Ohne Salzburger Kirche kein Jedermann

SALZBURG (eds) / „Seit nunmehr 100 Jahren wird vor dem Domplatz der ,Jedermann‘, das Sterben des reichen Mannes, aufgeführt“, zeigt sich der Salzburger Erzbischof Franz Lackner im Jubiläumsjahr 2020 erfreut. Nicht nur er schätzt das gemeinsame Schaffen von Kirche und Salzburger Festspielen – auch deren Präsidentin Helga Rabl-Stadler ist überzeugt, dass die Offenheit des damaligen Erzbischofs Ignaz Rieder (1858–1934) ausschlaggebend für den Erfolg des „Jedermann“ war.
Keine „Jedermann“-Premiere vor dem Dom ohne den Erzbischof
„Der kunstsinnige und aufgeschlossene Erzbischof Rieder, dem ,ein guter Jude wie Reinhardt lieber ist, als ein schlechter Christ‘, erteilte die Genehmigung und erlaubte Reinhardt zudem, die Domorgel und das Glockengeläut für die Aufführung zu nützen. So wurde tatsächlich, im Sinne Reinhardts, die ganze Stadt zur Bühne“, schrieb sie in einem Kommentar im „Rupertusblatt“, der Wochenzeitung der Erzdiözese Salzburg. Ohne die tatkräftige Unterstützung des damaligen Erzbischofs Ignatius (Ignaz) Rieder wäre also am 22. August 1920 der „Jedermann“ auf dem Domplatz nie in Szene gegangen, so die Festspiel-Präsidentin. Die gegenseitige Wertschätzung von Erzdiözese und Salzburger Festspielen hat sich in den vergangenen 100 Jahren gefestigt und erweitert. Die Verbindung von Kirche und Festspielen halten Erzbischof Franz Lackner und Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler aufrecht.
„Ein Kunstding von Weltrang“ – Statement von Erzbischof Franz Lackner im Wortlaut
„Kunstdinge sind ja immer Ergebnisse des In-Gefahr-gewesen-Seins“, schrieb Rainer Maria Rilke. Die ganze Welt war in Gefahr, als der Erste Weltkrieg wütete; Europa war in Gefahr, als aufgeteilt und zerteilt wurde; unser Land war in Gefahr, als die Monarchie zerbrach und Neues sich erst konstituieren musste. Das ist die geschichtlich-geografische Herkunft der Salzburger Festspiele – ein Kunstding von Weltrang. Auch die Welt von heute ist in Gefahr, vieles bedrängt und bedroht uns. Soziologen raten in Anbetracht der mannigfaltigen Herausforderungen und Bedrohungen zu einer neuen und vertieften Nachdenklichkeit. Seit nunmehr 100 Jahren wird vor dem Domplatz der Jedermann, das Sterben des reichen Mannes, aufgeführt. Bei der Erstaufführung im Jahre 1920 wurde am Schluss, nachdem die Tragödie doch zu einem guten Ende gekommen ist, nicht geklatscht. Es herrschte eine Atmosphäre der Betroffenheit und Nachdenklichkeit. Seit jeher waren die Festspiele mit ihren Bühnen Orte des Nachdenkens, der Reflexion und der Selbstbesinnung. Sie haben sich dem Anliegen verschrieben, das – noch einmal mit Rilke gesprochen – lauten könnte: „Lebe die Frage!“ Auch angesichts der aktuellen Krisen in der Welt fragen die Salzburger Festspiele ihr Publikum an, fordern es heraus und leisten zugleich einen Beitrag zur Versöhnung zwischen Menschen verschiedener Herkunft, Orientierung und Glauben.
