Fronleichnam
Schwestern und Brüder!
Ein Bergbauer erzählte mir vor langer Zeit eine berührende Geschichte. Sein kleiner Sohn kam ganz aufgeregt zum ihm und berichtete von einem für das Kind furchtbaren Ereignis. Ich kann mich nicht erinnern, was passierte. Ob sich irgendwo ein für das Kind großer Stein löste und den Berg hinab donnerte. Jedenfalls: der Bub war ganz verstört. Auf die Frage seines Vaters, wo denn das geschehen sei, antwortete der Bub: „Dort, wo unser Brot wächst.“ Er sagte nicht am Getreideacker, sondern dort, wo unser Brot wächst.
Diese Geschichte ist mir wiederum eingefallen, da nun schon seit Monaten in Europa ein fürchterlicher Krieg tobt. In der Ukraine wächst sehr viel Brot. Dieses Wachstum, und was noch schlimmer ist, die Verteilung des schon Gewachsenen, wurde nun empfindlich gestört. Davon sind nun auch wir betroffen. Der Brotkorb wird nun etwas höher hängen. In früheren Zeiten hing er über dem Tisch, so dass man sich nur durch einen Griff nach oben daran bedienen konnte. In Notzeiten wurde der Brotkorb jedoch höher gezogen, so dass der Griff nach oben nicht mehr so leicht war. Das erleben nun auch wir, durch Inflation, Nachschubprobleme, Flüchtlingsproblematik und einige andere unangenehme Begleiterscheinungen. Der Brotkorb hängt höher. Das schafft auch bei uns Unverständnis. „Die sollen einfach aufhören und Ruhe geben, damit auch wir in Ruhe leben können“. Natürlich soll der Aggressor aufhören; wenigsten die Waffen still stehen lassen.
Papst Franziskus ist wahrlich ein Prophet. Er spricht die Dinge mutig an. Kürzlich rief er dazu auf, die Komplexität des Krieges nicht nur auf Gut und Böse zu reduzieren. Schon Monate vor dem Krieg habe ihm ein weiser Staatsmann seine Sorge um den Frieden in der Ukraine mitgeteilt: es könnte Krieg geben, denn die NATO belle vor den Toren der Russen zu laut. Das lasse sich ein imperialer Staat nicht gefallen. Der Papst will in keinster Weise Kriege rechtfertigen, er möchte vielmehr an die Ereignisse davor erinnern, an Vorgeschichten, die heute anderswo, ja selbst hier in unseren Landen stattfinden. Denn eines scheint mir gewiss: Auch bei uns wird an gewissen Toren überlaut gebellt. Die Pandemie hat einiges geoffenbart. Gewiss, Kritik ist notwendig. Institutionen haben, das liegt in der Natur der Sache, ihre toten Winkel und vergessenen Wahrheiten. Davon ist die Kirche nicht ausgenommen und das muss auch angesprochen und kritisiert werden. Aber es gilt auch – und davon ist letztlich niemand ausgeschlossen: wir haben eine gemeinsame Verantwortung für den Brotkorb über unseren Tischen und auch Altären. Nur Bellen allein ist zu wenig.
Wir feiern heute Fronleichnam und gehen mit dem Brot des Lebens und des Glaubens betend, singend hinaus durch die Straßen auf die Plätze und segnen Stadt und Land. Das Christentum ist nicht, wie oft gemeint, eine Buch-, sondern eher eine Brotreligion. Betlehem, die Geburtsstadt Jesu, heißt auf Hebräisch „Haus des Brotes“. Brot ist der große Sinnträger des christlichen Glaubens. Es steht nicht nur für ein Nahrungsmittel, sondern für das Lebensmittel des Glaubens schlechthin. Es steht für Frieden. Nicht wie die Welt ihn versteht, als nur keine offenen Konflikte, sondern der Friede des Auferstandenen meint jenen inneren Frieden des Herzens, der Grundlage für jeden äußeren Frieden darstellt. Blaise Pascal hat es einmal so genannt: Alle großen Auseinandersetzungen nehmen ihren Ausgang darin, dass der Mensch mit sich allein nicht im Frieden ist. Das Lebensmittel des Glaubens stärkt die Solidarität, das Streben nach Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.
Ich kenne den inzwischen schon zum Stehsatz gewordenen Satz, mit der Bergpredigt könne man kein Land regieren. Ich stimme diesem nicht ganz undifferenziert zu. Denn ganz ohne wird es vor den Herausforderungen unserer Zeit, wo der Einzelne, einzelne Gruppen, gefordert sind, auch nicht gehen. Das Christentum hat nicht die überzeugenderen Argumente, aber gelebter Glaube ist eine Zutat zu dem vielen Guten, was geschieht, verleiht diesem den besonderen Geschmack. Jesus zitiert diesbezüglich ein anderes Nahrungsmittel aus unserem Brotkorb. „Ihr seid das Salz der Erde“. Salz kann man allein nicht essen, aber ohne Salz ist die Speise schal. Darüber hinaus vermag Glaube die Herzen berühren, den inneren Menschen motivieren.
Dafür steht das Fest Fronleichnam, wenn wir heute – das Wetter lässt es zu – mit dem Allerheiligsten hinausgehen, Stadt, Land und besonders auch all jene, die unter Not und Krieg zu leiden haben segnen. Amen.