Christmette
Schwestern und Brüder!
Wir Christen und Christinnen kennen zwei heilige Nächte. Die Kirche feiert die zwei wichtigsten Mysterien ihres Glaubens nach Einbruch der Dunkelheit. Dem ist so, weil es beide Male um ein Geschehen geht, das sich unserem begreifenden Verstand entzieht. Das eine Mal ist von der Auferstehung die Rede. Über kein antikes Ereignis gibt es so viele erhaltene Zeugnisse wie von der Auferstehung, aber es war niemand dabei. Das andere Mal geht es um die Geburt Jesu Christi. Diesbezüglich können wir nicht sagen, niemand war dabei; Maria war dabei, aber sie hat darüber nicht so gesprochen, dass es in die Überlieferung eingegangen wäre – wie von Maria überhaupt sehr wenige Wortmeldungen berichtet werden. Während des öffentlichen Wirkens Jesu hat sich nur eine erhalten. Aber fast all ihre Worte sind Gebetsworte geworden.
Weil sich die Quellenlage so verhält, ist es umso wichtiger die Berichte der Evangelien mit großer Aufmerksamkeit zu hören, im Herzen zu bewahren und erst hernach darüber nachzudenken. Jeder Satz, jedes Wort ist wichtig und Träger von Geheimnis und Bedeutung. Es fehlen auch nicht konkret Angaben, wie wir soeben gehört haben. Es war zur Zeit, als Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen. Offenbar hat Josef, der aus dem Hause Davids stammte, ein Grundstück besessen, sodass er auf Befehl des Kaisers nach Betlehem reiste, um diesen Auftrag nachzukommen. Der Anlass war demnach ein ganz profaner, aber erfüllt hat sich dadurch eine prophetische Weissagung aus dem Alten Testament. Denn es heißt, aus Betlehem wird der Herrscher und Hirt hervorgehen.
Das kann auch heute so geschehen, dass wesentliche Heilsereignisse gerade durch säkulare Absichten angestoßen werden. Es gibt so etwas wie eine säkulare Gutheit. Früher hat man vom anonymen Christentum gesprochen. Oder, dass Motivation und Ursache auseinanderfallen. Ich bin vor vielen Jahren, als ich noch – sozusagen – in der Welt lebte, einmal in die Kirche gegangen. Zu jener Zeit pflegte ich das eigentlich nicht mehr zu tun, aber damals ging ich, weil ich bei der Restauration als Elektriker mitgearbeitet habe. Mein Interesse galt nicht dem heiligen Geschehen, sondern eher der fertiggestellten Baustelle. Ganz unerwartet hat sich in mir ein Wort eingegraben, worauf ich zwar nichtsahnend, aber dennoch schon lange wartete. Es bedarf hier einer inneren Wachsamkeit, denn das Wort Gottes ist in uns zuweilen mehr wahr, als es uns bewusst ist.
Wachsamkeit können wir von den Hirten lernen. Die Bischöfe Österreichs waren vorige Woche anlässlich des Ad-Limina-Besuchs in Rom. Der Papst hat uns sehr ermutigt zu beten und vor allem Hirten zu sein. Die Hirten von damals waren arme Leute. In alten Texten werden sie gleichzeitig mit Dieben und Räuber genannt. Was sie aber konnten, war wachsam sein. „In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde.“ Sie vernehmen der Engel Botschaft und deren Lobgesang. Weil sie – so folgere ich – arm und wachsam waren, ausharrend bei ihrer Herde lagerten.
Die Frohe Botschaft von Weihnachten können wir ohne innere Aufmerksamkeit für den armen Jesus in der Krippe nicht vernehmen. Nach dem Vorbild der Hirten müssen wir uns fragen: wo lagern wir, um Nachtwache zu halten? Man könnte antworten, wir brauchen das nicht. Wir sind in Sicherheit. Aber wie geht es unseren Brüdern und Schwestern, gar nicht so weit entfernt von uns? Der Papst hat vor kurzem über den Krieg in der Ukraine öffentlich geweint. Unfrieden hat seine Wurzel in der Unzufriedenheit. Und diese ist auch bei uns sehr groß. Bitten wir Gott um Zufriedenheit in unseren Herzen und besonders um Frieden in der Ukraine und allen anderen Kriegsschauplätzen. Bitten wir um ein mitfühlendes Herz und helfende Hände. Es kann keinen Weihnachtsfrieden bei uns geben, wenn anderswo Menschen in Angst, Schrecken, Kälte und Not ausharren müssen.
Mit dieser Herzensbitte kehren wir zurück auf das Hirtenfeld. Dort erscheint am Ende der Verkündigung ein ganzer Chor von Engeln. Die Adventszeit war geprägt von Engelsauftritten. Ganz prominent ist der EngelGabriel vertreten. Von Gott gesandt, um Maria zu verkünden, dass sie die Mutter des Herrn werden soll; und zuvor wurde schon dem Zacharias und seinerFrau, beide im vorgerückten Alter, ein Sohn versprochen. Zacharias meldete jedoch Bedenken an, worauf der Engel härtere Töne anschlägt. Er ist nicht bereit zu antworten, sondern hält schlicht seine Position dagegen: „Ich bin Gabriel, der vor Gott steht, und ich bin gesandt worden, um mit dir zu reden.“ Das mag genügen: er ist der, der vor Gott steht.
Rainer Maria Rilke hat sich zeit seines Lebens eine tief-innige Beziehung zum Weihnachtsfest bewahrt. Er feierte die Heilige Nacht stets als stille Nacht, als einfaches Vor-Gott-Sein. Loben und Danken sei ihm seit dieser Zeit zur Mitte des Glaubens geworden, schreibt er im letzten Brief an seine Mutter. Wahrlich ein engelsgleicher Glaube, der mehr vom Schauen als vom Begreifen lebt.
In denselben werden die Hirten auch versetzt. Als sie vom Kind in der Krippe zur Herde zurückkehren, rühmen sie Gott für alles, was sie gesehen und gehört haben, so wie es ihnen gesagt worden war.
Heute wird uns selbiges gesagt. Mit den Engeln stehen wir vor Gott mit Lob, Dank für seine Menschwerdung. Jedoch brennt in uns auch die Bitte. Die Verheißung der Engel „Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens“möge auch in den Herzen all jener einkehren, die inmitten von Bombenhageln und Raketeneinschlägen ausharren müssen. Maria mit dem Kinde lieb Deinen Segen gibt. Amen!