„In kaum einer anderen Stadt ist die Symbiose von Kirche und Kunst so sichtbar“ – Statement von Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler im Wortlaut
In kaum einer anderen Stadt ist die Symbiose von Kirche und Kunst so sichtbar wie in Salzburg, wo die prächtigen barocken Kirchenbauten das Stadtbild prägen und als stumme Zeugen an die längst verloschene weltliche Macht der Salzburger Kirchenfürsten erinnern. Auch bei der Gründung der Salzburger Festspiele war der Einfluss katholischen Gedankenguts zu spüren. „Das Festliche, Feiertägliche, Einmalige, das alle Kunst hat und das auch das Theater zur Zeit der Antike hatte und auch zur Zeit, da es noch in der Wiege der katholischen Kirche lag“, so Max Reinhardt, „das muss dem Theater wiedergegeben werden.“ Die Kirche, insbesondere die katholische, war für ihn die wahre Wiege des modernen Theaters: „Wie ein Stück in unsrer Zeit lebendig gemacht wird, das ist für uns entscheidend. Die katholische Kirche, deren Ziele die höchsten, die geistlichsten, die übernatürlichsten sind, verfolgt diese Ziele mit Mitteln, die sich direkt an unsere Sinne wenden.“ Ohne die tatkräftige Unterstützung von Erzbischof Dr. Ignatius Rieder wäre am 22. August 1920 der „Jedermann“ auf dem Domplatz nie in Szene gegangen. In Ermangelung eines geeigneten Werkes und eines eigenen Festspielhauses, dessen Errichtung durch die galoppierende Inflation in weite Ferne gerückt war, setzte Max Reinhardt kurz entschlossen Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ auf den Spielplan. Uraufgeführt hatte er ihn bereits 1911 im Berliner Zirkus Schumann, aber zum großen Erfolg wurde er erst vor dem Salzburger Dom.
Der kunstsinnige und aufgeschlossene Erzbischof Rieder, dem „ein guter Jude wie Reinhardt lieber ist, als ein schlechter Christ“, erteilte die Genehmigung und erlaubte Reinhardt zudem, die Domorgel und das Glockengeläut für die Aufführung zu nützen. So wurde tatsächlich, im Sinne Reinhardts, die ganze Stadt zur Bühne. Auch Hofmannsthals Calderón-Adaption „Das Salzburger große Welttheater“ präsentierten die Festspiele im kirchlichen Ambiente. Hofmannsthal sah in der Kollegienkirche den idealen Ort für sein Mysterienspiel und versprach im Gegenzug dafür, gleichzeitig die Reparaturarbeiten in Auftrag zu geben. Max Reinhardt verzichtete auf sein Honorar, Hugo von Hofmannsthal widmete seine Tantiemen je zur Hälfte der Renovierung der Kollegienkirche und der Festspielhausgemeinde, sodass die Kirchenerneuerung zu je einem Drittel aus Hofmannsthals Tantiemen, Mitteln der Festspielhausgemeinde und aus staatlichen Geldern finanziert wurde. Eine schöne Tradition, die wir mit Benefizaktionen für unsere kirchlichen Spielstätten Dom, Kollegienkirche und St. Peter fortgeführt haben.
Salzburger Barockkirchen als Aufführungsorte der Festspiele
Ausdruck der Verbundenheit von Kirche und Kunst ist die Nutzung sakraler Räume als Aufführungsorte. Neben dem Dom sind die Kollegienkirche und die Stiftskirche St. Peter sakrale Spielstätten. Die Kollegienkirche am Universitätsplatz ist bis heute Spielstätte der Salzburger Festspiele. 1922 wurde hier „Das Salzburger große Welttheater“ von Hugo von Hofmannsthal aufgeführt. Seit 2007 stellt die Kollegienkirche die zentrale Spielstätte der Reihe „Kontinente“ dar. Diese Reihe war jeweils einem namhaften Komponisten der Gegenwart gewidmet. Als Intendant Alexander Pereira 2012 die Ouverture spirituelle ins Leben rief, eine dem Dialog der Religionen gewidmete Konzertreihe der Sakralmusik am Beginn der Festspiele, wurde die Kollegienkirche erneut zur bedeutenden Spielstätte. In St. Peter findet seit 1950 alljährlich die c-Moll-Messe von Wolfgang A. Mozart statt.
Coronabedingt beginnen die Salzburger Festspiele in diesem Jahr mit 1. August statt bereits im Juli. Der „Jedermann“ darf beim 100-Jahr-Jubiläum jedenfalls nicht fehlen. In der Kollegienkirche gibt es „Fragmente – Stille“. Unter Bezugnahme auf Luigi Nono wird dort eine kleine, aber feine Reihe unter dem Titel „Fragmente – Stille“ realisiert, die die Salzburger Festspiele mit Ensembles und Künstlern geplant haben, deren ursprüngliche Projekte aufgrund der Vorgaben und Einschränkungen diesen Sommer modifiziert oder abgesagt werden mussten. Den Auftakt machen Emilio Pomàrico und das Klangforum Wien mit „in vain“ von Georg Friedrich Haas. In der Stiftskirche St. Peter gibt es heuer keine Aufführungen.