Christi Himmelfahrt
Liebe Schwestern und Brüder!
Im Dezember vorigen Jahres absolvierten wir, die österreichischen Bischöfe, den Ad-Limina-Besuch in Rom. Höhepunkt war selbstredend die Begegnung mit Papst Franziskus. Ein berührendes und tief ergreifendes Erlebnis. Der Papst hat gleich zu Beginn uns eine ermutigende Rede über das Predigen gehalten: nicht zu lang soll sie sein, man solle keine Luftschlösser bauen, und drei Punkte soll sie enthalten. Das sind: eine Empfindung, einen Gedanken und eine Emotion. Seither bemühe ich mich meine Predigten danach auszurichten. Eines vorweg: alle Punkte einzuhalten schaffe ich fast nie.
Nun zum ersten der drei Punkte. Die Empfindung: Ich erlebe es immer wieder, so auch gestern in einem wichtigen und sehr gutem Gespräch, dass die Sache, um die es geht, durchaus einleuchtend sein kann; dass die Menschen, die sie betreiben, erfahren und glaubwürdig sind, und dass, wie im gestrigen Fall, sogar die Finanzierung gesichert ist – und dennoch schwebt über dem Unternehmen ein Zweifel. Warum kann man da nicht einfach „JA“ sagen? Eine Empfindung, die ich gar nicht so selten erlebe.
Solche Empfindungen stimmen nachdenklich, darum zum zweiten Punkt: Der Gedanke! Ich knüpfe am soeben gehörten Evangelium an. Der Evangelist Matthäus berichtet von der letzten Begegnung Jesu mit seinen Jüngern vor seiner Himmelfahrt. Jesus führte sie auf einen Berg und als die Jünger den auferstandenen Herrn sahen, fielen sie vor ihm nieder – und dann eine Hinzufügung, die aufhorchen lässt: „Einige aber hatten Zweifel.“ Eine bemerkenswerte Feststellung. Auf der einen Seite Jünger, die vor Begeisterung beim Anblick ihres geliebten Herrn niederfallen. Eine Begegnung, die man sich nur wünschen kann. Auf der anderen Seite, trotz direkter Berührung (mehr Evidenz ist nicht möglich), Jünger, die ihre Zweifel haben. Der Zweifel wird gemeinhin gern als Unglaube gedeutet. Dem ist aber nicht so. Vielmehr scheint mir der Zweifel selbst Gläubigen ein nicht unangenehmer Wegbegleiter zu sein. Ich darf den Gedanken etwas näher ausführen.
Für das eine deutsche Wort „zweifeln“ sind in der Hl. Schrift zwei griechische Worte überliefert. Einmal bedeutet Zweifel etwas ganz grundsätzlich in Frage zu stellen. Zum Beispiel werde ich bei Begegnungen mit jungen Menschen gefragt, ob ich schon einmal an Gott gezweifelt hätte? Darauf antworte ich ehrlich, im Sinne einer grundsätzlichen Infragestellung nicht. Aber in der leichteren Form, dass ich mich hin- und hergerissen fühle zwischen einer Welt mit ihren fürchterlichen Abgründen und einen Gott, der alles in seiner Hand zu halten scheint, in diesem Sinne zweifle ich. Die Frage stellt sich nicht, ob Gott überhaupt, sondern obwohl und trotzdem ausweglos erscheinende Tragödien. Hiermit sind wir bei der zweiten Bedeutung, was „zweifeln“ in der Bibel nämlich auch bedeutet. Es ist die Gefühlslage, die sich einstellt, wenn man sich in zwei verschiedenen zwei Welten zuhause fühlen möchte. Romano Guardini hat diese Situation einmal so verglichen: Wand an Wand mit Gott.
Das, liebe Schwestern und Brüder, ist der Raum des Glaubens. Glaube heißt nach dem Hebräerbrief zwar „Feststehen“, „überzeugt sein“, aber nicht gemeint als ein Feststehen auf einem Felsen, sondern feststehen in der „Hoffnung“. Der alles tragende Grund des Glaubens ist die Hoffnung. Und Hoffen heißt Vertrauen haben auf das, was man nicht sieht. Glaube steht so gesehen auf einem eher wackeligen Grund. Glaube ist so etwas wie ein Dazwischen-sein, zwischen hier und dort, zwischen Erde und Himmel. Der Glaubende lebt demnach in der Spannung von „irgendwie schon“ und „doch noch nicht“.
