Salzburger „Disputationes“: Reflexionen über Ungewissheit und Hoffnung

SALZBURG (eds) / „Wir dürfen also in aller Unsicherheit und Ungewissheit hoffen – dieses Hoffen steht ja im Zentrum des Glaubens an Gott von Anfang an“: Das betonte der Salzburger Erzbischof Franz Lackner in seinem am Montagnachmittag gehaltenen Grußwort zu den dreitägigen „Disputationes“ zum Thema „Et exspecto“ (auf Deutsch: „Und ich erwarte“). „Ungewissheit, so meine ich, gehört wesentlich zum Menschsein.“ Angesichts der krisenreichen Zeit reagierte er wie die anderen Rednerinnen und Redner am Eröffnungsnachmittag im Rahmen der Salzburger Festspiele auf die Sorgen und Ängste, die Ohnmachtsgefühle vieler Menschen. Heuer sind die „Ouverture Spirituelle“ wie die bis Mittwochabend dauernden „Disputationes“ der Erwartung im Dreischritt „Ungewissheit. Zuversicht. Verheißung“ gewidmet.
„Sperare contra spem, Hoffen wider alle Hoffnung, dies ist bereits mit Abraham grundgelegt, wie Paulus einst an die Römer schrieb (Kapitel 4,18)“, erklärte Erzbischof Lackner weiter. „Vielleicht – wieviel Ungewissheit sich doch in diesem kleinen Wort birgt! – lässt sich also sagen, am Ende sei nichts gewiss, nicht einmal die Ungewissheit.“ Er verwies zudem auf das Glaubensbekenntnis von Nicäa und Konstantinopel, verknüpft mit dem Veranstaltungsthema. „Wir glauben an die Auferstehung Jesu, an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben – wir erwarten sie sogar.
Festspielintendant Markus Hinterhäuser würdigte diese geöffneten „Räume der Reflexion“ über existenzielle Fragen in seiner Begrüßung als „Kostbarkeit der Salzburger Festspiele“. Er zeigte sich fasziniert von der Atmosphäre bei der Matthäuspassion. „Das Publikum hat ernst genommen zu werden, dann bekommt man vieles zurück.“ Zum Auftakt sprachen aus sozialpsychologischer, meteorologisch-klimatologischer und philosophisch-künstlerischer Perspektive Sozialpsychologe und Zukunftsforscher Andreas M. Krafft, die emeritierte Meteorologie- und Klimatologie-Professorin Helga Kromp-Kolb sowie Philosophieprofessorin Catrin Misselhorn mit „Disputationes“-Präsident Professor Dietmar W. Winkler, Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg, über die Ungewissheit, die die krisenhafte Zeit mit sich bringt und, wie Menschen damit umgehen, wie sie darauf reagieren können.
Unter den Teilnehmenden des Symposions in der SalzburgKulisse waren unter anderem Äbtissin emerita Perpetua Hilgenberg, Hanna Feingold, die ehemalige Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler und der ehemalige österreichische EU-Kommissar Franz Fischler.
Kollektive Hoffnung und Vertrauen ineinander
Ökonom, Sozialpsychologe und Zukunftsforscher Andreas M. Krafft plädierte dafür, eine kollektive Hoffnung auf eine bessere Zukunft für alle wieder zu entwickeln und, sich mit Vertrauen ineinander gegenseitig auf dem Weg zu einer besseren Welt zu unterstützen. Dafür „müssen wir offen sein für Neues“ trotz aller Ungewissheit. Zudem brauche es Fürsorge und Zusammenarbeit. Für den aus Argentinien stammenden Sozialpsychologen steht fest: „Wir brauchen andere Menschen und wir brauchen Hoffnung, um die Krisen der heutigen Zeit bewältigen zu können.“ Insbesondere auf die Frage nach den jüngeren Generationen hatte er eine klare Antwort: „Wir müssen junge Leute nicht vorbereiten auf die Zukunft, sondern sie dafür befähigen.“ Beim Wunsch nach besserer Zukunft stelle sich die Frage nach dem Sinn im Leben. „Um Hoffnung zu haben, muss ich aus dem Wunsch einen Glauben entwickeln, dass es möglich ist, dass sich der Wunsch erfüllen lässt.“ Wer daran glaubt, dass es eine Möglichkeit gibt, werde eher etwas dafür tun. Was aber dafür zu groß sei, gebe er weiter an Gott im Vertrauen, dass er behilflich ist. Deshalb sei es wichtig, aneinander – auch von einer Generation zur nächsten – zu glauben. „Wir brauchen Selbstvertrauen und gleichzeitig auch Vertrauen ineinander, bis hin in den Staat. Wenn wir das nicht zurückgewinnen, werden wir uns schwertun.“
Den Schweizer interessiert, „wie wir Menschen Zukunft wahrnehmen“. Eine Umfrage unter 10.000 Menschen in 14 Ländern hatte ein ernüchterndes Ergebnis: „Wir leben in einer Dystopie“, die Mehrheit der Menschen glaube nicht an eine gute Zukunft. Hoffnung und Angst benannte er dabei als zwei Seiten einer Medaille. Hoffnung, Angst und Sorge gehören gleichermaßen existenziell zum Dasein als Menschen. Die Hoffnung sei jedoch die Voraussetzung für die menschliche Entwicklung. „Dass wir etwas tun können, besonders in schwierigen Zeiten, dort ist die Hoffnung wichtig. Wenn es uns nicht gut geht, bewährt sie sich.“ Er warf die Frage auf, was der Konsum negativer Nachrichten mit den Menschen macht, insbesondere mit der Jugend. Kraffts Antwort: Es ergebe sich eine „gewisse Ohnmacht bis hin zu einer Perspektivenlosigkeit“. Über Jahrzehnte habe es die Erwartungshaltung gegeben, dass es der jungen Generationen besser geht. „Wir leben in einer Zeit, wo sich viele Jugendliche und junge Erwachsene nicht mehr vorstellen können, dass sie ein besseres Leben haben als ihre Eltern.“ Das hänge mit der Gesundheitskrise, der Klimakrise und der sozialen Krise zusammen.
