Interview. Mit einem Gottesdienst im Dom feiert die Erzdiözese am 23. Juni, um 18.00 Uhr, zwei Jubiläen ihres Erzbischofs. Alle sind dazu und zur herzlich eingeladen.
Karl Roithinger
RB: Herr Erzbischof, Sie feiern Ihr silbernes Priesterjubiläum und gleichzeitig 60. Geburtstag. Diese Jubiläen legen nahe, dass Sie ein „Spätberufener“ sind. Ab wann waren Sie sich über Ihre geistliche Berufung klar?
EB Lackner: Ich war schon 23 Jahre alt, als ich mich gleichsam „durchgerungen“ habe, diesen Weg zu gehen. Vorher habe ich schon mehreres gemacht, habe nach der Hauptschule Elektriker gelernt, in verschiedenen Gelegenheitsjobs gearbeitet, ich war sogar einmal arbeitslos. Der Gedanke, Priester zu werden, kam relativ spontan auf Zypern, als UNO-Soldat. Als Bub hatte ich schon daran gedacht, immerhin wird meine Heimat, St. Anna am Aigen, steirisches Bethlehem genannt: Aus dieser Pfarre mit rund 2.000 Seelen sind bereits mehr als 30 Priester- und Ordensberufungen hervorgegangen. Ich selbst bin der dritte Bischof, der aus dieser Gemeinde kommt.
Vielleicht hätte ich als junger Mensch diesen Weg schon begonnen, wenn ich auf eine geistliche Berufung angesprochen worden wäre. Meine Eltern haben das aber nicht gefördert, auch nicht behindert. Möglicherweise, weil wir so arm waren. Damals hat nämlich in so einem Fall die ganze Pfarre gespendet – und wehe, wenn der Student dann nicht Priester geworden ist! Das wollten meine Eltern vermutlich vermeiden.
Aber dann kam mir diese Idee: Werde Priester! Ein Jahr lang habe ich gerungen, weil mir auch so viele Voraussetzungen fehlten: Ich hatte keine Matura, war kein so guter Schüler. Dennoch habe ich mich zu einem leisen Ja durchgerungen: Lieber Gott, wenn Du das wirklich willst, dann geh ich; aber ob das gut geht? Und wenn‘s schief geht – ich bin nicht allein schuld! Diese zögerliche Zustimmung hat in mir eine Wende eingeleitet: ich wollte Priester werden und dachte, ich darf es nicht, so als ob ich die Gnade, diesem Ruf zu folgen, schon verspielt hätte.
Eine große Hilfe war mir schließlich das Gespräch mit einem Priester, dem damaligen Regens des Grazer Priesterseminars, Gottfried Lafer. Ich hatte ihm von meinem Wunsch erzählt und zugleich auch, dass ich so vieles dagegen spürte. Von ihm stammen die entscheidenden Worte: „Im Vertrauen auf Gott, der das Anfangen schenkt und der auch die Vollendung schenken wird, sollst du es wagen.“ Daraufhin setzte ich den ersten Schritt, Priester zu werden. An dieser Entscheidung habe ich nie mehr gezweifelt.
RB: Mittlerweile sind Sie 25 Jahre Priester, durchaus nicht in einer alltäglichen Form, nämlich einerseits als Franziskaner und zugleich nun seit fast 14 Jahren als Bischof. Gab es für Sie in diesen Jahren prägende Erfahrungen, die Ihren priesterlichen, geistlichen Weg entscheidend beeinflusst haben?
EB Lackner: Die prägenden Erfahrungen sind für mich die Überraschungen Gottes. Als ich das Spätberufenen-Seminar in Horn besuchte, war mein Ziel, Kaplan zu werden. Nach der Matura spürte ich die Sehnsucht, in einen Orden einzutreten; so bin ich Franziskaner geworden. Ich wollte als Priester seelsorglich wirken und doch ein eher zurückgezogenes Ordensleben führen. Ich dachte sogar an einen kontemplativen Orden. Aber ich wurde Franziskaner und begann das Studium, nicht aus Begeisterung, sondern weil es dazu gehörte. Daraus entstand unerwartet eine große Leidenschaft. So freute ich mich sehr, dass ich nach der Priesterweihe am 23. Juni 1991 zum Weiterstudium nach Rom geschickt wurde. Schließlich als Professor für Philosophie an unserer Ordenshochschule meinte ich, mein Ziel und meine Lebensaufgabe erreicht zu haben.