Ein berührendes Zeugnis gibt jener Mann aus dem Evangelium, der mit seinem stummen Sohn zu Jesus kommt und um Heilung bittet, sehr eindrücklich. Jesus sagt: „Alles kann, wer glaubt.“ Der Mann antwortet: „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben.“ Authentisch glauben bedeutet in dieser Spannung von Faktizität und Hoffnung zu bleiben, diese nicht einseitig aufzulösen. Insofern kann Glaube nie zu etwas wie einem Fixbestand werden. Glaube ist und bleibt Wagnis. Wie oft höre ich den Satz: „Ich habe meinen Glauben.“ Ich kann das nie vollständig glauben. Da fehlt die Spannung, das Wagnis – wo ist das Ringen, wo ist die Sehnsucht?
Im Evangelium haben wir gehört: im Anblick des auferstandenen Herrn hatten „einige aber Zweifel“. Der Glaube, als ein Akt des Vertrauens und der Hingabe, blieb den Jüngern selbst im dichten Moment der direkten Berührung nicht erspart. Davon zeugt der Zweifel. Gott in direkter Berührung ist nicht anders zu erreichen, als durch das Wagnis des Glaubens. Das war damals und ist auch heute so.
Zum Schluss der dritte Punkt, eine Emotion. Dazu eine persönliche Erfahrung. Als ich nach vielen Umwegen mit bereits 23 Jahren noch die Berufung zum Priestertum erfahren durfte, war das für mich wie ein Auferstehungserlebnis. Ich konnte es – wie einst die Jünger auch nicht – aus Freude fast nicht glauben. Ich habe diese Berufung durch viele Zweifel hindurch wahrnehmen können. Anfangs waren es durchaus grundsätzliche Zweifel; je länger ich aber auf dem Weg war, mutierte dieser zu einem staunenden Zweifeln. Mit großer Begeisterung aus dem Glauben hatte ich den langen Ausbildungsweg begonnen. Insgesamt dauerte er zwöfl Jahre lang. Als ich schließlich vor der Priesterweihe stand, pilgerte ich zur Vorbereitung nach Mariazell. Auf dem Weg dorthin dachte ich über den zurückgelegten Ausbildungsweg nach und ich fragte mich, was sich vom Anfang an bis zum damaligen Ende meiner Ausbildung erhalten hatte. Glaube war inzwischen durchaus ein Fixbestandteil meines Lebens geworden. Ich muss gestehen, mir fiel fast gar nichts ein. Das kann doch nicht sein, dass von der Ursprungsbegeisterung, vom Wagnis, das ich mit großer Sehnsucht begonnen hatte, nichts übrig geblieben wäre? Das machte mich traurig. Endlich kam mir doch etwas in den Sinn: Sehnsucht. Die Sehnsucht, Gott zu lieben und für die Menschen da zu sein, die Er mir anvertraut. Mir schien dies damals wenig zu sein. Heute weiß ich, es ist sehr viel. Es ist der Glaube, die Hoffnung, die Sehnsucht, das Ringen im Wechselspiel von Finden und Suchen, vor allem aber auch der in der Sehnsucht verborgene ehrliche Zweifel, vornehmlich in der Form des Selbstzweifels.
Einige Jünger damals, die sich niederwarfen, hatten Zweifel. Wahrscheinlich waren es sogar alle, die es in ihren Herzen nicht fassen konnten, aber Sehnsucht fühlten, zu verstehen. Jesus hat gewissermaßen gerade diese aufgefordert, hinauszugehen in die Welt, die Frohe Botschaft zu verkünden.
Und er gibt ihnen ein Wort mit auf dem Weg:
„Siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“
Diese Zusage gilt bis auf den heutigen Tag, gilt auch uns.
Amen!