Salzburger „Disputationes“: Reflexionen über das Schicksal

SALZBURG (eds) / Am Dienstagnachmittag wurden in der SalzburgKulisse die dreitägigen „Disputationes“ eröffnet. Die Veranstaltungsreihe im Rahmen der Salzburger Festspiele widmet sich heuer dem Thema „Fatum“ (auf Deutsch: „Schicksal“). Die „Ouverture Spirituelle“ sind wie die bis Donnerstagabend dauernden „Disputationes“ dem Schicksal im Dreischritt „Vorsehung. Verkettung. Verhängnis“ gewidmet. „Disputationes“-Präsident Prof. Dietmar W. Winkler, Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg, verwies in seiner Begrüßung auf die Herausforderung, die das gewählte Thema darstelle. Neben Erzbischof Franz Lackner waren unter anderem Äbtissin emerita Perpetua Hilgenberg, Hanna Feingold und der frühere Erzabt Korbinian Birnbacher gekommen.
Zum Auftakt sprachen aus theologischer und religionspädagogischer Perspektive Prof. Jan-Heiner Tück (katholisch, Universität Wien), Mouhanad Khorchide (islamisch, Universität Münster) und Carola Roloff (buddhistisch, Universität Hamburg) mit „Disputationes“-Präsident Prof. Dietmar W. Winkler, Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg, über Entwicklungen in den Religionen, unterschiedliche Perspektiven auf die Fragen nach Vorsehungen und der Freiheit des Menschen. Im vertiefenden Podiumsgespräch wurde über die Facetten der Allwissenheit und der Allmacht Gottes diskutiert, weg von einer beängstigenden Gottesvorstellung, hin zu einem barmherzigen Gott.
Plädoyer für aktive Religiosität
Prof. Mouhanad Khorchide sprach über Entwicklungen in der islamischen Religionsgeschichte. „Es gibt nicht DEN Islam“, betonte er vorweg. Vieles drehte sich in der Entwicklung um die große Frage nach der Nachfolge des Propheten Mohammed. Ein wesentlicher Gedanke im Islam sei, dass alles dem Willen Gottes unterliege – Gott greife unmittelbar in die Entwicklung der Welt ein. Demnach gebe es eine Herangehensweise, die Theodizee-Frage nicht zu stellen. „Eine Konsequenz ist ein autoritäres Gottesbild, das dadurch entstanden ist“, erklärte Khorchide. Kritisch merkte er „eine gewisse Passivität“ an, mit der viele Menschen nach diesem Glaubensgrundsatz derzeit durchs Leben gehen. Anders argumentieren sei mittels Freiheitstheologie möglich: „Gott hat den Menschen das Ruder in die Hand gegeben. Wir sind selbst verantwortlich für das, was wir tun.“ Die islamische Freiheitstheologie, wie Khorchide sie versteht, besage, dass Gott sehr wohl eingreift, aber auf eine inspirierende Art und Weise und appellierend an die Verantwortung. „Es liegt aber an uns, ob wir das überhaupt wahrnehmen und uns inspirieren lassen.“ Es gehe um eine Religiosität, die weg vom Passiven, hin zum Aktiven geht.
Keine göttliche Vorsehung im Buddhismus
Eine Vorstellung göttlicher Vorsehung gibt es im Buddhismus nicht, erklärte Carola Roloff. Buddhistinnen und Buddhisten sprechen von Karma von einem „dynamischen Wirkprinzip“. Erfahrungen prägen Menschen in diesem Leben und darüber hinaus. Kausalität werde als Naturgesetz verstanden. „Taten führen zu Folgen“, nicht anders als in der Physik. Allem liege die Verblendung zugrunde. Die Zukunft sei offen, weil sie nicht von einer Instanz vorherbestimmt sei. Eine wichtige Frage sei: „Was machen wir daraus?“ Es gehe allem der Geist voraus. „Was wir heute sagen, denken und tun“, präge das gesamtgesellschaftliche Leben. Alles hänge voneinander ab. Leid werde ebenso als Resultat verstanden. „Leid und Verantwortung sind nicht nur Last, sondern eine Chance zur Veränderung“, führte Roloff aus. „Statt die Vorsehung zu verwerfen, könnten wir nach der Hoffnung fragen.“ Es sei die Freiheit, mitfühlend zu handeln, selbst in einer komplexen Welt. Diese Freiheit stehe allen Menschen offen.
