Dem Wunder die Hand hinhalten

Schwester Silke Mallmann CPS ist Ordensfrau an der Seite der Hilflosen. Für sie gehören dazu Prostituierte, Flüchtlinge, HIV-Kranke. Eine Krebsdiagnose macht aus der Seelsorgerin für Menschen am Rand selbst jemanden, dessen Existenz am Abgrund steht. In ihrem berührenden Buch „Goldfäden zwischen Himmel und Erde“ lässt sie Leserinnen und Leser an ihrem ehrlichen, glaubwürdigen Ringen mit Gott teilhaben.
RB: Sie sind, so schreiben Sie es in Ihrem Buch, jetzt eine andere als vor Ihrer Krebserkrankung. Was sind die größten Veränderungen?
Sr. Silke Mallmann: Ich bin generell viel dankbarer geworden, für jeden Moment. Nichts ist mehr „normal“– alles ist Geschenk, aber damit auch Möglichkeit und Herausforderung zugleich.
RB: Die Pandemie ist wohl auch eine dunkle Stunde. Wie geht es Ihnen jetzt?
Sr. Silke Mallmann: Im Moment bin ich auch wieder zwischen Hoffen und Bangen, weil eine Kontrolluntersuchung ein Wachstum festgestellt hat. Was es genau ist, weiß man noch nicht. Es schreit in mir einerseits: Bitte kein Krebs! Andererseits ringe ich wieder einmal darum, auch diese Situation wieder als „Möglichkeit“ zu sehen.
RB: Wer Ihr Buch liest, versteht sehr schnell seinen Titel. Aber erklären Sie doch bitte den Unterschied zwischen Lametta und Goldfäden.
Sr. Silke Mallmann: Die „Goldfäden“ stamme ursprünglich aus einem Zitat des Jesuiten Alfred Delp SJ, der aus seiner Gefängniszelle heraus sinngemäß schrieb: In Zeichen absoluter Erschütterung wächst im Menschen die Ahnung nach den Goldfäden, die in solchen Zeiten Himmel und Erde verbinden. Goldfäden, das waren Situatio-nen, Ahnungen, die die Gegenwart Gottes spürbar werden ließen. Lametta sind Fake-Fäden – schön gemeint, aber sie halten nicht.
RB: Ihre Mutter reiste an, um an Ihrer Seite zu sein, es gab einige Momente, in denen Sie beide in schallendes Gelächter ausbrachen. Und das im Krankenzimmer. Rheinischer Humor? Oder etwas anderes?
Sr. Silke Mallmann: Beides! Sicher genetisch bedingtes Rheinland, aber manchmal eben die Skurrilität von Situationen und einfach auch die wirklich gute und lustige Begegnung mit Freunden.
RB: Es ist doch recht mutig, die Stationen zwischen Diagnose, Therapieplänen zwischen kurativer und palliativer Behandlung zu beschreiben. Was stärkt Sie?
Sr. Silke Mallmann: Ein zunehmender Glaube, dass, egal wie es ausgeht, am Ende immer das Leben auf mich wartet – entweder im Jetzt oder später als Leben in Fülle. Es stärkt die immer größere Gewissheit dieser Ahnung, dass Gott wirklich da ist und wirkt, manchmal auch unverständlich. Es stärkt das Gebet von Mitschwestern, Freunden und natürlich gute Freundschaften, gute Gespräche.
RB: Welche Goldfäden könnten wir in Zeiten von Gesundheit, in Zeiten eines an sich guten Lebens spinnen? Oder brauchen wir die Krisen?
Sr. Silke Mallmann: Wichtig ist: Wir spinnen eigentlich die Goldfäden nicht. Goldfäden sind die Ahnungen, das Gott sich zeigt: in guten wie in schlechten Zeiten. Ich glaube, es braucht eine generell erhöhte Aufmerksamkeit und Offenheit, die Gegenwart Gottes zu suchen. Jetzt bei der Entschleunigung durch Corona liegt dort auch eine Möglichkeit. Und dabei meine ich nicht irgendwelche religiösen oder frommen Übungen, sondern eine Offenheit und Neugier für das Wirken Gottes in jeder Situation, in jeder Person, die mir begegnet – ein Gespür für den Geschenkcharakter jeder Situation. Das kann dann ein Wachsen an Sensibilität bedeuten.
Christina Repolust
Buchtipp: Silke-Andrea Mallmann: Goldfäden zwischen Himmel und Erde. Glauben in dunklen Stunden. Herder Verlag, Freiburg, 240 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-451-38 811-8.
Foto: RB/Hendrik Mallmann