Caritas blickt besorgt in die Zukunft

SALZBURG (Caritas) / Schon jetzt müssen mehr als 70.000 Menschen in Salzburg – das heißt jede und jeder Achte – jeden Cent zweimal umdrehen, müssen sich Monat für Monat überlegen: Bezahle ich die Miete, heize ich meine Wohnung oder fülle ich den Kühlschrank? In jeder Volksschulklasse in Salzburg sitzen durchschnittlich drei Kinder, deren Eltern zum Beispiel keine Geburtstagsfeier machen können oder sich Schulsachen, Kleidung oder Weihnachtsgeschenke kaum leisten können.
Zusätzlich wirken sich nun die Teuerungen und die Rekordinflation der letzten Monate dramatisch aus, die Folgen werden sichtbar: Von August auf September 2022 ist die Anzahl der Menschen, die sich an die Caritas Sozialberatung gewandt haben, um 35 Prozent gestiegen. Dreimal so viele Menschen als im Vorjahr bitten zum ersten Mal um Unterstützung – oft, weil sie zu wenig verdienen, um unerwartete Ausgaben wie die Energiekostenabrechnung bezahlen zu können.
Wenn Essen, die Miete und das Heizen nicht mehr leistbar sind
Wie so oft leiden jene, die sich ohnehin bereits in schwierigen Lebenslagen befinden, am meisten unter Krisen. Die Teuerungen treffen einen besonders wunden Punkt: die eigene Existenzsicherung. Wenn Essen, die Miete und das Heizen der Wohnung finanziell einfach nicht mehr zu stemmen sind, was bleibt diesen Menschen dann noch?
Ein Beispiel ist Vanessa D., sie hat weniger als zuwenig: „Vor ein paar Monaten hatte ich vier Euro nach Abzug der Fixkosten übrig. Mittlerweile habe ich das auch nicht mehr und bin im Minus, weil Strom und Heizung teurer sind.“ Die alleinerziehende Mutter lebt mit ihrer studierenden Tochter in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, das Schlafzimmer teilen sich die beiden. „Aktuell habe ich Schulden beim Vermieter, weil die Miete mitten unterm Jahr plötzlich um 44 Euro erhöht wurde.“ Selbst um Lebensmittel zu kaufen, ist die Bezieherin von Sozialhilfe und Wohnbeihilfe auf Unterstützung angewiesen. „Ich gehe zur Caritas und zu ArMut teilen. Auch liebe Freunde bringen mir regelmäßig Essen. Tatsächlich könnte ich ohne diese Hilfen nicht überleben“, schildert Frau D.
Die Caritas Sozialberatung übernahm nun mehrmals die Strom- und Heizungsrechnung der Salzburgerin. „Dann gibt es im Haus Elisabeth auch Lebensmittelpakete. Ich hole sie mir aber nicht regelmäßig, weil der Bus dorthin für mich zu teuer ist.“ Außerdem leistete die Caritas finanzielle Soforthilfe in bar, „weil man kann ja nicht nur von Lebensmitteln leben. Man braucht ja auch Haushalts- und Hygieneartikel“, sagt Frau D.
Das ist nur ein Beispiel von vielen:
Betroffene Menschen erzählen
„Punkt der Entscheidung“
„In allen existenziellen Bereichen steigt der Bedarf an Hilfe“, zeigt sich Johannes Dines, Direktor der Caritas Salzburg, besorgt. „Preise für Lebensmittel und Mieten sind um mehr als 10 % gestiegen, Strom und Heizkosten um ein Mehrfaches. Ein Teil unserer Gesellschaft kann sich das Alltäglichste schlichtweg nicht mehr leisten und ist zu massiven Abstrichen bei Grundbedürfnissen wie Essen, Heizen oder bei der Unterstützung und Förderung der Kinder gezwungen. Wir rechnen damit, dass die Anzahl der armutsgefährdeten Salzburgerinnen und Salzburger um mehrere Prozent ansteigen könnte. Das ist alarmierend und ich bitte all jene, die nicht jeden Euro umdrehen müssen, um Zusammenhalt. Es gilt, sowohl bestehende Armut zu bekämpfen als auch neue Armut zu verhindern. Denken wir an den heiligen Martin, der seinen Mantel geteilt hat. Schauen wir aufeinander!“
„crisis“ aus dem Griechischen bedeutet „Punkt der Entscheidung“. Johannes Dines ist zuversichtlich, wie diese Entscheidung ausfallen wird: „Lassen wir Menschen zurück oder teilen wir und nehmen alle Menschen mit? Ich glaube, wir wollen und sollen teilen, und diese Einstellung nehmen wir auch rundum wahr. Viele Menschen sagen ‚ich will etwas tun‘. Den Zusammenhalt unserer Gesellschaft haben wir in der Covid-Krise, beim Krieg in der Ukraine und jetzt auch beim Klimabonus gesehen, den schon jetzt viele Menschen gespendet haben.“
