Die Suche nach dem Mehr
SALZBURG (eds/frauen.komm-Keglevic 17.1.2018) / Nicht die Wohlfühlmomente der Stille sind für P. Virgil schon Spiritualität, auch nicht stundenlanges Meditieren, um zu sich zu kommen. Das sind für ihn alles nur Voraussetzungen für das eigentliche Erleben von Spiritualität: Spiritualität ereignet sich in einer besonderen Art des Miteinanders. Und in diesem Miteinander ereignet sich auch Gott.
P.Virgil: Der Anfang ist einfach die Sehnsucht nach einem Mehr. Um diese Sehnsucht überhaupt spüren zu können, braucht es Auszeiten der Stille, um wieder staunen und wahrnehmen zu können, um tiefer blicken zu können...
Ich glaube, dass jeder diese Sehnsucht nach einem Gehalten- und Geborgensein in sich hat, die Sehnsucht, dass das eigene Leben nicht nur eine Eintagsfliege ist, dass man in einem größeren Plan drinnen ist, in dieser Weite Gottes.
frauen.kom: Aber die meisten Menschen sind mit ganz anderen Dingen beschäftigt!
P. Virgil: Natürlich ist die vorrangige Sehnsucht zuerst einmal ein abgesichertes Leben. Dafür werken die meisten. Dass man sich einen gewissen Luxus leisten kann. Ich glaube aber, dass viele auch merken, dass das nicht alles sein kann. Trägt nicht auch jeder die Sehnsucht nach gelingenden menschlichen Beziehungen, nach Freundschaften in sich? Das ist ja auch schon mehr, als nur das Gelingen äußerer Lebensvollzüge. Und ist Essen nicht auch mehr, als nur Nahrungsaufnahme? Ist das nicht auch Gemeinschaft, Genuss? Die geistige Sehnsucht möchte noch tiefer das Leben spüren...möchte zum Grund aller Dinge vorstoßen, in die eigene Mitte finden.
Da gibt es die Geschichte von einem Gläubigen, der sich auf den Weg zur eigenen Mitte gemacht hat, wo er auf Gott trifft. Und es gelingt ihm einfach nicht und er bittet den Rabbi um Rat und der Rabbi fragt ihn: Hast du die Sehnsucht danach? Da antwortet er, ja die Sehnsucht habe ich schon, aber ich komme nicht weiter. Da sagt der Rabbi, hast du die Sehnsucht nach der Sehnsucht? Ja, sagt er und der Rabbi fragt, hast du die Sehnsucht nach der Sehnsucht nach der Sehnsucht nach der Sehnsucht... allein das ist schon der Weg. Die lässt uns schon unterwegs sein, die öffnet auch unsere Wahrnehmung, sowohl die äußere, als auch die innere.
Allein die Sehnsucht ist schon die Suche nach Gott! Und als Christen sind wir ohnehin nicht Gotthabende, sondern Gottsuchende, die unterwegs sind.
frauen.kom: Aber heute würde niemand mehr von sich behaupten, er wäre ein Gottsuchender.
P.Virgil: Nicht so explizit, aber die Suche nach einem Sinn im Leben, nach einem Grund, der alles zusammenhält, der mich trägt, das bewegt die Menschen schon.
Es gibt ja so viele Sehnsuchtsorte, wie die Berge, oder den Sehnsuchtsort Alm, das vereinfachte Leben, die Natur, Sehnsuchtsort Pilgern...das Unterwegssein, das Langsamertreten, das sind so Berührungspunkte, wo diese Sehnsucht zum Tragen kommt und wo ich gleichzeitig unterwegs bin.
frauen.kom: Was sind so Meilensteine auf diesem Weg?
P.Virgil: Das Erste ist sicher mal das Staunen und Wahrnehmen. Das zweite, ist das Sich-Ansprechen-Lassen, und das passiert auf verschiedenen Weisen, durch Gott selbst mit schönen Naturerlebnissen, durch die Bibel oder durch Menschen, durch gelingende Beziehungen etc. Jeder hat schon mal solche Momente gehabt, in denen einem mal die Luft wegbleibt, so schön ist das, in denen man einfach dieses Mehr spürt. Aber es braucht trotzdem die Bereitschaft und die Offenheit, sich wirklich ansprechen zu lassen.
Momente, die so schön sind, dass einem die Luft wegbleibt.
frauen.kom: Die meisten Menschen sagen, ich brauche für meinen Glauben keine Kirche.