Nach zwei Jahren der Lehrtätigkeit die nächste Überraschung: Provinzial der Wiener Franziskanerprovinz. Mit einer solchen Aufgabe hatte ich nie gerechnet. Das Mandat dauert in der Regel sechs Jahre, der Plan lautete, danach wiederum nach Rom an die Hochschule zurückzukehren. Als Überbrückung, um den Kontakt mit dem Lehrberuf nicht zu verlieren, übernahm ich Vorlesungen an der Hochschule in Heiligenkreuz.
Und dann der größte Einschnitt in meinem Lebens- und Glaubensweg: Weihbischof von Graz-Seckau. Wieder etwas ganz anderes als meine Vorstellungen! Dieser Schritt gehörte zu den schwersten meines Lebens. Als mir der Apostolische Nuntius diese Ernennung eröffnete und nach meiner Entscheidung fragte, kamen mir spontan die Worte: „Wenn ich auf mich schaue, muss ich Nein sagen, ich kann das nicht. Ich gehe, weil ich berufen bin.“
Elf Jahre war ich als Weihbischof in der Steiermark tätig – eine schöne Zeit. Schließlich die allerletzte Überraschung: die Berufung zum Erzbischof von Salzburg.
Dies lehrte mich: Gehorsam im Sinne des Hörens, den Weg gehen im Hinhören. Gehorsam ist heute leider ein Unwort. Ich habe es immer als bereichernd erlebt, nicht die ganze Last aus mir heraus tragen zu müssen. Der heilige Apostel Paulus schreibt im Römerbrief: Der Glaube kommt vom Hören. Für den glaubenden Menschen fügt sich alles.
RB: Sie sind Bischof in turbulenten Zeiten, Stichworte: Krieg im Nahen Osten, Guerillakriege in Afrika, Flüchtlingsströme in ungeahntem Ausmaß, Wirtschaftskrise, Klimakatastrophen, Sinnkrise vieler Menschen. Wo sehen Sie die spezifischen Herausforderungen und Aufgaben der Kirche in dieser zerrissenen Welt?
EB Lackner: Bei dieser Aufzählung möchte ich noch die Radikalisierung anfügen, die sich vor allem in der Sprache äußert. Wo ist die Aufgabe der Kirche? Kirche hat einen langen Atem, es braucht Geduld. Mit Worten abrüsten, Gespräche nicht verweigern, nicht mit Schaum vor dem Mund Argumente vortragen. Ich erlebe das sehr oft und ich spüre auch, dass es wie ein Strudel wirkt, dem man sich nicht leicht entzieht. Die Aufgabe von Christinnen und Christen ist es, die innere Freiheit zu bewahren, je neu an das Gute in den verschiedenen Menschen glauben zu lernen.
Mit der Kirche geht das leichter, sogar dort, wo dieses Gute nicht augenscheinlich ist. Aus der vereinenden Kraft des grundsätzlich Guten die Prob-leme unserer Zeit anzugehen, darin sehe ich eine erste große Aufgabe der Kirche. Spannungen aushalten, keine vorschnellen Antworten geben, nicht mit Teilwahrheiten zufrieden sein. Dahin wirken: Besonnenheit im Umgang mit anderem.
Als Kirche können wir das nur, wenn wir unser Ohr ganz bei Gott haben. Beides ist unverzichtbar: Hören auf Gott und Hören auf die Menschen. Gehen wir, wie Papst Franziskus uns immer wieder auffordert, an die Ränder, zu den Armen, Schwachen, Verbitterten – wo auch Gott, der große Vergessene unserer Zeit, sich finden lässt.
RB: Die Kirche bekommt diese Entwicklungen auch selber zu spüren und erlebt – gerade in unseren Breiten – innerkirchlich krisenhafte Entwicklungen, etwa durch eine hohe Zahl an Kirchenaustritten, einen starken Rückgang der Priester- und Ordensberufungen, erhebliche Spannungen zwischen den unterschiedlichen Strömungen in der Kirche. Wo liegt da der besondere Auftrag des Bischofs?
EB Lackner: Der Bischof muss Brückenbauer sein, im Sinne zweifacher Anwaltschaft, unparteiisch. Im Reich Gottes gibt es viele Charismen. Bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erlebe ich immer wieder viel guten Willen und ehrliche Motivation. Das Negative und Destruktive gibt es auch, aber nach meinem Dafürhalten geschieht es in den allerseltensten Fällen aus einer negativen Absicht, sondern eher aus Unwissenheit.
Was macht nun aber den Dienst des Bischofs aus? In der Verkündigung den Samen des Wortes Gottes aussäen; heilen, heiligen sowie versöhnen, besonders im Feiern der Sakramente, und auch letzte Verantwortung zu übernehmen in der Leitung der Diözese, das sind im Besonderen dem Bischof anvertraute Anliegen.
