Christi Himmelfahrt
Liebe Schwestern und Brüder,
Meiner Beschäftigung mit der Philosophie entnehme ich immer wieder wertvolle Interpretationshilfen, um das Evangelium den Menschen in der heutigen Zeit nahezubringen. Wittgenstein soll einmal behauptet haben, philosophieren bedeute, Dinge zweimal zu betrachten. Diesen Hinweis möchte ich aufnehmen, um dem Geheimnis des heutigen Tages, Christi Himmelfahrt, näher auf die Spur zu kommen.
Die Mission Jesu Christi zwei Mal betrachten; zum Beispiel am Anfang und Ende seines öffentlichen Wirkens. Nach Matthäus lauten die ersten Verkündigungsworte Jesu: „Kehrt um! Das Himmelreicht ist nahe.“ Ähnlich bei Markus: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe.“ Man wird nicht ganz falsch liegen, darin die eigentliche „Message“ Jesu zu sehen. Im Fortlauf der Zeit spricht Jesus nur mehr vereinzelt vom Nahegekommen-Sein des Reiches Gottes. Im Vater-unser beten wir: „Dein Reich Komme!“ Am Ende seines Wirkens taucht die Ursprungsbotschaft wieder auf – wir haben heute gehört: „….durch 40 Tage hindurch ist er den Aposteln erschienen und hat vom Reich Gottes gesprochen.“
Eine andere Form von Zweiheit scheint mir im Phänomen von Nähe und Distanz zu liegen. Liebe braucht beispielsweise beides; Nähe und Distanz. Nähe allein engt ein – Distanz allein lässt erkalten. Der Glaube ist ebenso ein Balanceakt zwischen Nähe und Distanz. Diese beiden Phänomene des Lebens können gar nicht von voneinander getrennt werden. Sie treten gleichsam „ineinander verwickelt“ auf. So kann sich gerade in der Nähe eine Distanz auftun, wie auch umgekehrt wir in der Distanz auch eine Nähe erfahren können. Dafür gibt es illustre Beispiele.
Worüber ich immer wieder staune ist der geradezu verschwenderischen Umgang Gottes mit seinem Heilswirken. Dass Gott in Jesus von Nazareth an die 30 Jahre lang, so sage ich einmal pointiert, nichts getan hat. Jesus war über eine geraume Zeit „der Zimmermannssohn“, der „wie gewohnt“ am Sabbat in die Synagoge ging. Aber aufgepasst: Nur nach unserer Logik der ständigen Profitmaximierung bleibt das unverständlich. Denn in der Zeit hat sich die Menschwerdung Gottes vervollkommnet. Der Gottesname Immanuel – Gott mit uns – wurde leibhaftig wirklich. Darin liegt die Ermöglichung der Alltagstauglichkeit unseres Glaubens. Gott selbst gibt das Beispiel. In Nazareth, einem abgelegenen Ort, ist Gott den Menschen sehr nahegekommen. Nur wie ist diese Nähe angekommen? Vornehmlich als Distanz. Sie glaubten ihn zu kennen. Ist das nicht der Zimmermannssohn? Kennen wir nicht seine Eltern? Wie kann er so reden? Schlichtweg: Sie lehnten ihn ab. Und Jesus wunderte sich über ihren Unglauben.
Liebe Brüder und Schwestern, das kann sich wiederholen. Hat nicht der Glaube gerade im christlichen Abendland tiefste Wurzeln geschlagen? Ist nicht über Jahrhunderte hindurch eine Gottesnähe entstanden, man denke nur an die vielen Heiligen? Hat man sich nicht daran gewöhnt und damit eingekastelt in ein alles entwertendes „Eh schon wissen!“
Aber es wäre einseitig, nur diese Perspektive einzunehmen. Es gilt auch umgekehrt: Die Nähe in der Distanz. Jesus hat – so habe ich noch gelernt – in seiner ganzen Mission nie aus eigenem Antrieb ein heidnisches Haus betreten. Nun geschah es aber, dass ein heidnischer Hauptmann zu Jesus schicken lässt mit der Bitte, sein Diener liegt krank danieder – er möge ihm helfen. Jesus beschließt kurzerhand hinzugehen. Als der Hauptmann Jesus kommen sieht, schickte er ihm wieder eine Gesandtschaft entgegen mit der Botschaft: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du unter mein Dach eintrittst, sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund.“ Wiederum staunt Jesus, weil er so einen Glauben in ganz Israel nicht gefunden hat.
Schließlich stellt sich eine dritte Möglichkeit heraus, wenn Nähe und Distanz sehr eng ineinander verwoben sind, wie es oft in existentielle Krisen der Fall ist. Ein Beispiel aus eigener Erfahrung. Eine schwere Krise brach einmal über mich herein; ich muss es bekennen, aus eigener Schuld. Es war keine Glaubenskrise, sondern eine Gotteskrise. Ich erlebte mich von Gott distanziert. Trennung von Gott betrifft immer auch Trennung vom Menschen. Darunter litt ich sehr. Ich konnte nicht schlafen, irrte mit dem Rosenkranz in der Hand herum. Als ich einmal vor einem Mutter-Gottes-Bildstock stand und weinte, kam mir spontan ein sonderbarer Gedanke: „Wie weit werde ich von Gott entfernt sein, wenn ich diese Krise überstanden habe?“ Der Trost liegt in der Nähe Gottes zum Sünder, so er nur umkehrt und bittet.
Heute feiern wir Christi Himmelfahrt. Jesus hat immer wieder vom Ende seiner irdischen Mission gesprochen. Man konnte diese Botschaft nicht wirklich verstehen. Die Zeit nach der Auferstehung ist von mehreren Erscheinungen geprägt, aber zugleich auch von Jesu Unverfügbarkeit für die Welt. Bei diesen Erscheinungen spricht Jesus ebenfalls über seine Heimkehr zum Vater. Vor zwei Tagen haben wir diesbezüglich eine irgendwie sonderbar anmutende Bemerkung zum Heimgang Jesu gehört. „Gerechtigkeit ist, dass ich zum Vater gehe und ihr mich nicht mehr seht.“ Beim Nachdenken, was das zu bedeuten habe, ist mir eingefallen, als ich einmal von Kindern gefragt wurde, wie ich mir den Himmel vorstelle? Meine spontane Antwort lautete: Es gibt eine letzte Instanz; letzte Gerechtigkeit und letzte Erfüllung. So auch für Jesus, der von Gott gekommen ist, seine ganze Mission als Sendung vom Vater verstanden hat und dorthin zurückkehren möchte. Das ist letzte Gerechtigkeit und letzte Erfüllung selbst für Jesus. Aber er kommt dort nicht mit leeren Händen an. Er geht zum Vater, um für uns eine Wohnung zu bereiten und um für uns den Heiligen Geist zu erbitten; das Angebot Gottes: Seine immerwährenden Nähe zu uns Menschen. Amen.