P.Virgil: Glaube lässt sich eh nicht vorschreiben und schon gar nicht verordnen. Glaube hat ganz viel mit persönlicher Freiheit zu tun. Aber gerade zum christlichen Glauben gehört die Vergemeinschaftung essentiell dazu. Aus dem einfach Grund, weil, wenn ich nämlich versuche, in meinen Mitmenschen die Gegenwart Gottes zu erkennen, dann hat das automatische eine gemeinschaftsbildende Funktion. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen!" Wenn ich allein glaube, wer garantiert mir, dass ich nicht nur meinem eigenen Vogel folge?
In der Gemeinschaft kann man sich gegenseitig tragen und stützen und miteinander nach dem richtigen Weg suchen und genau das ist letztlich Kirche.
Es braucht die persönliche Gottesbeziehung, die ist durch nichts zu ersetzen, das kann mir keine Gemeinschaft abnehmen und die Fragen der Sehnsucht kann ich auch nicht delegieren und schon gar nicht die letzte Frage nach dem Tod, da muss ich mich irgendwie positionieren. Aber man kann sich austauschen und sagen, was für Erfahrungen man gemacht hat und was man erlebt hat.
Und das erlebe ich auch bei meinem priesterlichen Tun. Obwohl die der Glaube und die Kirche zunehmend an Relevanz verliert, geben viele Leute dann doch zu, dass z.B. das kirchliche Heiraten die eigentliche Hochzeit für sie ist, weil eine andere Verbindlichkeit darin liegt: Man wendet sich an den Herrgott um seinen Segen zu bekommen.
Das Wichtigste im Leben kann man sich nämlich nicht selbst machen, es wird einem geschenkt. Das geht schon beim Leben an: Dazu braucht es Mama und Papa. Das kann ich mir nicht selbst machen. Und, dass man sich kennen und lieben lernt, kann man sich auch nicht selbst machen. Aber: Ich muss offen dafür sein und ich muss mich treffen lassen. Wenn ich keinen Kopf dafür habe, jemanden kennenzulernen, dann wird es mich auch nicht treffen.
Es gibt hundert Gründe, was am anderen toll ist, aber dass man sich gefunden und verliebt hat, das hat man nicht in der Hand.
Und ähnlich ist es in der Gottesbeziehung. Gott ist jetzt keiner, der sich aufzwingt oder aufdrängt. Man muss offen sein, sich selbst eingestehen, ich habe diese Sehnsucht in mir, ich will mich auf die Suche machen.
frauen.kom: Und dann hat man ein glückliches Leben?
P.Virgil: Nein, nicht zwingend. Jesus war rein äußerlich ein gescheiterter Mensch. Aber sein Scheitern am Kreuz wurde zu einem Neuanfang. Genau dort ereignet sich die Erlösung. Wenn wir also achtsam und sorgsam miteinander umgehen und das Leben teilen, leben wir aus dieser Erlösung, weil da eine unwahrscheinlich Energie, eine Kraft freigesetzt wird, die uns glauben lässt, dass Gott selbst anwesend ist – auch dann, wenn ich liebe, bis es wehtut.
Meditation und Gebet sind das Fundament von allem, die Kraftquelle, aber der eigentliche Gottesdienst, das eigentliche Gebet ist das Leben, die Art, wie wir miteinander umgehen.
Bei den Hochzeiten sage ich, ihr gebts euch nicht nur a bisserl, sondern ihr investiert euch ganz in dieser Beziehung. Du bist es mir wert, dass ich auch etwas auf mich nehme.
Weil ich die Erfahrung mache, dass Gott mich liebt, wie ich bin, bin ich erst fähig, selbst die anderen zu lieben, wie sie sind. Die Erfahrung geliebt zu werden ist die Voraussetzung, dass ich es auch tun kann, dass ich mich wandle zu einem liebenden Menschen.
Weil Gott für mich da ist, kann ich für dich ganz da sein. So gesehen, hat für mich Spiritualität ganz viel mit Hingabe und unserem Alltag zu tun.
----Olivia Keglevic----
Diesen und weitere spannende Artikel lesen Sie in der aktuellen Winter-Ausgabe der frauen.komm, Zeitrschrift der Katholischen Frauenbewegung Salzburg: <link kfb frauenkom>www.kirchen.net/kfb/frauenkom/