Die Caritas geht nicht davon aus, dass sich die Steigerung an Menschen in Not ansatzweise umkehrt. „Im Gegenteil: die Armut wird weiter steigen und man wird beobachten müssen, wie die Maßnahmen der Regierung wirken“, sagt Torsten Bichler, Leiter des Fachbereichs Soziale Arbeit in der Caritas Salzburg. Mehrere Gruppen von Menschen sind durch die Teuerungen betroffen. „Zum einen diejenigen, die bisher schon zu wenig zum Leben hatten – sie werden regelrecht von der Preislawine überrollt. Dazu geraten nun mehr und mehr Menschen ans Limit, die zwar im Arbeitsleben stehen, aber zu wenig verdienen, um Geld zurücklegen zu können, denen also monatlich nichts übrigbleibt.Sie können die Mehrkosten und Nachzahlungen kaum stemmen. Im August war spürbar, dass der Klimabonus wirkt, als Einmalzahlung jedoch nur für ein oder zwei Monate. Die laufenden Kosten sind aber jeden Monat zu bezahlen. Unser Ziel ist es, nachhaltige Lösungen für Betroffene zu finden, um im Idealfall einer kritischen Situation präventiv vorzubeugen. Wir müssen jetzt verhindern, dass aus der Teuerungswelle eine Armutswelle wird.“
In der Sozialberatung der Caritas zeigt sich, dass die Armut in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Etwa 11.000 Menschen haben sich von Jänner bis September 2022 schon an die Caritas gewandt, mehr als 1.200 Beratungen finden durchschnittlich jeden Monat statt. Vergleicht man August und September 2022, sind es um 35 Prozent mehr Menschen, die Hilfe brauchen. „Wir haben viele Beratungsgespräche mit Menschen, die Vollzeit arbeiten, aber wenn dann eine Jahresabrechnung von über 1.000,- Euro hereinkommt und nichts Erspartes mehr am Konto ist, wissen sie nicht mehr, wie sie das bezahlen sollen“, berichtet Melanie Fritzer, Leiterin der Caritas-Sozialberatung, aus ihrer täglichen Arbeit. „Der psychische Druck bei den betroffenen Menschen wird immer größer – oftmals brechen Menschen während der Beratung in Tränen aus. Das ist auch für uns in dieser Intensität etwas Neues. Dabei geht es um ganz grundlegende Dinge, wie den täglichen Einkauf, Wohnen, Miete oder um Heizkosten.“ Oftmals kommen die Menschen sehr spät, wenn die Situation schon sehr kritisch ist. Melanie Fritzer: „Bitte nehmen Sie so früh wie möglich mit uns Kontakt auf!“
Zur beispielhaften Haushaltsrechnung einer alleinerziehenden Frau
Zur beispielhaften Haushaltsrechnung einer Pensionistin
So hilft die Caritas: Beratung und Unterstützung in der Sozialberatung
Hilfe zu bekommen soll so einfach wie möglich sein, egal von wo oder über welche Form der Kommunikation. Die Caritas bietet ein flächendeckendes und präventives Beratungsangebot: persönlich in der Sozialberatung in der Stadt Salzburg und in allen Bezirken mit den Caritas-Zentren, telefonisch und online per Video oder Chat als niederschwelliger Zugang, unabhängig vom Wohnort.
In den Sozialberatungsstellen hilft die Caritas all jenen, die Unterstützung benötigen, auf ihrem Weg aus der Krise. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen genau, welche Möglichkeiten es in welcher Situation gibt. Sie beraten zum Beispiel bei Rechtsfragen, bei Arbeitslosigkeit oder in finanziellen und persönlichen Notsituationen. Melanie Fritzer: „In Beratungsgesprächen klären wir zuerst die persönliche Situation unserer Klient*innen, wir machen eine Haushaltsrechnung mit Einnahmen und Fixkosten und prüfen, ob es Anspruch auf Unterstützungsleistungen gibt. Danach erarbeiten wir gemeinsam die weiteren Schritte aus der Krise. Das wichtigste Ziel der Sozialberatung ist, unseren Klient*innen einen selbstständigen Weg aufzuzeigen und diesen unterstützend zu begleiten.“ Je nach Notwendigkeit leistet die Caritas in Akutsituationen Soforthilfe und hilft mit Kleidungs- oder Essensgutscheinen, Weihnachtspaketen für Kinder, Bildungs- und Heizkostenzuschüssen und Schulstarthilfe.
Zu den Leistungen der Sozialberatung
Die Fakten im Überblick
- Etwa 35 Prozent mehr Anfragen im Vergleichszeitraum August bis September 2022
- Verdreifachung der Erstkontakte im Jahresvergleich (Jan bis Sept) 2021-2022
- Ca. 11.000 Beratungen Jan-Sept 2022, d.h. mehr als 1.200 monatlich
- 13 Prozent armutsgefährdete Menschen in Salzburg, das sind etwa 70.000
- Österreichweit kann etwa ein Viertel der Menschen unerwartete Ausgaben in Höhe von etwa 1.000,- Euro nicht stemmen
Foto: v.l.: Torsten Bichler, Bereichsleiter Soziale Arbeit, Melanie Fritzer, Leiterin der Sozialberatung und Johannes Dines, Direktor der Caritas Salzburg