Christi Himmelfahrt
Schwestern und Brüder!
Johann Wolfgang von Goethe lässt Faust in dessen Studierstube sagen:
„Glaub unsereinem, dieses Ganze. Ist nur für einen Gott gemacht! Er findet sich in einem ewigen Glanze.“
Es bleibt unausweichlich unserer Endlichkeit geschuldet, dass wir das Ganze des Heilsgeschehen Gottes immer nur perspektivisch, teilhaftig in den Blick zu bekommen vermögen. Jedoch in der Entzogenheit dürfen wir dennoch letzten Anhauch des ewigen Glanzes Gottes erspüren. Und weil es offenbar zu unserer Wesensanlage gehört, existentiell mehr zu ersehnen, zu erahnen, als wir dessen mächtig sind, gibt es demgemäß Grunderfahrungen, die sich nahezu widersprüchlich anmuten.
Z. B.: Trauer und Wonne des Herzens. Der Heilige Augustinus hat tief in die seelische Existenzweise hineingeblickt. In seinem autobiographischen Werk, genannt die „Bekenntnisse“, erzählt von einer derartigen Erfahrung. Ihm war sein lieber Freund gestorben. Darob geriet in eine schier abgrundtiefe Traurigkeit. Vom Schmerz darüber sei es „finster geworden in seinem Herzen“, schreibt er. Überall wo er hinblickte: nur Tod. Er wollte schon selbst auch tot sein, aber indem dies empfand, sagte er sich, dann wäre doch der ganze Freund tot. Für den toten Freund möchte er leben. Darüber wollte keine Form tröstender Hoffnung in ihm aufkommen. Er fühlte sich taub für irgendein Wort des Trostes. Einzig Weinen war ihm süß, an des Freundes statt, gefolgt als Wonne des Herzens.
Ich darf eine ganz persönliche Erfahrung dazulegen. Als mein Vater vor mehr als 40 Jahren starb, war dies für uns als Familie ein schmerzliches Widerfahrnis. In dem Moment, als er sein Leben aushauchte, verließen wir das Totenzimmer, gingen um unser Haus herum, denn von dort hatten wir einen Blick auf unsere Pfarrkirche. Die Glocken läuteten gerade zur Wandlung anlässlich der Feier der Eucharistie. Dem Glockengeläut lauschend begannen wir zu lachen. Es war kein schallendes Lachen, aber doch irgendwie ein ekstatisches Lachen.
Freude im Schmerz, Wonne in der Traurigkeit wird dem Phänomen des Todes eines Lieben am ehesten gerecht.
Weil dem so ist, weil unsere Endlichkeit über uns hinausweist, wir sie uns nicht selber gegeben haben, uns als Geschöpf vielmehr verdanken, können wir glauben. Jedoch ist der Glaube in Hoffnung gegründet und darf nicht in unerschütterliches Glaubenswissen aufgehoben werden, sondern muss gewagter Glaube bleiben.
„Glaube aber ist: Grundlage dessen, was man erhofft, ein Zutagetreten von Tatsachen, die man nicht sieht.“ So lautet es im Hebräerbrief (11,1).
Weil dem so ist, dass wir mehr ersehnen als wir wissen und können, bleibt Liebe – die größte unter den göttlichen Tugenden – auch ein Wagnis zwischen Nähe und Distanz; ein Balanceakt zwischen Vereinnahmung und Abschottung. Der schmale Grat dazwischen ist der schmale Pfad von Glaube, Hoffnung und Liebe.
An dieser Stelle gilt es auf eine sehr beklagenswerte Schwäche unserer Zeit hinzuweisen. Zum einen wird das menschlich-göttliche Ereignis Jesus von Nazareth dermaßen vereinnahmt, dass es fasst den Anschein hat, er ist der Jesus von Salzburg oder der Jesus von ganz bestimmten Gruppen oder Interessen; andererseits ist man versucht sich von der Welt abzuschotten und analog zur Festung Europas eine Festung Kirche zu bauen. Es versteht sich von selbst: Beides wird dem menschenfreundlichen Gottesereignis nicht gerecht.
Jesus hat seine Mission ganz von Gott her verstanden. Ohne den Vater im Himmel wollte und konnte er nichts tun. Er wusste sich von Gott gesendet und wusste auch, sein Weg führte wieder zu seinem Vater zurück. Er hat dies mehrmals deutlich gesagt. Aber die Jünger konnten es nicht verstehen. Einmal bedauert Jesus gleichsam, dass die Jünger traurig sind.
„Wenn ihr mich liebtet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich.“
Die Liebe tut solches. Sie freut sich mit, selbst dann, wenn die Wege fürs Erste auseinanderführen.
Heute feiern wir Christi Himmelfahrt. Man könnte es das Abschiedsfest Jesu nennen. Die ersten Christen und Christinnen taten sich schwer mit diesem Abschied. Die ganze Wahrheit seiner Mission war für sie zu schwer zu begreifen. Im Evangelium nach Johannes wird berichtet, ihr Herz war von Trauer erfüllt, als Jesus ihnen sagte, dass er zu dem gehen wolle, der ihn gesandt hat. Der Evangelist Matthäus beschreibt die Himmelfahrt mit wenigen Worten. Die Jünger begaben sich zu einem hohen Berg, der ihnen genannt wurde. Als sie Jesus sahen fielen sie vor ihm nieder. Dann heißt es, einige hatten aber Zweifel. Allerdings steht im griechischen Urtext einfach die dritte Person Plural. „Sie aber hatten Zweifel“, d.h. alle, nicht nur einige.
Dennoch – diese zweifelnde und verschreckte Schar sendet Jesus hinauszugehen, das Evangelium zu verkünden. Zweifel, Angst gehören zur Hoffnung, die den Glauben trägt.
Im heutigen Evangelium erteilt Jesus zudem den Auftrag, die Frohbotschaft der ganzen Schöpfung zu verkünden; was bedeutet dies für eine Natur, die aus vielen Wunden blutet? Weiters: das Evangelium all denen zu verkünden, die glauben, vertrauen wollen; das gilt einmal für alle, die guten Willens sind, die sich vielleicht gar nicht unserer Kirche anvertrauen wollen oder können. Und erst dann spricht er vom Taufen. Unsere Verkündigung soll sehr weit angelegt sein und nicht vereinnahmend.
Dann verlässt der Auferstandene die Jüngerschar. Aber er lässt sie, er lässt uns nicht allein zurück. Er geht, um ihnen einen Beistand von Gott zu erbitten, den Heiligen Geist. Jesus ist weggegangen, aber in neuer Weise ist wiederum dar. Nicht in irdischer Gestalt, sondern im Innenraum unseres Menschseins. Christus ist bei uns, mit uns und in uns alle Tage bis ans Ende der Welt.
Die Innerlichkeit ist der Ort des Geistes. Von dieser Berührung leben und glauben wir und geben Zeugnis, wie sehr Gott die Welt liebt.
Amen!