400 Jahre Landesmutter Hl. Erentrudis
Schwestern und Brüder!
Im 100-Jahrrythmus soll es geschehen: Eine feierliche Prozession vom Nonnberg herab, mit den ehrwürdigen Frauen des Stifts, an deren Spitze die hochwürdige Mutter Äbtissin – so wird sie von alters her in Salzburg genannt –, ein Miteinander der geistlichen und weltlichen Obrigkeit im Beisein aller Vereine. All das zeigt, in welch tief gegründeter Tradition unsere Erzdiözese und mit ihr das Land Salzburg steht.
Wir feiern heute gleichsam die Erinnerung einer Erinnerung und sind damit inmitten dessen, was wir als das Wesen von Kirche als Heilssakrament erkennen und würdigen. Vor 400 Jahren ist der tief in die Herkunft wie auch weit in seine Gegenwart und auch nach vorn blickende Erzbischof Paris Lodron der Erinnerung an Erentrudis inne geworden. Er hat die Bedeutung dieser Lichtgestalt unseres Glaubens neu erkannt und neu für seine und alle Zeiten festgesetzt: er veranlasste die Erhebung zur Landesmutter für das Ganze der Diözese, gewissermaßen eine späte Formalisierung der Heiligsprechung Erentrudis‘. Erinnerung bedeutet Innewerden im Sinne von Vergegenwärtigung.
Zur Zeit Paris Lodrons floss schon über 900 Jahre lang in Salzburg das Quellwasser benediktinischen Ursprungs. Aber auch die Gründergestalten wie Rupert und Erentrudis lebten schon aus einer Erinnerung, die sie durch ihr Leben bezeugten und feierten: Nämlich die Erinnerung an die Erfahrung der Frauen an jenem Morgen in aller Frühe, als es noch dunkel war am leeren Grab des geliebten Meisters – wo sich die erste grundlegende translatio ereignete, als Jesus vom Tode ins ewige Leben auferweckt wurde. Wir haben in Salzburg zwei leere Gräber: das eine in St. Peter, wo der Hl. Rupert bestattet war, und das andere ein Felsengrab in der Krypta am Nonnberg, wo der Leib der Hl. Erentrudis auf das Ende der Dinge wartete – stille Zeugen der Auferstehung.
Von der Hl. Erentrudis ist uns biografisch wenig überliefert. In einer Zeit, als die Wende zum Subjekt noch weit weg war, tritt sie ganz hinter ihr Lebenswerk zurück. Demnach lautet auch ihr Wahlspruch (Ps 73,28): „Mihi autem adhaerere Deo bonum est, ponere in Domino spem meam“ – „Gott anzuhängen, in den Herrn meine Hoffnung zu setzen ist mein Gut.“ Man stand nicht im Zentrum, man wusste, wem man glaubte und wem man anhing – so wie es auch bereits der Heilige Johannes, mein Patron im Bischofsamt, bekannte: „Er muss wachsen, ich aber kleiner werden.“
Hierin liegt der große Unterschied zu unseren Tagen. Mit dem Beginn der Neuzeit ist der Mensch – so die Aufklärung – aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit aufgewacht. Das wird man grundsätzlich nicht schlechtreden dürfen, aber jeder Fortschritt hat auch seine Opfer. Man glaubt es vielfach nicht, es ist jedoch so. Karl Rahner hat es einmal so benannt: „Jede Zeit hat ihre vergessene Wahrheit.“ Charles Taylor wiederum hat in seinem Monumentalwerk „A Secular Age“ die Frage untersucht, warum in der Neuzeit in relativ kurzer Zeit bei all den großen Siegen der Vernunft doch eines sehr schnell verloren ging: nämlich die Fähigkeit des Menschen zur Transzendenz. Damit fehlte fortan ein Bezugs- und Orientierungspunkt über die Endlichkeit hinaus.
Diese Engführung schlägt sich auch nieder im Verständnis von Kirche. Es ist heute schwer einsichtig zu machen, dass wir eine Herkunft haben, der wir uns verdanken, die wir weiterschreiben sollen und müssen, und wir sollten nicht so tun, als ob man allein aus dem je eigenen Moment heraus die ganze Wirklichkeit erfassen und gestalten könnte. Was wir in der Ökologie mit der Nachhaltigkeit langsam zu begreifen beginnen, das gilt auch für die geistige-geistliche Wirklichkeit.
