Katholischer Theologe betont großen Stellenwert Jüdischer Studien

SALZBURG (eds) / Jüdische Themen prägen das Leben in Europa, einst und jetzt. Es gelte, dieses Bewusstsein zu stärken, betonte Susanne Plietzsch, Leiterin des Zentrums für Jüdische Kulturgeschichte (ZJK) der Universität Salzburg, anlässlich dessen 20-jährigen Bestehens. „Jüdische Themen sind in der Geschichte Europas präsent, aber auch im gegenwärtigen kulturellen, religiösen, politischen, wirtschaftlichen Leben.“ Ein Studientag zum Jubiläum legte unlängst den Fokus auf „Jüdische Studien. Impulse für die Kulturgeschichte“. ZJK-Gründer Gerhard Langer, katholischer Theologe und Professor am Institut für Judaistik der Universität Wien, betonte im Festvortrag den großen Stellenwert Jüdischer Studien für Wissenschaft und Gesellschaft. Er zeigte sich fasziniert vom Ansatz der jüdischen „konstruktiven“ Theologie.
Die Arbeit des ZJK würdigten in ihren Grußworten unter anderem die Salzburger Vizerektorin und Professorin für Alttestamentliche Bibelwissenschaft Kristin De Troyer, Matthias Heinz, Dekan der Salzburger Kulturwissenschaftlichen Fakultät, und Antonio Martino, Leiter der Abteilung Förderung österreichisch-jüdisches Kulturerbe und Antisemitismusbekämpfung im Bundeskanzleramt.
Für die jüdische Themenvielfalt wünscht sich Plietzsch, dass sie in Zukunft noch mehr Raum in Bereichen der Kultur und der Theologie bekommen als bisher. Platz für konstruktive Gespräche und Diskussionen ermögliche neue Denkansätze, neue Projekte und neue Facetten in Wissenschaft und Gesellschaft. Aus ihrer Sicht gibt es zwei Gründe, weshalb Forschung und Lehre zu jüdischer Geschichte, Kultur und Religion innerhalb der Geistes- und Kulturwissenschaften brisant und relevant ist, „warum jüdische Studien Staub aufwirbeln“: Erstens bewirken sie „eine neue Sicht kulturwissenschaftlicher Themenfelder“. Zweitens, Jüdische Studien stellen die Frage nach der europäischen Geschichte der Verfolgung von Jüdinnen und Juden, aber auch „nach der europäischen Geschichte des Ignorierens jüdischer Kulturen sowie die Frage nach der Geschichte der Relativierung der Verfolgung. Der Mut, diese Fragen zu stellen und die dunklen Seiten europäischer Geschichte anzusehen, ruft humanistische Werte auf, die als universalistisch zu bezeichnen sind. Autoritäten, Hierarchien und Ideale zu hinterfragen und ihnen mit Kreativität zu begegnen sehe ich als die wichtigste Funktion Jüdischer Studien an“, betonte sie.
Mitten in der lebendigen Gesellschaft
Gerhard Langer ist gebürtiger Salzburger, ehemaliger ao. Prof. für Altes Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Salzburg und ZJK-Gründer, der heute neben seiner Tätigkeit in Wien noch immer wissenschaftlicher Beirat des ZJK ist. Für ihn sind Jüdische Studien „weder wertneutral noch politisch beliebig, sie stehen mitten in der Gesellschaft und haben eine Aufgabe, eine Mission. Diese Mission wird oft als third Mission bezeichnet“, als Verbindung zur Gesellschaft, zu dem, was reales Leben bedeutet. „In diesem Sinne hoffe ich, dass Jüdische Studien niemals aufhören, lebensbezogene Studien zu sein. Denn es sind nicht die toten Juden, die wir allein erinnern wollen, es ist das lebendige Judentum, das es zu fördern und zu unterstützen gilt“, betonte er in seinem Vortrag unter dem Titel: „Jüdische Studien im Konzert der Wissenschaften und ihr Auftrag in Gegenwart und Zukunft“. Ähnliche Erfahrungen über fehlenden Umgang mit dem lebendigen Judentum, der aktuellen Situation, berichte seine Lebenspartnerin Esther Heiss, Direktorin des Österreichischen Jüdischen Museums in Eisenstadt. Angesichts einer „enorm schwierigen gesellschaftspolitischen Situation“ gelte es, das Judentum ins Gespräch zu bringen und mit Jüdinnen und Juden zu reden. Gleichzeitig sei die Bedeutung Jüdischer Studien nur mit einem Blick in die Geschichte verständlich. Das Projekt Wissenschaft des Judentums sei von Beginn an eines „von Juden für Juden“ gewesen, auch die Gründung von Fakultäten im universitären Bereich. Längerfristig habe das Judentum an akademischen Institutionen vor allem in Israel, in den USA und in Deutschland eine bedeutende Rolle gespielt. In späteren Generationen lieferte „das Fundament der Forschung“ die Basis für den „Aufbau einer Nation im eigenen Staat“, erzählte Langer aus den Beiträgen von Shmuel Feiner. Die Forschung sei hier nie wertfrei, ohne Idee oder sogar Ideologie gewesen, fügte Langer hinzu. In Israel benannte er die Gründung einer Hebräischen Universität als einen „Meilenstein, dem viele andere folgten“.
