Adventserie - Diagnose Demenz: Es wird scho glei dumpa

Die Diagnose ist nicht nur für sie eine große Herausforderung, sondern auch für pflegende Angehörige. Bei der Rupertusblatt-Adventserie steht im ersten Teil die Diagnose Demenz im Mittelpunkt. Was passiert, wenn es dumpa wird, wenn Erinnerungen allmählich verblassen und die Krankheit lebensbedrohlich wird?
Salzburg. Am Anfang hat es niemand bemerkt. Nicht der eigene Mann, nicht die eigenen Kinder. Elisabeth N., die ihren ganzen Namen nicht in der Zeitung genannt wissen will, hat keine Unterwäsche in den Camping-Bus gepackt, als es zum Urlaub ans Meer ging. Auch alle Hand- und Badetücher sind zu Hause geblieben. „Wie kannst du das nur vergessen“, hat der Mann damals verärgert gebrummt. Seine Frau hat sich geschämt und hilflos mit den Schultern gezuckt. Dann haben die beiden neue Wäsche in Kroatien gekauft und Frottiertücher.
Ein paar Monate später hat Elisabeth N. heimlich angefangen, sich kleine Zettel zu schreiben. Mit Dingen, auf die sie keinesfalls vergessen wollte – oder sollte. Ihr System hat gut funktioniert. Aber nicht lange. Bald hat sie an ihre kleinen Stützen auf Papier nicht mehr gedacht.
Heute tut sich die 66-Jährige schwer damit, ein Puzzle zusammenzubauen, das ihr die Ergotherapeutin anbietet. Es besteht aus nur zwei Teilen.
Ihre Welt hat sich verändert. Um sie herum ist es dumpa geworden. Ob sie das selbst bemerkt, kann keiner so genau sagen. Die Diagnose: Demenz im fortgeschrittenen Stadium.
Immer mehr erkranken
So wie Elisabeth N. geht es derzeit rund 115.000 Österreicherinnen und Österreichern. Die Zahl stammt vom Gesundheitsministerium; dessen Prognose lautet: „Mit dem Alter steigen Inzidenz- und Prävalenzzahlen, sodass für das Jahr 2050 mit 230.000 Erkrankten gerechnet wird.“ Demenz ist nicht heilbar. Frauen erkranken doppelt so häufig wie Männer. Die Risikofaktoren sind dieselben wie bei Schlaganfällen – Bluthochdruck, Zuckerkrankheit, erhöhtes LDL-Cholesterin und Rauchen.
Ihr Lächeln: unverwandt
Elisabeth N. hat nie geraucht. Ein bisschen Übergewicht hat sie, mehr als ein paar Kilo sind es allerdings nicht. Sie hat drei Kinder, eine Tochter und zwei Söhne. „Wenn meine Mama das hat, bekomme ich es dann auch? Zu wie viel Prozent kann ich damit rechnen? Wie vorbeugen?“ Die Tochter ist von der Situation überfordert. Das ist auch der Vater, der sich rund um die Uhr um seine Frau kümmert. Würde sie allein das Haus verlassen, wäre sie wohl nicht in der Lage, wieder hinein zu finden.
Vor zwei Jahren hat er seine Frau in der Salzburger Mönchsberggarage aus den Augen verloren. Während er das Parkticket in den Automaten gesteckt und bezahlt hat, ist Elisabeth N. weitergegangen. Die Garage ist weitläufig. Erst mit Hilfe der Polizei ist es gelungen, sie zu finden. Während ihr Mann Panik und Tränen in den Augen hatte, kam sie mit einem unverwandten Lächeln zu ihm zurück. Ob sie sich verloren gefühlt hat, kann keiner so genau sagen.
Orientierungsstörungen gehören zu den ganz klassischen Symptomen bei Demenz. Ebenso wie die Sprachbeeinträchtigung, Verhaltensauffälligkeiten oder das Verschwinden sozialer, beruflicher oder familiärer Kompetenzen.
