Experte: Perspektive für Syrien noch immer ungewiss

KLAGENFURT (kap) / Tief besorgt über die Lage der Christen in Syrien ist der in Salzburg lehrende syrisch-orthodoxe Theologe Aho Shemunkasho. Die Perspektive sei noch immer ungewiss, sagte er im Interview mit dem Kärntner "Sonntag" (aktuelle Ausgabe Nr.12/2025). Der neue Machthaber Ahmed al-Scharaa habe kaum die Infrastruktur, um alles unter Kontrolle zu halten. Und: "Es ist noch nicht bekannt, was sein Ziel ist."
Er sei auf jeden Fall bis dato nicht daran interessiert, eine westliche Demokratie einzuführen, so Shemunkasho: "Al-Scharaa spricht von einer gewissen Freiheit für alle; er kommt aber aus einer extremen Tradition und wird sicherlich noch viel Druck haben, möglichst Scharia-treu zu handeln." Inwieweit Al-Scharaa als Person tatsächlich reformwillig ist - im Sinne allgemeiner Freiheits- und Menschenrechte, Religions-, Gewissens-, Presse- und Redefreiheit,- sei momentan nicht klar.
Darauf angesprochen, dass zuletzt immer mehr Christen das Land verlassen haben, meinte Shemunkasho, dass das syrische Christentum seit Jahrhunderten vom Aussterben bedroht sei. Jetzt sei man allerdings an einem Punkt, "wo wir wahrscheinlich Teil der letzten Generationen syrischer Christen sind, die in der Region geboren und aufgewachsen sind; mit dem Aramäischen, der Sprache Jesu, als Muttersprache".
Shemunkasho selbst stammt nicht aus Syrien, sondern aus dem Turabdin, einer abgelegenen Region im Südosten der Türkei, nahe der Grenze zu Syrien. Dort verbrachte er auch in den 1970er Jahren seine Kindheit, bevor die Familie 1980 nach Deutschland auswanderte. Shemunkasho über seine Kindheit vor Ort: "Es war wie eine Oase; wir konnten unser eigenes Leben führen, auch wenn wir von Kurden und Muslimen umgeben waren. Damals waren wir noch rund 100.000 Christen in der Region. Die Dörfer waren so wie vor 2.000 Jahren. Vieles an Infrastruktur wie Kanalisation, Elektrizität und Straßen gab es nicht und alles, was wir hatten, ist aus Handarbeit und körperlicher Arbeit entstanden. Wir haben mit der Natur gelebt und hatten unsere Traditionen, unsere Sprache, unser Christentum, unsere Liturgie." Das sei in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen. Heute gebe es im Turabdin nur noch rund 2.600 Christen, die beständig dort leben.
Positiv müsse man aber anmerken, dass sich auch manches gebessert habe: "Seit die Türkei Mitglied der EU werden wollte, gab es Entwicklungen in Sachen Menschenrechte und Freiheit. Manche Leute, die das Land verlassen hatten, gehen nun wieder zurück in ihre Dörfer, bauen Straßen, renovieren Häuser, Kirchen und Klöster." Aber fast niemand geht "richtig" zurück; in der Regel handle es sich um Zweitwohnsitze. Zudem: "Die positiven Entwicklungen sind kaum gesichert."
Wenn sich die Situation im Turabdin aber weiterhin gut entwickelt, dann könnten in 10 oder 20 Jahren vielleicht mehr Menschen tatsächlich zurückkehren, so Shemunkasho: "Bis jetzt sind nur Einzelne gekommen. Aber wenn man im Sommer wieder da ist, dann findet man Tausende Leute in den Dörfern. Und alle sprechen Deutsch. Man trifft Menschen, die nach Wien, Augsburg, Berlin und in die Schweiz ausgewandert sind."
Shemunkasho ist seit 2006 an der Universität Salzburg tätig, wo er 2015 den Universitätslehrgang "Master of Arts in Syriac Theology" initiierte, der bis 2021 angeboten wurde. Er ist aktuell Dozent für Geschichte und Theologie des syrischen Christentums.