptsächlich darüber definieren, Leistungsträger zu sein und als solche verbissen alles im Griff haben zu müssen auch und gerade das eigene und so unkontrollierbare Ende müssten Christen und Christinnen sich auf ihre ureigene Botschaft konzentrieren: dass genau dort, wo wir nackt und bloß und einander ausgesetzt sind, die genuin christliche Zusage vom bedingungslosen Angenommen-Sein eines jeden Menschen ihre buchstäbliche Not-Wendigkeit und damit auch ihre ganz eigene Plausibilität gewinnt“, erklärte die Theologin. Walser plädierte auch bei dem unterschiedlich wahrgenommen und diskutierten Thema der Embryonenforschung für einen „gelassenen Umgang mit Divergenzen“. Deshalb schlage sie vor „nicht von einem christlichen Menschenbild im Singular, sondern eher von Facetten eines christlichen Menschenbilds im Plural sprechen.“ In Bezug auf den pastoralen Umgang mit homosexuellen Partnerschaften arbeitete sich die Moraltheologin an der Segensfrage für ebensolche Beziehungen ab.
Ihr Fazit: „Diversität ist in ethischen Fragen, so meine ich, grundsätzlich legitim, solange das Festhalten an der Würde der einzelnen Person in ihrer leiblich-seelischen Vulnerabilität ein gemeinsames christliches Fundament bildet, das nicht nur nach außen hin einzumahnen ist, sondern auch nach innen von den christlichen Kirchen selbst vorgelebt werden muss.“ Ob den Kirchen für die längerfristige Entwicklung einer ökumenischen Ethik noch Zeit bleibe sieht Walser kritisch und verknüpft sie mit der Frage nach dem gemeinsamen Mahl: „Die Kraft zur notwendigen Fokussierung speist sich jedoch aus dem gemeinsamen Mahl. Solange wir hier nicht zusammenfinden, wird auch das Projekt ‚Ökumenische Ethik‘ sein zweifellos großes Potential für diese Welt nicht voll entfalten können.“
Repliken
Theologische Antworten auf den Vortrag kamen von Olivier Dantine, Superintendent der Evangelischen Superintendentur A. B. Salzburg und Tirol und von Ioan Moga, Professor an der Universität Wien im Bereich Ostkirchenkunde und Priester der rumänisch-orthodoxen Kirche. Für Dantine müsse in der Frage nach ethischer Einheit auch die Frage nach der Gefahr der Spaltung innerhalb der Konfessionen zu Buche schlagen. Das Selbstbestimmungsrecht des Menschen bleibe aber immer auch auf seine Angewiesenheit auf Gott und seine Gnade zu reflektieren, bevor er sich in Bezug zur Welt oder Gesellschaft zu definieren habe. Ioan Moga wolle keine Ethik auf Kosten der Dogmatik aber auch nicht umgekehrt. „Wir müssen mit diesen scheinbaren Sackgassen leben“, sagte der Priester. Die orthodoxe Kirche sehe die Spannung, müsse sich aber in der Frag zwischen Sozialethik und Erlösung auf die Seite der Erlösung durch Christus stellen. Auf keinen Fall dürfe es aber „zu einer dekonstruktiven Bibelhermeneutik kommen“, wenn in den Augen der säkularen Gesellschaft eine Bibelstelle gegen einen Wert der modernen Gesellschaft stehe, sagte Moga. Schließlich müsse aber auch die faire Frage in Bezug auf ethische Problemfelder gestellt werden: „Wer bestimmt die ethisch-ökumenische Agenda?“
Monika Kallista geehrt
Im Rahmen der Vorbereitungssitzung der Sektion PRO ORIENTE SALZBURG ehrte Erzbischof Lackner Monika Kallista, ehemalige Leiterin der Abteilung für Kultur, Gesellschaft, Generationen des Amtes der Salzburger Landesregierung, für ihre langjährigen Verdienste in der Sektion. Gemeinsam mit Franz Alfred Graf Hartig ist sie seit 35 Jahren Mitglied.
Der Ökumenische Empfang findet jährlich anlässlich der Gebetswoche für die Einheit der Christen statt (18. bis 25. Jänner) und wird von der Stiftung PRO ORIENTE Sektion Salzburg organisiert. Heuer konnte er aufgrund der Corona-Pandemie erst am 1. Juni stattfinden.