Abendessen um 16.00 Uhr, um 18.00 Uhr Nachtruhe, Pfleger, die nachts alleine für 40 Demenzkranke zuständig sind, Medikamente, die de facto der Ruhigstellung dienen – solch erschütternde Fälle kämen in österreichischen Seniorenheimen durchaus vor, erzählt Volksanwalt Günther Kräuter. Derzeit gibt es weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene einheitliche Standards für die Betreuung in Heimen.
Sandra Bernhofer
Salzburg. „Warum kann ich als 85-Jähriger nicht selbst bestimmen, dass ich um 20.00 Uhr esse, wenn ich das mein Leben lang getan habe?“, fragt der Volksanwalt, der Teil eines südosteuropäischen Netzwerks ist, das sich vergangene Woche in Salzburg getroffen hat, um Standards in der Pflege demenzkranker Menschen zu erarbeiten. Noch werden 80 Prozent der Patientinnen und Patienten zuhause betreut, der demographische Wandel zeigt allerdings, dass künftig immer mehr Menschen in Pflegeheimen untergebracht werden müssen. Prävention und Selbstbestimmung auch im Alter, wie sie seit einem Jahr im städtischen Seniorenheim Hellbrunn gelebt werden, stehen bei der Tagung im Vordergrund: Zwölf Menschen, die dort früher im so genannten Pflegetrakt untergebracht waren, leben nun in einer Hausgemeinschaft und können wieder aktiv am Alltag teilhaben.
Zu viele Medikamente schränken ein
Von 3.000 Demenzerkrankten geht man in der Stadt Salzburg aktuell aus – mit den Angehörigen sind rund 10.000 Personen tagtäglich mit diesem Thema befasst. „Demenz gehört dazu, es kann jeden treffen. Salzburg holt Erkrankte ganz klar in die Mitte“, betont Salzburgs Vizebürgermeisterin Anja Hagenauer, auf deren Initiative hin im Herbst 2015 die „Plattform Demenz“ ins Leben gerufen worden war: „Die Gesellschaft muss lernen, mit Leuten umzugehen, die öfter einmal aus dem Rahmen fallen.“
Die Stadt plant zusätzlich zu den Plätzen in Tageseinrichtungen Theaterabende und Gottesdienste speziell für Demenzkranke und deren Angehörige. Heuer liegt hier auch der Weiterbildungsschwerpunkt für das Personal in den städtischen Seniorenheimen, im September lädt ein zweitägiges Carecamp zum Austausch.
Der Ansatz der Stadt, alte Menschen nicht in großen Einrichtungen wegzusperren, verlangt viel Wissen und um vor allem einem Zuviel an Medikamenten vorzubeugen eine Kommunikation von Ärzten, Pflegern und Heimverwaltung, die in der Praxis stark verbesserungsfähig ist, wie Reinhard Klaushofer, Leiter des Österreichischen Instituts für Menschenrechte, betont. „Oft verschreibt ein Hausarzt, der meist keine gerontologische und sozialpsychiatrische Fachausbildung hat, ein Medikament, im Krankenhaus kommen weitere dazu.“ So kämen viele Patienten auf bis zu 15 Medikamente, von denen man oft nicht wisse, in welcher Wechselwirkung sie stehen. Der Medikamentencocktail, der dabei entsteht, könne persönlichkeitsdämpfend wirken, die Bewegungsfreiheit und Autonomie einschränken und sei damit ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte.
Volksanwalt Kräuter plädiert in diesem Zusammenhang für eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht. Ärzte sollten im Ärztegesetz ermächtigt werden, Pflege- oder Heimleitungen die verschriebenen Medikamente mitzuteilen. Damit könnte man eine Übermedikation samt Wechselwirkungen eindämmen.