Auch die digitale Welt braucht Regeln

MOMENT: Frau Prof. Walser, Sie sind Professorin für Theologische Ethik und setzen sich auch mit Medienethik auseinander. Wie sieht denn eine Ethik für die digitale Welt überhaupt aus?
Angelika Walser: Die Ethik fragt danach, wie Menschen gut zusammenleben. Da Medien und die digitale Welt unser Zusammenleben nicht nur beeinflussen sondern ganz massiv prägen, stellen sich auch im Bereich der Medien die typischen ethischen Fragen: wie gehen wir miteinander um, was ist richtig, was nicht. Das interessiert mich natürlich als Moraltheologin und auch als ehemalige Journalistin. Für diesen speziellen Bereich der Kommunikation ist keine grundsätzlich neue Ethik erforderlich. Das Personalitätsprinzip, das Solidaritätsprinzip, das Subsidiaritätsprinzip, das Gerechtigkeitsprinzip – diese Grundprinzipien der katholischen Sozialethik gelten auch in der digitalen Welt. Dass auch virtuelle Kommunikation den Menschen zu dienen hat, dass sie zum guten Leben beitragen sollte, dieser Anspruch an die neuen Medien ist absolut nichts Neues.
MOMENT: Wie schaltet sich die Katholische Kirche in diesen Diskurs ein?
A.W.: Das 2. Vatikanischen Konzil hat ein Grundlagendekret über die sozialen Kommunikationsmittel formuliert. Ab diesem Zeitpunkt gibt es eine Reihe von kirchlichen Dokumenten zum Thema Kommunikation, Internet und auch über Ethik im Internet. Die Kirche versteht die neuen Medien dort als ein „Geschenk Gottes“. Sie sind „der runde Tisch“ an dem sich die Gesellschaft versammelt. Sämtliche Päpste seit Johannes Paul II nutzen das Internet. Es ist ein Medium der Verkündigung und als solches kann und soll man es benutzen.
MOMENT: Smartphones und Co. sind nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Welche konkrete Auswirkungen hat das denn auf unsere Beziehungen, auf unser Zusammenleben?
A.W.: Die neuen Technologien beschleunigen nicht nur unsere Kommunikation sondern auch unseren Arbeits- und Beziehungsalltag; damit müssen wir lernen, umzugehen. Ein positiver Aspekt: Wir können mit Menschen, die Tausende Kilometer entfernt sind, in Echtzeit kommunizieren - genial, oder? Aber: die Unmittelbarkeit einer face-to-face Kommunikation fehlt. Wir kommunizieren in der digitalen Welt ohne jegliche Körperlichkeit und das, obwohl wir uns normalerweise zu 90 Prozent mit unseren Körpern mitteilen; er ist ein wichtiger Informationsgeber. Beim Whatsappen und anderen Chat-Funktionen fällt diese Informationsquelle zum Teil oder vollkommen weg. Ich finde das einerseits höchstspannend – es stellt uns aber auch vor Herausforderungen. Die authentische Kommunikation ist dadurch manchmal in Gefahr, auch in unseren Beziehungen und Freundschaften.
MOMENT: Sie haben sich ja in ihrem neuen Buch mit dem Thema Freundschaft beschäftigt. Wie verändern sich Freundschaften durch die neue Kommunikationstechnologie?
A.W.: Es kommt ganz darauf an, was ich mir von einer Freundschaft erwarte. Wenn mir nette Bildchen und Cartoons genügen, ist Whatsapp und Facebook sicher okay. Wenn ich aber mehr von meinen Freunden wissen will, dann ist der persönliche Kontakt auch nach dem digital turn in meinen Augen unersetzbar. Wie auch schon vor dem digital turn geht es um die Frage: Was erwarte ich mir von einer Freundschaft? Und alleine das ist ausschlaggebend, wie diese Freundschaft verläuft.
MOMENT: Cybermobbing, Beschimpfungen und Drohungen im Internet, die sogenannten Shitstorms sind mittlerweile jedem ein Begriff. Wie kann man dieser Form der Gewalt entgegenwirken?
A.W.: Einerseits braucht es hier ganz konkrete politische Regelungen, gesetzliche Bestimmungen und einen rechtlichen Rahmen. Die Politik ist und wird auch in Zukunft immer mehr gefordert sein, Antworten auf diese Fragen zu liefern. Auf gewisse Grundwerte - das ist ganz klar - müssen wir uns einigen. Für die Prävention hat die Schule sicherlich eine Schlüsselfunktion. Benimm-Codices für das Internet gibt es genug; junge Leute sollten in der Schule davon gehört haben, welche Verhaltensregeln es im Internet zu beachten gilt. Auch das Thema Medienkompetenz im Allgemeinen muss an den Schulen verhandelt werden. Es gilt, ein Bewusstsein zu schaffen für das Gemacht-Sein von Nachrichten, Beiträgen, Texten und Bildern. Medien vermitteln immer eine konstruierte Form der Wirklichkeit. Ich muss mir bewusst machen, dass alles, was durch ein Medium vermittelt wird, von jemanden für jemanden konstruiert ist. Das hat noch nichts mit Fake-News und ihren gezielten Täuschungen und Manipulationen zu tun.
MOMENT: Kinder haben ja schon in jungen Jahren ein eigenes Smartphone und wachsen ganz selbstverständlich mit der digitalen Welt auf...
A.W.: Das ist per se nicht von vornherein schlecht. Es kommt darauf an, ob Kinder die digitale Welt als ganz selbstverständlichen Teil in ihr Leben integrieren lernen. An jene, die glauben, dass die jungen Leute nur mehr vorm Computer sitzen - Ich kann Sie beruhigen: Für Kinder und Jugendliche ist die Freizeitbeschäftigung „Freunde treffen“ unangefochten auf Platz eins.
Buchtipp: Angelika Walser: In deiner Nähe geht es mir gut. Warum Freundschaften lebensnotwendig sind, Tyrolia: Innsbruck-Wien 2017.
Das Interview erschien in "MOMENT", einer Beilage der Tiroler Tageszeitung, 21.4.2016.
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