Was fehlt dir?
Bereits in der Frage kündigt sich die Ahnung einer Antwort und vielleicht eine Lösung an. Etwas ist auf dem Weg. Die Krippe ist noch leer, aber das Licht von oben kündigt Gottes Kommen an. Dieser Moment wird im Sujet der Weihnachtskampagne eingefangen.
An allen Ecken und Enden fehlt etwas. Der Mangel ist in unserem Leben allgegenwärtig. Nur: Er ist manchmal weniger sichtbar und manchmal mehr. Alltagstrott, mediale Ablenkung, berufliche und familiäre Überlastung, Konsumglück oder die Freude des schnellen Moments lassen ihn uns eine Zeitlang vergessen. Aber gerade in Zeiten wie diesen, Zeiten der Krise, des Alleinseins, der Überforderung, der Stille wird schnell sichtbar, woran es uns fehlt. So ist der Mensch. Das sind wir. Gerade jetzt.
Weil immer etwas fehlt
Auch das adventliche Warten beginnt mit der Erfahrung eines Mangels: Der Erlöser fehlt. Deshalb erinnern wir uns an die Geschichte von Betlehem, die uns zusagt:
Gott wird Mensch. Und das heißt: Gott begibt sich dorthin, wo unsere Risse spürbar werden, wo uns Geliebtes genommen wird und wo wir mit leeren Händen dastehen. Das Kind in der Krippe ist dafür das sichtbarste Zeichen.
Weihnachten, so sagt uns die Bibel und so glauben wir Christen, ist darum ein Fest, weil Gott sich entschließt so zu werden wie wir. Er begibt sich hinein in unsere Wirklichkeit. Das meint „Menschwerdung“. Er wird ein Mängelwesen. In allem uns gleich, außer der Sünde. Und das bleibt nicht folgenlos. Gott wird Mensch, damit die Menschen „vergöttlicht werden“ – so lautet die Kurzformel eines großen Theologen der Ostkirche Athanasius von Alexandrien. Das ist aber nicht wie in einer griechischen Tragödie zu verstehen, wo Menschen durch das Einwirken der Götter Flügel erwachsen oder allmächtig werden.
Göttlich werden heißt: Gott stellt die Gottesebenbildlichkeit des Menschen wieder her, indem er seine Würde erneuert, weil er ihn heil macht. Darum nennen wir diese Nacht heilig. Heil werden heißt: Es geht nicht nur um das Kitten unserer Risse, sondern um eine ganzheitliche Reparatur. Wir werden neu ausgerichtet, auf Hoffnung hin gestimmt, mit göttlichem Leben betankt. Die Heiligung durch göttliches Leben bedeutet: Den Mangel und das Nichterfüllte nicht nur als Schicksal, Hindernis und Schönheitsfehler, sondern als Bedingung unserer Erlösung annehmen zu können in der Gewissheit, dass auch unser Leben repariert wird.
Ein Riss geht durch Leben und Welt
Die kanadische Liedermacher-Legende Leonhard Cohen hinterließ uns diesen Vers: There is a crack in everything – „There’s a crack in everything, that’s how the light gets in.“ Übersetzt heißt das so viel wie: „In allem gibt es einen Riss, eine Leerstelle. Aber nur so kommt das Licht herein.“
Das Licht von oben, so heißt es am Christtag, will jeden Menschen erleuchten. Darin liegt eine große Entlastung. Der Riss in unserem Leben und in unserer Zeit ist da und die Mängel sind schwer zu übersehen. Es liegt aber nicht mehr an uns, den Riss zu kitten oder das Fehlende zu suchen. Als Christen vertrauen und hoffen wir darauf, dass Gott es ist, der das Zerbrochene wieder zusammenfügt und das Fehlende füllt durch seine Menschwerdung. Dass er das Licht ist, das durchdringt, weil sich die Sehnsucht nach ihm Bahn bricht.
Text: David Pernkopf, Erzdiözese Sazburg