Unter der Regie des Heiligen Geistes
Eine Abgrenzung aus christlicher Perspektive nahm Prof. Jan-Heiner Tück vor. Er plädierte dafür, „dass bei der Überwindung des Bösen die Gestalt Jesu Christi eine Rolle spielt“. Gemeinsam mit den anderen Perspektiven sei, dass auch er sich gegen einen strengen Determinismus aussprach. Tück glaubt an einen beobachtend zusehenden Gott. Vorsehung hat für ihn „mit Fürsorge zu tun“. Die Vorsilbe pro im lateinischen Wort providentia (im Griechischen pronoia) weise darauf hin, „dass es um etwas geht, das für uns da ist. Theologisch geht es um das Zusammenspiel der verborgenen Freiheit Gottes und unserer Freiheit, nicht um Notwendigkeit oder ein göttliches Diktat, das an uns ohne uns handelt. Das ist zumindest die Deutung, für die ich werben möchte. Diese Deutung schließt einige andere Sichtweisen aus.“ An die Vorsehung Gottes so zu glauben, dass sie die menschliche Freiheit fördert und begleitet, „bedeutet, Gott und Mensch nicht nach dem Modell der Konkurrenz, sondern nach dem Modell des dialogischen Zusammenspiels zu denken. Gott ist gut – und zu seiner Güte gehört es, sich dem anderen seiner selbst mitteilen zu wollen.“ Tück spielte die Frage nach der Vorsehung auch mit einem Gleichnis durch: „Gott ist der Autor, der Heilige Geist der Regisseur und Jesus Christus der Protagonist des Dramas, die Welt aber die Bühne und wir nicht die Zuschauer, sondern die Mitspielenden.“ Den Mitspielenden seien Freiräume der Entfaltung gegeben. „Spielen sie im Sinne der Autorintention und Regie – oder spielen sie eigene abweichende Rollen? Und was geschieht, wenn sie die ihnen zugedachte Rollen verweigern, kann das Drama dann in ein Fiasko einmünden?“ – Christinnen und Christen seien aufgerufen, in der Spur der Nachfolge Jesu, am Aufbau des Reiches der Gerechtigkeit und des Friedens mitzuwirken und eine „Mystik der offenen Augen“ einzuüben, „die den anderen in seiner Not nicht übersieht“, bekräftigte Tück.
Traditionsreicher interdisziplinärer Diskurs
Die „Disputationes“ im Rahmen der „Ouverture Spirituelle“, der Auftaktwoche der Salzburger Festspiele, haben sich seit ihrer Gründung im Jahr 2012 zu einem fixen Bestandteil der Salzburger Festspielsaison entwickelt. Beim dreitägigen Symposion wird eine wissenschaftliche, interdisziplinäre Ausleuchtung des jeweiligen Themas der „Ouverture Spirituelle“ vorgenommen. Das dreitägige Symposion (22. bis 24. Juli) geht dem heurigen Thema „Fatum – Schicksal“ im programmatischen Dreischritt „Vorsehung“ (22. Juli), „Verkettung“ mit Werner Gruber und Tatjana Schnell (23. Juli) und „Verhängnis“ mit Johannes Huber und Gabriele von Arnim (24. Juli) vor. Hochkarätige Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft, Kunst und Kultur halten dabei zunächst Impulsreferate, bevor sie miteinander in einem Podiumsgespräch die Themen vertiefen.
Seit ihrer Gründung 2012 sprachen bei den „Disputationes“ bei 48 Veranstaltungen in 13 Jahren bereits 135 renommierte Vertreterinnen und Vertreter der großen Weltreligionen sowie Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft über die Wirkung von Kultur und Religion auf den Menschen – über spirituelle Momente in der Kunst, über Gemeinsames und Trennendes in Musik und Mystik unterschiedlicher Glaubensrichtungen sowie über die großen Fragen der Menschheit nach Herkunft und Endlichkeit. Ein jährlich produzierter Sammelband bündelt Vorträge und Diskussionsbeiträge der jeweiligen „Disputationes“. Elf Publikationen gibt es bereits zu dieser Veranstaltungsreihe. (Info: www.disputationes.at)