RB: Die Erzdiözese Salzburg hat zu Pfingsten mit einer Startveranstaltung im Dom den so genannten „Zukunftsprozess“ begonnen. Warum haben Sie diese Initiative gesetzt und welche Ziele verfolgen Sie damit? Was soll dieser Prozess, der 2018 zu Ruperti abgeschlossen wird, längerfristig in der Pastoral bewirken?
EB Lackner: Diese Idee, die an mich herangetragen wurde, habe ich gerne aufgenommen. Ich sehe es als eine Gnadenzeit, in der wir uns auch selbst neu orientieren können, wie das bei geistlichen Exerzitien geschieht. Vier Prinzipien stehen im Mittelpunkt:
1. Es soll ein spiritueller Prozess sein, der damit einhergeht.
2. Wir brauchen Impulse von außen; wir sollen auch von anderen Bereichen des Lebens lernen und natürlich offen bleiben für Gottes Sprechen in diese Welt.
3. Aus dieser Einkehr muss das Handeln folgen; Glaube und Tun gehören untrennbar zusammen.
4. Wir wollen verantwortungsvoll mit den Ressourcen umgehen, die uns gegeben sind, mit den finanziellen Mitteln, vor allem aber mit der Schöpfung und der Gabe des Lebens. Gott fordert uns heraus, aber er überfordert uns nicht. Ziel ist es, wie können wir in diesem umfassenden Sinn die Qualität der Pastoral in Zukunft sichern.
RB: In den vergangenen Wochen haben Sie wichtige Personalentscheidungen getroffen, Schlüsselaufgaben im Priesterseminar, im Seelsorgeamt, im Bildungshaus St. Virgil neu besetzt. Welche Erwartungen verbinden Sie mit diesen personellen Weichenstellungen?
EB Lackner: Mit diesen Entscheidungen will ich Kontinuität sichern. Ich bin von außen in eine Erzdiözese gekommen, die schon einen langen Weg hinter sich hat. Wir Menschen sind wie kommunizierende Gefäße, wir brauchen einander. Es gibt vieles, das ich einbringen kann, aber es fehlen mir Erfahrungen, die hier gemacht wurden. Das zu bündeln und Synergieeffekte zu erzielen, war dabei der leitende Gedanke.
RB: Sie haben auch ein neues Gremium installiert, den erzbischöflichen Rat; worum geht es da?
EB Lackner: Das höchste Leitungsgremium in der Diözese ist das Konsistorium und bleibt es auch, ohne die Kompetenz zu verändern. Aber es ist mit seinen derzeit 17 Mitgliedern als Leitungsgremium zu groß. Bei einer Klausur des Konsistoriums wurde nach intensiven Beratungen beschlossen, einen erzbischöflichen Rat mit sechs bis acht Mitgliedern einzurichten. Ein Instrument, um auf aktuelle Themen schnell eingehen zu können und die großen Bereiche des Konsistoriums vorzubereiten, damit ich meine Aufgabe, als Bischof die Erzdiözese im Sinne Jesu gut zu leiten, verantwortungsvoll wahrnehmen kann.
RB: Salzburg soll einen neuen Weihbischof bekommen. Welche Voraussetzungen sollte dieser mitbringen und welche Aufgaben erwarten ihn?
Ich habe in Rom um einen neuen Weihbischof angefragt und Kriterien genannt, die dieser aus meiner Sicht mitbringen sollte. Es soll ein Priester aus der Erzdiözese sein, er sollte ein Weltpriester sein – beides bin ich nicht. Und er soll eine reiche Erfahrung in der Seelsorge mitbringen. Die Hauptaufgabe eines Weihbischofs ist es, das bischöfliche Charisma zu stärken.
RB: Welche Wünsche oder Hoffnungen haben Sie für die Zukunft, gibt es ein besonderes Herzensanliegen?
Mir ist einmal gesagt worden: Gib Gott in deinem Leben eine Chance. Das möchte ich vielen Menschen auch sagen: Geben wir Gott und seiner Kirche eine Chance in unseren Herzen! Die Kirche trägt einen kostbaren Schatz in zerbrechlichen Gefäßen. Mit einem Wort ist das die Auferstehung. Von diesem Glauben an die Auferstehung bekommt alles Tun und auch Scheitern in unserem Wirken und Leben einen letzten, nicht mehr hinterfragbaren Sinn: Er ist die Quelle von Freude, Hoffnung und Frieden.
Über allem steht der Dank: Mit der heiligen Klara möchte ich Gott danken, dass er mich erschaffen hat. Ich danke für meine Berufung, ich danke allen, die mir auf diesem Weg geholfen haben, und ich danke allen, für die ich Priester und Bischof sein darf. Ich darf viel Gutes ernten, was ich nicht gesät habe.