„Barmherzigkeit ist Auftrag an jeden und jede“
SALZBURG (eds- 29. 4.2016) / Der austro-brasilianische Bischof Erwin Kräutler befindet sich derzeit auf Heimatbesuch in Österreich. Aufmerksam verfolgt er die kirchliche, politische und gesellschaftliche Situation hierzulande ebenso wie in Brasilien.
Papst gibt Richtung vor
„Die Richtung stimmt“ kommentiert Erwin Kräutler positiv das jüngst veröffentlichte Synodalschreiben „Amoris laetitia“ von Papst Franziskus. Insbesondere lobt der emeritierte Bischof die „Art und Weise, wie der Papst an die Sache herangeht“, mit Blick auf „Dezentralisierung und Subsidiaritätsprinzip“. Es sei wichtig, „die pastorale Schiene“ nicht zu vernachlässigen, dies zeige sich besonders in der Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalls. Kräutler selbst interpretiert das Schreiben dahingehend, dass „Bischöfe und Seelsorger beauftragt sind, zusammen mit den Menschen auf eine Lösung zu kommen.“
Der Papst sei weder „moralisierend“, noch möchte er eine „elitäre Kirche“, so die Einschätzung Kräutlers. Der Pontifex „will mit offenem Herzen auf die Menschen zugehen“, dies spiegle sich in seinem „Kernthema Barmherzigkeit“, das aber auch verpflichtet: „Das Jahr der Barmherzigkeit ist Auftrag an jeden und jede“.
Christlicher Auftrag in Flüchtlingsfrage
Die Situation um die Fluchtbewegung in Europa verfolgt Erwin Kräutler sehr aufmerksam aus Südamerika. Besorgt blickt er auf die Entwicklungen, sieht die „Politik der Abschottung“ sehr kritisch und ortet im „sozialen und zwischenmenschlichen Bereich ein Versagen der EU“. Europa habe „den Auftrag sich zu öffnen“, die Aussage „das Boot ist voll“ erachte Kräutler als „Lüge“.
„Ausgesprochen positiv“ empfindet der Emeritus die „klare kirchliche Haltung“ zum Thema Flucht, die sich in der Position des Papstes und der Österreichischen Bischofskonferenz spiegle. „Über die kirchliche Leistung, namentlich von Caritas, Diakonie und Katholischer Aktion kann man nur so staunen“, lobt Kräutler den „konsequenten Einsatz für die Mitmenschen“ in den letzten Monaten. In diesem Zusammenhang fühle sich Kräutler als „glücklicher Österreicher“. Besonders anerkennend äußerte sich der Bischof über seinen Eisenstädter Amtskollegen Ägidius Zsifkovics für dessen „sehr mutigen“ Einsatz gegen die Grenzerrichtung auf kirchlichem Gebiet im Burgenland, der damit „Farbe bekennt“.
Mit Sorge nehme er aber auch „eine andere Seite“ wahr: „Es wird eine Angst geschürt, die in diesem Ausmaß unberechtigt ist“, sagt Kräutler. Es gebe „kein Rezept“ dagegen, aber zur Minderung der Angst solle auf „andere Dinge hingewiesen werden als auf jene, die Angst machen“, schlägt der Bischof vor. Zudem sieht er einen Lösungsansatz im „direkten Kontakt mit Flüchtlingen“ sowie der „Bewusstseinsbildung.“ Gerade im persönlichen Bereich liege ein großes Potenzial der Kirche.
Erwin Kräutler, der „Solidarität als christlichen und menschlichen Wert“ bezeichnet, versteht dies auch als Auftrag: „Es ist die Aufgabe der Kirche, dafür einzutreten, dass das Evangelium und dessen Werte gelebt werden“, betont Kräutler und fordert: „Als Christen müssen wir Farbe bekennen.“
Brasilien in der Krise
Momentan beschäftigt „Dom Erwin“ die Situation in Brasilien, wo er 35 Jahre als Bischof wirkte. „Wir haben eine politische, wirtschaftliche und moralische Krise in Brasilien“, stellt Kräutler fest und ortet „große Politikverdrossenheit“ im Land, die jedoch „gefährlich für die Demokratie“ sei. Auch wenn er aufgrund ihres politischen Verhaltens in Fragen der indigenen Völker und des umstrittenen Wasserkraftwerks Belo Monte „kein Fan“ von Präsidentin Dilma Rousseff sei, erachtet Kräutler die derzeitigen politischen Entwicklungen als bedenklich. „Dilma Roussef hat Fehler gemacht“, sagt Kräutler, „dennoch ist sie gewählt worden – es gebührt ihr Respekt im höchsten Amt im Staat.“ Pessimistisch sieht der Ordensmann in eine „düstere Zukunft“: „Es ist ein Riesenproblem, wie es weitergeht. Es wird Jahre dauern, bis eine neue Riege an Politikern da ist.“
Wenig Interesse für Olympia
Kritisch sieht der Amazonasbischof auch auf die bevorstehenden Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro. Er ortet „wenig Interesse“, denn es ist angesichts der vorherrschenden Themen wie politischer Korruption, Zika-Virus und Verdrossenheit „vorläufig kein Thema, über das man sich freut.“ Da es Kampagnen für wie gegen Dilma Roussef gebe, blickt der Oberhirte „in großer Sorge“ und „gespannt“ auf die Olympischen Spiele. Die unterschiedlichen Gruppierungen würden dort zusammentreffen und „auf die Barrikaden gehen, weil die ganze Weltöffentlichkeit auf Brasilien schaut“, prophezeit Kräutler. Ausschreitungen seien zu befürchten und man wisse nicht, wie Polizei und Militär darauf reagieren werden.
