Christtag
Liebe Schwestern und Brüder!
Ich darf die Predigt heute mit einer Vorbemerkung beginnen, was das Predigen besonders an so hohen Festtagen wie heute betrifft. Ich möchte kein – wie man es nennt – fishing for complements betreiben, d.h. am Anfang ein wenig jammern, um vorweg schon Komplimente einzuheimsen. Das möchte ich nicht tun, aber warum ist das Predigen an solchen Festtagen schwieriger als sonst. Ein Grund liegt wohl darin, dass die Festlichkeit schon sehr viel hergibt; die feierliche Musik, die besonders prachtvolle Dekoration der Kirche, wie auch die Gewandung der Zelebranten. Das ist ein Grund, der zweite ist darin zu finden, dass es bei den beiden Hochfesten wie Weihnachten und Ostern in ganz besonderer Weise um das Ganze unseres Glaubens geht. Über das Ganze zu predigen ist nicht leicht, im Grunde nicht wirklich möglich. Bischof Egon Kapellari hat diesen Sachverhalt einmal bemerkenswert auf den Punkt gebracht, als er sagte: „Wir sind alle Verwalter von Teilwahrheiten, das geht aber nur so lange gut, als sich einige um das Ganze bemühen.“ Am Christtag muss man sich um das Ganze der Frohen Botschaft auch in der Predigt bemühen.
Ich musste das sagen, weil der erste Satz des soeben gehörten Evangeliums „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott“ uns schon gewaltig herausfordert. Was heißt „im Anfang“? Im Deutschen gibt es die weise Unterscheidung zwischen Anfang und Beginn. Beginn ist der erste Moment, dem ein zweiter, dritter und so weiter folgt. Der Beginn wird Vergangenheit, der Anfang hingegen bleibt stetig gegenwärtig. Wenn wir nun mit dieser Unterscheidung auf den Eingangssatz „Im Anfang war das Wort“ schauen, dann bezieht sich diese Aussage nicht auf ein vergangenes Wirken Gottes, wie z. B. die Schöpfung, sondern der Anfang ist heute gegenwärtig. Man spricht deswegen auch von creatio continua, d. h. von einer fortschreitenden Schöpfung. Wir haben Anteil am Schöpfungswirken Gottes.
Oder wenn uns in der Heiligen Nacht verkündet wird „Heute ist euch der Retter geboren“, dann heißt das für uns heute, mit den Problemen und Anliegen des 21. Jahrhunderts ist der Retter geboren, Christus der Herr. Die Botschaft geht uns an, ist für uns gesprochen. In diesen Anfangsworten ist Gott stets gegenwärtig. „Das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.“
Im Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse heißt es: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Der uns beschützt, und der uns hilft zu leben.“ Ich kenne Ursprung und Geistigkeit dieses Gedichtes nicht näher, aber ganz ohne Glauben scheint ihm diese Aussage nicht gelungen zu sein, denn es lautet wenige Zeilen später: „Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde uns neuen Räumen jung entgegensenden.“ Aus gläubiger Herkunft dürfen wir dieses schöne wie sinntiefe Zitat – ohne Hesse Gewalt anzutun – so zum Ausdruck bringen: Jedem Anfang wohnt eine Gnade inne. Die uns beschützt, und die uns hilft zu leben. Damit sind wir schon bei einem weiteren wichtigen Punkt. Wie entsprechen wir angemessen einem Anfang, in dem die Gnade Gottes wohnt? Darauf gibt es nur eine Antwort: mit gläubigen Herzen. Die schlichte und einfache Kultur des bäuerlichen Lebens, der ich mich verdanke, kannte die religiöse Dimension von ehrlichen Anfängen, wenn man sich vor bedeutungsschweren Ereignissen bekreuzigte mit den Worten: In Gottes Namen, fangen wir an.
Die Heilige Schrift berichtet von solch menschlich-göttlichen Anfangsworten. „Was er euch sagt, das tut“ sagt Maria den Jüngern Jesu; oder ihre Antwort, als der Verkündigungsengel bei ihr eintrat: „Mir geschehe, wie du gesagt hast“, diese Worte haben eine neue Ära eingeleitet, so dass wir heute Weihnachten feiern und erleben dürfen. Besonders werden wir auch bei Petrus fündig: „Herr, wohin sollen wir gehen, nur du hast Worte ewigen Lebens.“ Und sein Bekenntnis nach der Auferstehung, als Jesus ihn drei Mal fragt, antwortet Petrus mit einem fast verzweifelt klingenden Bekenntnis: „Herr du weißt alles, du weißt, dass ich dich liebe.“ Berührend schließlich das Zeugnis des Vaters, der Jesus um die Gesundung seines Sohnes bittet, er bezeugt und bekennt zugleich: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben.“
Liebe Schwestern und Brüder, die Menschheit steht vor großen Herausforderungen. Zuviel hat sich in den letzten Jahrzehnten ereignet; Fortschritte enormen Ausmaßes wurden geleistet. Davon konnten frühere Generationen nicht einmal träumen. Leider konnten gesunder Glaube und ethische Reflexion mit dieser Schnelligkeit nicht Schritt halten. Nun stehen wir auf allen Ebenen des menschlich-geschöpflichen Lebens vor enormen Krisen. Wir brauchen einen neuen Anfang. Nehmen wir alle guten Kräfte der Gesellschaft zusammen, ohne dabei die religiöse Dimension schon a priori auszuschließen. Die Menschheit braucht heute mehr denn je Vertrauen und ehrlich gelebten Glauben.
Die Botschaft von Weihnachten ist eine Friedensbotschaft, sie richtet sich an alle Menschen guten Willens. Es gibt Hoffnung. Denn das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.
Amen