„Glaube braucht ein menschliches Gesicht“

RB: Wann wurde Ihnen bewusst, dass Gott Sie berufen hat?
Egon Katinsky: Es gab weniger ein Berufungserlebnis als einen Prozess: ein Vermuten, Erahnen, Verdrängen. Auf diesem Weg habe ich Förderer und Bestärker gefunden – auch das ist Kirche. Man tritt nicht ins Nichts ein, sondern in eine menschliche Gemeinschaft, in der man angenommen wird. Die Entscheidung zum Eintritt ins Seminar war dann ein wahres Erlösungsmittel.
RB: Später, als Regens des Priesterseminars, haben Sie selbst junge Männer auf diesem Weg begleitet. Was hatte sich in der Zwischenzeit verändert?
Katinsky: Das war mitten in der Umbruchszeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Wir wollten Priester für die Zukunft ausbilden, die selbstständig sind, in ihrem Glauben geerdet, Priester, die der Religiosität ein menschliches Gesicht verleihen, statt in einer einseitigen Lehre verhaftet zu sein. Das Menschliche ist durch die Menschwerdung Christi als Modell ja bereits vorgegeben.
Das waren tolle Leute, überzeugende Persönlichkeiten, für die neue Zeit voll tauglich. Zu vielen habe ich heute noch ein gutes Verhältnis.
RB: Auf die Zukunft ausgerichtet war auch der Aufbau der Pfarre Salzburg-Taxham, die Sie 16 Jahre lang geleitet haben. Was war Ihnen dabei wichtig?
Katinsky: Das Zusammenfügen von lebendigen Steinen und Ziegelsteinen ging hier Hand in Hand. Das war eine schöne Aufgabe, nicht an Traditionen gebunden. Der Zeit nach dem Konzil kam das sehr entgegen: Die Leute haben gehofft, dass eine Kirche entsteht, die Antworten auf die Fragen und Bedürfnisse der Zeit gibt, die eine Botschaft verkündet, die sie leben lässt. Ich wollte eine Kirche bauen, in der man nicht aneinander vorübergeht, sondern einander beisteht – so habe ich die Botschaft Jesu verstanden.
Ganz wichtig dabei war das Wohnviertelapostolat. In Taxham lebten damals schon um die 7.000 Menschen, die aus allen Windrichtungen zugezogen waren und keine Kontakte hatten. Wir haben versucht, die Menschen zusammenzuführen, ihnen das Gefühl zu geben, sie gehören dazu – auch wenn sie nicht in die Kirche gehen. Das geschah durch viele Begegnungsmöglichkeiten – Taufen, Erstkommunion, Begräbnisse, natürlich der Gottesdienst – und persönliche Besuche, wo Trude Kirchmair, die zuvor schon in der Jugendarbeit tätig war, viel bewirkt hat. Wir gingen zu den Menschen nach Hause, mit dem Pfarrbrief oder der Frage, ob sie etwas brauchen. Für Neuzugezogene war das eine wichtige Brücke zur Pfarre. Diese Gemeinschaft hat die Lebendigkeit von Salzburg-Taxham ausgemacht und sie lebt bis heute weiter.
RB: In Ihrer Tätigkeit als Bischofsvikar für die Laienmitarbeiter haben Sie auch die Berufsgemeinschaft der Pfarrassistenten begründet. Was ist deren Rolle?
Katinsky: Für die Zukunft der Kirche in Salzburg ist es ganz wichtig, dass Leben im Pfarrhof ist, eine Bezugsperson da ist, auch wenn es keinen Priester vor Ort gibt. Die Pfarrassistenten übernehmen de facto die Leitung der Pfarre. Ich wollte dieses Modell hautnah ausprobieren und habe deshalb 22 Jahre lang am Samstag und Sonntag die Pfarre Bad Vigaun betreut, wo Sr. Lydia Sant-ner die Stellung hielt.
RB: Was hat Sie in all Ihren Aufgaben am meisten erfüllt?
Katinsky: Die Botschaft Jesu zu den Menschen zu bringen, ihnen zu vermitteln, dass sie im Glauben ihr persönliches Heil finden. Der Glaube ist keine Beigabe zum Leben, kein Konsumgegenstand für schöne Feste, als der er heute oft gesehen wird, sondern der Glaube ist das Leben selbst, eine Quelle aus der man immer wieder schöpfen kann.
Die Kirche ist kein Gegenüber für uns Katholikinnen und Katholiken, wir selbst sind Kirche – und tragen Verantwortung. Dieses Urmodell der Kirche, die Beziehung untereinander, zeigt sich schon in der Dreifaltigkeit Gottes.
RB: Wie lässt sich das umsetzen? Was braucht eine zukunftsfähige Kirche?
Katinsky: Wir sind in einer gewaltigen Umbruchszeit. Das Problem der heutigen Zeit ist, dass es so viele andere Möglichkeiten gibt, das Leben zu leben, dass Gott eine Nebenrolle spielt. Der Wohlstand hat aber auch gewaltige Nebenwirkungen.
Die Kirche ist der schnelllebigen Zeit noch nicht hinterher gekommen – sie ist deswegen aber kein Auslaufmodell. Die Geschichte ist hier das größte Trostbuch: Wir sind in einem Wellental. Das hat es immer gegeben. Der Geist hat aber stets so gewirkt, dass er Impulse einbringt, die alles wieder ins rechte Lot bringen – in anderen Formen.
Es gibt auch heute viele Erneuerungs- und Selbstreinigungskräfte in der Kirche, die neues Leben möglich machen. Dort sehe ich das Wirken des Hl. Geistes. Aber auch wir müssen uns ändern und offen sein, das Christsein von der Pike auf neu erlernen, Strukturen und das eigene Handeln hinterfragen. Eine Kirche als soziale Einrichtung ist zu wenig. Wir Christen müssen überzeugender und glaubwürdiger werden, damit wir andere anstecken.
Zur Person:
Em. Domkap. Egon Katinsky wirkte nach seiner Priesterweihe als Kooperator und Pfarrprovisor in Zell am Ziller, Salzburg-Gnigl und Krispl, bevor er die Pfarre Salzburg-Taxham aufbaute. Der gebürtige Uttendorfer war außerdem zwölf Jahre lang Regens im diözesanen Priesterseminar, Ombudsmann und Mitglied im Priester- sowie Pastoralrat. Ein besonderes Anliegen war Katinsky stets die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter in der Erzdiözese: ob als Leiter des Referats Berufungspastoral und jenem für kirchliche Dienste, als Bischofsvikar oder als geistlicher Assistent für diverse kirchliche Berufsgemeinschaften.