Auch wenn Elisabeth N. heute manche Verwandte nicht mehr erkennt, ist es die engere Familie, die sich um sie kümmert. Allen voran ihr Mann, der den Alltag mit der 66-Jährigen bestreitet.
Hand in Hand sind sie früher durch den Supermarkt gegangen. So lange, bis N. das Gehen aufgegeben hat. Wie es weitergeht? „Diese Krankheit ist langsam und unaufhaltsam. Und am Ende überlebt sie es nicht. Das mit anzuschauen tut verdammt weh“, sagt die Tochter.
Dabei sieht sie nicht nur den geistigen und körperlichen Verfall ihrer Mutter mit an. Sie sieht auch, wie sich ihr Vater aufopfert. Manchmal reißt ihm der Geduldsfaden. Manchmal fehlt ihm die Kraft. Meistens schafft er es, einen schönen Tag mit seiner Frau zu verbringen. Ohne die Spaziergänge, bei denen die beiden sich immer an den Händen gehalten haben. Jetzt verbringt N. die meiste Zeit auf dem Sofa oder am Küchentisch sitzend.
Hilfe für pflegende Angehörige
„Je näher man einem Menschen ist, desto schwerer ist es, eine Persönlichkeitsveränderung mitzuerleben, die mit Demenz einhergeht“, sagt Anita Hofmann von der Caritas Salzburg. Sie weiß, wie es pflegenden Angehörigen geht – nicht nur Partnern, sondern auch Kindern. „Früher waren Mama oder Papa immer die Starken. Sie haben alles gekonnt. Und auf einmal sind sie schwach. Die Rollenumkehr ist eine enorme Herausforderung.“
Deshalb bietet die Caritas Salzburg einen Kurs für Angehörige von Menschen mit Demenz, in Kooperation mit der Stadt Salzburg an. Hofmann: „Wir starten im Jänner neu. Zehn Wochen lang finden je zwei Stunden statt. Das erscheint manchen am Anfang viel. Dann verfliegt die Zeit und es gibt immer noch offene Fragen. Das Hilfreichste ist zu wissen, dass man nicht allein ist mit der Herausforderung und der Überforderung, die immer wieder dazukommen kann.“
Wie wäscht man jemandem im Bett die Haare? – Praktische Fragen wie diese haben auch beim Katholischen Bildungswerk Platz. Es veranstaltet die Seminarreihe „Soll ich, kann ich, muss ich, will ich pflegen?“ Hofmann: „Jeder hat das Gefühl, sich erst mit der Betreuung der eigenen Eltern auseinandersetzen zu müssen, wenn der ,Pflege-Fall‘ eintritt. Dabei kann man früh klären, was möglich ist.“
Immerhin: Nicht jede und nicht jeder kann pflegen. Deshalb solle man sich in einer entspannten Situation fragen, was man zu leisten bereit ist. Wem man sich verpflichtet fühlt, was vertraglich geregelt wurde, was Eltern, Geschwister und Gesellschaft erwarten – und wie man damit umgeht.
Anita Hofmann hat fitte Eltern und Schwiegereltern. Wie schwierig es ist, liebe Menschen mit Demenz zu erleben, weiß sie von ihrer Nachbarin. „Eine Zeit war ich ihre Bezugsperson weil die Söhne weit weg waren. Ihren Weg mit anzuschauen war nicht schön.“ Apropos Männer: Sie sind bei der Pflege langsam auf dem Vormarsch. Diesen Eindruck hat Hofmann. „Pflege ist noch weiblich. Aber es wird.“
Infos zu den Kursen gibt es unter www.caritas-salzburg.at/hilfe-angebote/betreuung-begleitung-und-pflege.
Fotos: Was ein demenzkranker Mensch fühlt und denkt, ist nicht klar. Gefühle bleiben offenbar lange Zeit unbeeinträchtigt, belegen wissenschaftliche Erkenntnisse.
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