Lösungsorientiert ins Tun kommen
Helga Kromp-Kolb spricht seit 50 Jahren über die Klimakrise. Katastrophen werden nicht erkannt, wenn sie kommen, so ihre Beobachtung. Die emeritierte Universitätsprofessorin für Meteorologie und Klimatologie an der Universität für Bodenkultur in Wien erkennt vier Aspekte, die sich wiederholen: Klimawandel, Umweltzerstörung, die Entwicklung von Oligarchien und die Komplexität. „Wir können es uns nicht leisten, uns lähmen zu lassen von der Angst und nichts zu unternehmen.“ Sie zeigte sich überzeugt: „Wir können etwas tun“, deshalb müssen Möglichkeiten umgesetzt werden. Letztlich gehe es um drei Kernfragen, die es zu beantworten und die Antworten dann umzusetzen gelte: „Was ist uns wirklich wichtig? Was lassen wir los? Was graben wir aus, was uns schon einmal geholfen hat und, das wir wieder einsetzen können?“
Kunst in Zeiten von „Künstlicher Intelligenz“
Über die Frage, ob „Künstliche Intelligenz“ (KI) das Ende der Kunst sei, sprach die deutsche Philosophieprofessorin am Philosophischen Seminar der Georg-August-Universität Göttingen, Catrin Misselhorn. Ästhetische Verantwortung, Subjekt und zielgerichtetes Handeln seien Kriterien für Kunst. Insofern seien viele mit Hilfe der KI generierte Werke eigentlich „Fake Art“. Das sei an sich nichts Neues. Bis dahin „waren Fälschungen schwer durchzubringen“. Misselhorn hoffe einerseits auf die Kunstpraxis selbst, Wege zu finden, die Fälschungen zu enttarnen und echte Kunstpraxis weiterhin zu etablieren. Andererseits gelte es, die KI dort einzusetzen, wo es noch keine Problemlösungen gibt.
Miteinander der Generationen
Im vertiefenden Podiumsgespräch wurde vor den Gefahren gewarnt, wenn die KI ohne Werte und Ethik dem Markt überlassen wird. Zudem sei es wesentlich, auf ein Miteinander der Generationen zu fokussieren, so der Tenor des Podiums. Drei große Themen der aktuellen Zeit sind laut Zukunftsforscher Andreas M. Krafft Umwelt, Gesundheit und das soziale Miteinander. „Entweder wir lernen oder wir leiden“, benannte er die beiden Möglichkeiten, in die Zukunft zu gehen. Aus der Unternehmensführung nannte er die Zuversicht als Weg, lernend in die Zukunft zu gehen. Es gelte laut Podium, gemeinsam Angebote zu setzen, um aus der Negativspirale und der Perspektivlosigkeit herauszukommen und gemeinsam wieder Konzepte der Hoffnung zu entwickeln. Als Basis brauche es dazu Vertrauen, Zutrauen und die Bitte um Verzeihung.
Traditionsreicher interdisziplinärer Diskurs
Die „Disputationes“ sind seit mehr als zehn Jahren fixer Bestandteil der „Ouverture Spirituelle“, der Auftaktwoche der Salzburger Festspiele. Beim dreitägigen Symposion wird eine wissenschaftliche, interdisziplinäre Ausleuchtung des jeweiligen Themas der „Ouverture Spirituelle“ vorgenommen. Das dreitägige Symposion (22. bis 24. Juli) geht dem heurigen Thema „Et exspecto – Und ich erwarte“ im programmatischen Dreischritt „Ungewissheit“ (22. Juli), „Zuversicht“ mit Lars Amend, Nermin Ismail und Barbara Schmitz (23. Juli) und „Verheißung“ mit Reinhold Esterbauer, Martina Mara und Ilija Trojanow (24. Juli) nach. Hochkarätige Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft, Kunst und Kultur halten dabei zunächst Impulsreferate, bevor sie miteinander in einem Podiumsgespräch die Themen vertiefen.
Seit ihrer Gründung 2012 sprachen bei den „Disputationes“ bei 45 Veranstaltungen in zwölf Jahren bereits 125 renommierte Vertreterinnen und Vertreter der großen Weltreligionen sowie Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft über die Wirkung von Kultur und Religion auf den Menschen – über spirituelle Momente in der Kunst, über Gemeinsames und Trennendes in Musik und Mystik unterschiedlicher Glaubensrichtungen sowie über die großen Fragen der Menschheit nach Herkunft und Endlichkeit. Ein jährlich produzierter Sammelband bündelt Vorträge und Diskussionsbeiträge der jeweiligen „Disputationes“. Zehn Publikationen gibt es bereits zu dieser Veranstaltungsreihe. (Info: www.disputationes.at)