Grußworte zu den Disputationes 2023
Grußwort Disputationes – Ouverture Spirituelle 2023
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrter Herr Intendant,
sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Fr. Geschäftsführerin,
geschätzte Vertreterinnen und Vertreter der Academia, liebe Vortragende,
sehr geehrte Damen und Herren!
Eine Ewigkeit, vorgestellt als Verlängerung der Jetztzeit, hat für uns direkt etwas Bedrohliches. Wenn man sich anschickt, über Ewigkeit nachzudenken, dann müssen wir uns bewusst sein, dass eine direkte Übersetzung dieses Gedankens in unser Dasein nicht gelingt. Fragen dieser Art bleiben dem direkten Zugriff verborgen, sie stellen sich eher gleichsam als Kollateralantworten ein. Der Heilige Augustinus hat dies genial erkannt, wenn er schreibt: „Wenn mich niemand darüber fragt, so weiß ich es; wenn ich es aber jemandem auf seine Frage erklären möchte, so weiß ich es nicht.“ Die Rede ist von der Zeit. Mit Zeit und infolge der Ewigkeit setzt er sich im elften Kapitel seiner Confessiones auseinander. Er ist damit gleichsam als erster existenzieller Denker zu sehen. Er sieht sein Leben sei eine distentio, eine „zerteilte Ausdehnung“, gibt jedoch diesem Wort eine neue semantische Konnotation. „Distentio animi“ – so beschreibt er die Gegenwart. Vergangenes existiert nicht mehr, es bereits vorübergegangen; Zukünftiges wiederum noch nicht, es wird erst eintreten. In dieser „Ausgespanntheit“, der distentio, existiert Zeit über die Zeit hinaus. „Wenn (…) die Gegenwart immer gegenwärtig wäre und nicht in die Vergangenheit überginge, so wäre sie nicht mehr Zeit, sondern Ewigkeit“, so Augustinus.
Gott als Schöpfer der Zeit gehe aller Zeit selbst voraus, seine Jahre seien „ein ewiges Heute“. In Dimensionen gedacht könnte man also sagen: Die Ewigkeit scheint gewissermaßen im rechten Winkel zur Zeit zu stehen. An dieser Stelle sei ein Beispiel aus der Grammatik gebracht.
Wir alle kennen die altgriechische Phrase „Kyrie eleison“ – „Herr, erbarme dich“. Die Form des Verbs „eleison“ ist hierbei von besonderem Interesse: Es ist ein Imperativ in der Zeitform des Aorist. Diese Zeitform des Altgriechischen kann im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden – sie wird für gewöhnlich mit dem Präteritum übersetzt, da sie häufig als Erzählzeit verwendet wird. Wie aber sollte dann eine Befehlsform gebildet werden?
„Aóristos“ bedeutet „unbestimmt“ – der Imperativ im Aorist drückt damit Bestimmung in der Unbestimmtheit aus. Damit bitten wir mit dem Wort „eleison“ – „erbarme dich“, dass Gott sich nicht heute und genau jetzt erbarmen möge, nicht vor 2000 Jahren, nicht kommenden Oktober – nein, er möge sich sowohl in jedem Moment wie auch in Ewigkeit, durch alle Zeiten hindurch erbarmen. In diese simple Phrase, die wir von Kindesbeinen an lernen, ist also ein zentraler Gedanke eingegossen, den Augustinus uns anhand seiner Ausführungen zu Zeit und Ewigkeit darlegt.
Wiederum aus der Grammatik ein anderes Wort: Der große Philosoph unserer Zeit Robert Spaemann formuliert einen, wie er es nennt, „nietzsche-resistenten Gottesbeweis“. Sein Ansatzpunkt ist das Futur II, das futurum exactum des Deutschen. Dass Sie hier heute meine Stimme hören, wird morgen wahr sein. Morgen werden sie meine Stimme gehört haben. „Der Satz: ‚In ferner Zukunft wird es nicht mehr wahr sein, dass wir heute Abend hier zusammen waren‘ ist Unsinn. Er lässt sich nicht denken.“, so Spaemann. Sind wir heute hier, wird es in Ewigkeit wahr sein, dass wir hier waren; sollten wir einmal heute nicht mehr hier gewesen sein, so waren wir es nie. Auf dramatische Weise wird diese Wahrheitskonzeption deutlich in der Geschichte der Schuld, die, obwohl vergangen, so doch nie ungeschehen sein kann und damit nie zu vergessen ist. Die einzige Antwort auf die Frage nach der Art der Wirklichkeit des Vergangenen, des ewigen Wahrseins jeder Wahrheit, ist laut Spaemann: „Wir müssen ein Bewusstsein denken, in dem alles, was geschieht, aufgehoben ist; ein absolutes Bewusstsein.“ Und er schließt: „Wenn es Wirklichkeit gibt, dann ist das Futurum exactum unausweichlich und mit ihm das Postulat des wirklichen Gottes.“
Sowohl in Spaemanns Gedanken zum Futur II wie auch im Aorist der Erlösungsbitte der Liturgie kulminiert somit das Verständnis einer Ewigkeit, die, wie vorhin gesagt, gewissermaßen im rechten Winkel zur Zeit steht. Man könnte sie so betrachtet eine „fünfte Dimension“ nennen.
Freilich, mit der Ewigkeit bzw. der Sehnsucht nach Ewigkeit ist es heutzutage nicht allzu weit her. Ich sehe hier eine Begleiterscheinung zu dem, was ich „Auferstehungsmüdigkeit“ nenne. „Was, das soll noch weitergehen?“, sagte einmal ein Sterbender. Viele wollen sich eine aus Vergangenheit, Gegenwart und offener Zukunft erwachsende Ewigkeit gar nicht vorstellen. Ewigkeit anzudenken darf aber nicht auf dem Weg der bloßen Verlängerung des Gegenwärtigen geschehen – Ewigkeit ist der tragende Grund verantworteter Endlichkeit.
Vor Jahren hörte ich von einem Kind, das bei der Messe, als es hörte, wer von diesem Brot esse, werde leben in Ewigkeit, seiner Mutter sagte: „Dann iss bitte, damit Du ewig lebst!“ Kindern ist es also offenbart – ewiges Leben.
Ich wünsche nun einen spannenden und anregenden Austausch und danke für die Aufmerksamkeit!