Christtag
Liebe Schwestern und Brüder!
In der Nacht von gestern auf heute haben die Engel die Geburt Jesu verkündet und die Hirten sie bezeugt. Im vierten Evangelium, nach Johannes, wird keine Kindheitsgeschichte berichtet, sondern er beginnt sein Evangelium mit einem großartig angelegten Prolog. Geradezu hymnenartig wird die Heilsgeschichte von ihrem Ursprung her aufgezeigt. Eine Geburt stellt ja in gewisser Hinsicht einen Endpunkt dar. Da ist ja vorher schon viel passiert, da hat offensichtlich etwas angefangen. Demnach lauten auch die ersten Verse:
„Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.“ Durch dieses Wort ist alles geworden.
Ich lade ein über das Wort „Anfang“ ein wenig nachzudenken. Wir unterscheiden im Deutschen zwischen Anfang und Beginn. Beginn ist der erste Moment, die erste Stunde oder das erste Moment. Anfang ist hingegen mehr, ist Ursprung, von woher das Ganze getragen wird. Mir fällt dazu das Bild vom Fluss. Der Ursprung eines Flusses ist die Quelle. Man kann einen Fluss nicht ohne seine Quelle denken. Von dorther bekommt er den Namen. Das ist gleichsam das Wesen des Flusses. Kirche ist zuerst nicht Institution, sondern ein organisches Ganzes, welches uns mit dem Ursprungsereignis verbindet. Der Ursprung beantwortet auch die Warumfrage.
Der Franziskaner Johannes Duns Scotus hat zu seiner Zeit über die viel diskutierte Frage, warum Gott überhaupt Mensch geworden sei, nachgedacht. Die gängige Antwort damals wie auch heute noch lautet: Um uns zu erlösen. Der Mensch ist durch eigene Schuld der Sünde verfallen, darum wurde er erlösungsbedürftig, und diese Erlösung konnte in letzter Konsequenz nur von Gott selbst geleistet werden.
Der Einwand von Scotus konzentriert sich am Ursprung. Er fragt: ist das angemessen über Gott gedacht, wenn wir sagen, die Sünde habe das Wunder der Menschwerdung Gottes ausgelöst? Gott ist nur gut und er braucht nicht erst einen Fehler um Richtiges zu tun. Wenn wir ursprünglich von Gott denken, dann sollten wir glauben, dass Gott immer Mensch geworden wäre, auch wenn die Sünde im Anfang nicht geschehen wäre – weil es die Ursehnsucht Gottes war und ist, ein menschenfreundlicher Gott zu sein.
In meiner Heimat stand am Gewölbe der Kirche in großen Buchstaben zu lesen: „Siehe die Wohnung Gottes unter den Menschen.“ Anlässlich einer früheren Renovierung wurde diese Inschrift übermalt. Die Renovierung wurde zu der Zeitals ich schon Weihbischof war wiederholt. Da habe ich gebeten diese Inschrift wieder freizulegen. Heute ist dieses Zitat aus der Bibel wiederum gut lesbar. Denn es bezieht sich auf das, was im Prolog verkündet wird: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Das Wort für „wohnen“ (eskénōsen) kann im griechischen Original auch mit „zelten“ übersetzt werden. Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gezeltet. Gott hat sein Zelt unter uns aufgeschlagen, um den Menschen nahe zu sein.
Ursprünglich war der Mensch eine tolle Idee Gottes, ein Wort, das so noch nie gehört worden ist. Und Gott sprach und es geschah. Ja, heute feiern wir Gottes ureigene Menschwerdung. Er wollte mit den Menschen auf gleicher AugenhöheGott sein. Romano Guardini hat von dieser Ursehnsucht einmal gesagt: „Die Liebe tut das.“ So ist Gott. Er möchte bei den Menschen einfach zelten.
Im Prolog des Johannes, wie haben ihn soeben gehört, taucht außer Jesus Christus nur ein Name auf. Es heißt „Ein Mensch trat auf, von Gott gesandt; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht.“ Es fällt auf, dass sofort hinzugefügt wird: „Er selbst war nicht das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht.“ Hier zeigt sich die Bruchlinie. Der Mensch will ja oft nicht Zeuge für das Licht, sondern selbst Licht sein. Gerade der moderne Mensch möchte nicht, wie es Johannes vorbildhaft getan hatte, danebenstehen, ein Hinweis sein für einen anderen, der nach uns kommt, obwohl er uns voraus ist, weil er vor uns war. Er ist der Bräutigam, er steht im Zentrum. Ein schönes Zeugnis, das Johannes da gibt für den, dessen Schuhriemen zu lösen er sich nicht würdig fühlte.
Heute hat man vor allem innerkirchlich den Eindruck, man fühlt sich von Gott dazu gesandt zuerst einmal „Ich selbst“ zu sein. Man meint aus dem Heute, wie wir uns verstehen, wie wir glauben, die ganze Heilsgeschichte ableiten zu können. Die Kirche wird daran beurteilt und kritisiert, wie sie bereit ist, sich in die immanente Welt von heute einzufügen und dort zu dienen. Es ist, als ob der Fluss sagt, wozu brauche ich die Quelle? Ich bin so groß, so mächtig, auf das Bisschen Wasser kann ich leicht verzichten. Dieser Fluss hat allerdings schon seine Identität verloren. Er müsste unbenannt werden.
Die erste Aufgabe der Kirche ist es, die Erinnerung an unsere Herkunft wach und lebendig zu halten. Das hat die Kirche trotz aller Mängel und Fehler durch die Zeiten hindurch getan. Wir haben eine göttlich-menschliche Herkunft; das ist eine Hoffnungsgeschichte, auf Zukunft und Vollendung angelegt. Nun liegt es an uns, Zeugen und Zeuginnen zu sein für ein Licht, das wir nicht selber sind. Dieses Licht hat in Betlehem auf wunderbare Weise zu leuchten begonnen. Es ist wahrhaftig ein Friedenslicht.
Darum beten und bitten wir in dieser Stunde und jeden Tag, der demütige Lichtschein Gottes möge in die Dunkelheiten dieser Welt hineinleuchten, überall dorthin fallen wo Krieg, Not, Kälte und Streit herrscht. Und er möge jene erleuchten, die helfen können, auch für Hilfestellungen bereit zu sein, vor allem ergeht die Bitte im Namen Jesu aber an jene, die Kriege führen, Kriege begonnen haben: In Christi Namen hört auf! Ihr bringt eine Finsternis in das Leben der Menschheit, die für lange Zeit sich nicht erhellen lassen wird.
Die Menschen sind – wir haben es gehört – von ihrem Ursprung her angelegt im Lichte des menschenfreundlichen Gottes zu leben. Dafür gebührt Gott die Ehre und uns der Friede. Die Hirten auf dem Feld in Betlehem haben es gehört: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallen.“ Bezeugen auch wir dies in unserer Zeit, damit Friede herrsche in den Herzen und in der Welt. Amen.
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