Ich darf dies mit einem Bild illustrieren: Der Fluss! Ein Fluss lebt wesentlich von seiner Quelle. Sehr oft bekommt er von dieser auch den Namen. Nun verhält es sich aber so: Wenn die Hauptquelle des Flusses versiegt, nehmen wir als Beispiel unsere Salzach, dann hört in Salzburg die Salzach nicht einfach zu fließen auf. Aber streng genommen wäre sie eben nicht mehr die Salzach; man müsste sie umbenennen. In dieser Weise verhält es sich auch mit dem großen Fluss der Kirche. Ihr Ursprung, die Quelle sind Leben und Wirken, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus. Die Kirche ist Flussbett und Fluss zugleich. Unsere erste Aufgabe und Sorge muss es sein, mit der Quelle, wie sie in Nazareth, Betlehem und Jerusalem zu fließen begonnen hat, in Verbindung zu bleiben. Das nennen wir Tradition und Hierarchie. Ein zweites ist auch noch wichtig: Jeder Fluss braucht Zuflüsse; die Quelle muss gleichsam weitergetragen werden. Nun ist aber Vorsicht geboten, was alles in den Fluss hineinfließt. Auch Abwasser oder Regenwasser können Zuflüsse sein, doch dadurch leidet die Qualität, die das Wasser auszeichnen soll, nämlich die Trinkbarkeit. Quellwasser der Salzach kann man gefahrenlos trinken – ob solches auch noch in der Stadt für ihr Wasser gilt, würde ich zuvor bei Fachleuten nachfragen wollen.
Aus diesem einfachen Beispiel ist zu lernen: Die Kirche ist ein organisches Ganzes, das wächst und fließt. In diesem Strom des Lebens sich einzufügen und einzubringen, das bedeutet christlich leben und glauben.
Unsere Gründergestalten und mit ihnen viele gläubige Christen und Christinnen haben so gelebt und geglaubt. Dafür sind wir dankbar und wollen das uns zugekommene kostbare Erbe auch weitergeben an all, die nach uns kommen.
Es fügt sich gut, dass wir heute auch Erntedank feiern. Die vielen Vereine haben als Zeichen unser aller Dankbarkeit die Erntekrone gebunden. Wir haben Grund Dank zu sagen für die Gaben der Natur. Wir wollen zugleich jedoch nicht übersehen oder gar abtun, wie sehr die Mutter Erde unter dem sich ändernden Klima stöhnt und ächzt. Auch unser Land war in diesem Jahr nicht verschont von schweren Unwettern und ihren Auswirkungen. Wir sagen dank für die vielen Hilfestellungen, die seitens der öffentlichen Hand und vielen ehrenamtlichen Institutionen geleistet wurden. Neben dem Bemühen um ein klimaverträgliches Leben wollen wir als gläubige Christen und Christinnen Gott inständig auch um ein gedeihliches Wetter bitten, gilt doch die Natur als ein Buch Gottes, wohinein er seine Botschaft einer guten Schöpfung geschrieben. Unserer Zeit hingegen präsentiert Mutter Erde – wie der Hl. Franziskus die Natur noch liebevoll zu besingen mochte – ihre Wunden und Verletzungen. Einkehr und Umkehr tut da not. Unseren Anteil am Klimawandel dürfen wir nicht ausblenden.
In der Zeit unserer Gründungsheiligen lebte man noch in der Gewissheit, in Gottes Hand auch mit dem, was wir an Lebensnotwendigem brauchen, geborgen zu sein. Der Hl. Augustinus fasste es einmal wunderbar ins Wort:
„Die ganze Schöpfung ruft aus: Gott hat uns geschaffen!“
Gottes Wort ist Schöpfungs- und Erlösungswort. Jesus sagte: Wer mein Wort hört und danach handelt, ist mir Mutter, Bruder und Schwester. Die Hl. Erentrudis hat auf das Wort Gottes gehört und danach gehandelt; so ist sie Jesu Mutter und Schwester geworden und uns, unserer Erzdiözese und unserer Heimat zur Landesmutter.
Amen!