Erwin Kräutler bleibt in Brasilien
Seine persönliche Zukunft sieht Erwin Kräutler weiterhin in Brasilien. „Die Projekte laufen weiter“, kündigt er an und zeigt sich zufrieden mit seinem bischöflichen Nachfolger in der Diözese Xingu, dem Franziskaner João Muniz Alves. Er selbst war bei dessen Bischofsweihe Hauptkonsekrator, ein starkes Symbol, wie der gebürtige Vorarlberger meint: „Es zeigt, dass der Weg des Vorgängers weitergeht.“ Was seinen Einsatz für die indigenen Völker und den Regenwald betrifft, bleibt der 76-Jährige im Dienst der Sache. „Belo Monte ist praktisch fertig“, die Umgebung sei von Chaos geprägt. „Altamira hat seine Kultur verloren, die Leute kommen nicht mehr zusammen. Es ist eine Geisterstadt.“
Doch schon das nächste in Planung befindliche Wasserkraftwerk, diesmal am Rio Tapajós in Pará, bereitet dem „Öko-Flüsterer“ des Papstes Sorgen: „Ich hoffe, dass man wenigstens aus den Erfahrungen am Xingu gelernt hat“, so Kräutler, der dieses Thema angesichts der politischen Krisenstimmung in Brasilien als wenig beachtet ansieht.
Erwin Kräutler, geboren 1939 in Vorarlberg, trat nach seiner Gymnasialzeit 1958 in die Kongregation vom Kostbaren Blut ein und studierte in der Folge Theologie und Philosophie in Salzburg. Am 3. Juli 1965 wurde Kräutler im Salzburger Dom zum Priester geweiht. Im November desselben Jahres wanderte er nach Brasilien aus. Dort wirkte er in Mission, Seelsorge, als Pfarrer und im Unterricht, bis er am 25. Jänner 1981 zum Bischof geweiht wurde. Der emeritierte Oberhirte der Diözese Xingu ist bekannt für seinen Einsatz gegen politische, soziale und wirtschaftliche Missstände.
„Dom Erwin“ ist Träger zahlreicher Preise und Ehrungen, unter anderem des Erzbischof-Oscar-Romero-Preises der Katholischen Männerbewegung (1988), des Großen Goldenen Ehrenzeichens mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich (2009), der Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Paris-Lodron-Universität Salzburg (2009), des Livelihood Award (2010), des Ehrenpreises des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln (2014) und des Ehrenzeichen des Landes Salzburg (2015).
Die entwicklungspolitische Aktion der Katholischen Männerbewegung SEI SO FREI fördert die Arbeit und Projekte von Bischof Kräutler in Amazonien.: Im Haus „Refugio“ in Altamira finden arme Kranke aus abgelegenen Dörfern Unterkunft, werden betreut und an die zuständigen Ärzte vermittelt. Sie erhalten Unterstützung wenn das Geld für die notwendigen Medikamente nicht reicht. Kleine Operationen werden finanziert und ein Team von Sozialarbeitern und Krankenschwestern betreuen die Kranken. Nebenan im „Haus für Mutter und Kind“ werden Frauen vor und nach der Geburt betreut. In Dörfern des amazonischen Regenwaldes ist eine Schwangerschaft und Geburt nach wie vor ein Risiko.
SEI SO FREI Spendenkonto:
IBAN: AT10 3500 0000 0001 4100
Verwendungszeck: Kräutler
Buchtipp:
Kürzlich erschien das neueste Buch von Erwin Kräutler in Zusammenarbeit mit Josef Bruckmoser: Habt Mut! Jetzt die Welt und die Kirche verändern, Tyrolia Verlag, Innsbruck 2016, 144 S., 14,95€.
Foto: Der emeritierte austro-brasilianische Bischof Erwin Kräutler ist derzeit auf Heimatbesuch in Österreich.
Foto: EDS