Im 21. Jahrhundert stelle sich die Judaistik „einer breiten und umfassenden Betrachtung des Judentums“, stellte Langer mit Bezug auf Europa fest. Dabei werde Judaistik seit längerem mehrheitlich an den Geisteswissenschaften unterrichtet. Nach dem 7. Oktober 2023, der als Zäsur in der modernen Geschichte des Judentums gilt, ortet Langer einen „dramatischen“ Rückgang des Stellenwertes jüdischer und israelbezogener Lehrveranstaltungen in der weiteren Welt der Geisteswissenschaften, da der „Antizionismus“ in der gesamten Hochschulbildung Einzug halte. Das sei auch anhand erscheinender Bücher jüdischer Akademiker in Studiengängen für Jüdische Studien an namhaften Universitäten erkennbar.
Kultur und/oder Religion
Langer sprach zudem über den kulturgeschichtlichen Zugang von David Biale, von dem auch das Salzburger ZJK beeinflusst sei. Diese Entscheidung für die Kulturgeschichte bedeute ein Bestreben, sämtliche Tätigkeiten der Jüdinnen und Juden und ihre Auffassung von diesem Tun vorwiegend anhand ihres literarischen und künstlerischen Wirkens zu beleuchten. Dieser kulturelle Ansatz habe gegenüber dem religiösen oder nationalen auch den Vorzug, dass sich mit ihm leichter ein jüdischer Pluralismus konstatieren lasse und man darüber hinaus die Mitwirkung von Juden an der zeitgenössischen Kultur ihres Wohnorts untersuchen könne.
In Salzburg und Wien war es laut Langer eine bewusste Entscheidung für einen methodisch und inhaltlich breiten, interdisziplinären Zugang zu den Jüdischen Studien. „Nicht immer ist diese Interdisziplinarität reibungsfrei, oft werden Trends spät übernommen oder es besteht Misstrauen gegen gewisse Tendenzen“, erzählte der Theologe. „In jedem Fall sind die Jüdischen Studien quellenorientiert“, wobei Langer mit den „Digital Humanities“ eine neue wichtige Herausforderung und zugleich eine neue Chance ortet.
Jüdische „konstruktive“ Theologie
Abschließend erzählte Langer von Denkweisen einer jüdischen „konstruktiven“ Theologie, für ihn ein „faszinierender Ansatz“, der versucht, Theologie im jüdischen Kontext neu zu denken und sich dabei klar von christlichen Theologien abzusetzen. Die Entwicklung nahm ihren Ausgang von Tendenzen, die seit den 1950er-Jahren in den USA entstanden und unter Einfluss auch europäischer Denker. Michael Fishbane gilt heute als ihr wichtigster Vertreter. Sein Buch „Sacred Attunement. A Jewish Theology“ ist 2023 als „Einstimmung auf das Heilige. Eine jüdische Theologie“ auf Deutsch erschienen. Für Langer ist es, „getragen von Weisheit aus Bibel, rabbinischer Tradition und Mystik, ein wichtiger Meilenstein im Verständnis einer Theologie, in der das Unendliche und das Irdische, Schrift und alltägliche Realität intensiv miteinander verwoben werden. Das Buch ist in einer fast poetischen Sprache geschrieben.“ Langers Resümee: „Fishbane könnte durchaus ein Vorbild sein für eine Judaistik, die sich stärker der religiösen Wurzeln besinnt.“ Für ihn bedeute das keine Abkehr von einer Judaistik mit Aufklärung. „Die Judaistik kann und soll ein Hort für jüdische Studierende sein, in einem geschützten Rahmen ihre eigenen Traditionen kennenzulernen und diskutieren zu können.“
Jüdische Studien in Salzburg
Das Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte (ZJK) ist eine interdisziplinäre Einrichtung der Paris Lodron Universität Salzburg. Am 17. November 2004 erfolgte die Festveranstaltung anlässlich der Einrichtung des Zentrums nach einer Idee von Gerhard Langer, mitgestaltet vom damaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde in Salzburg, Hofrat Marko Feingold, und unter dem damaligen Rektor Professor Heinrich Schmidinger. Einer kulturwissenschaftlichen Methode verpflichtet, sind die jüdische Geschichte, Kultur, Literatur und Religion Inhalte. Wichtige Forschungsgebiete sind etwa die rabbinische Literatur, die jiddische Literatur sowie das Thema der Erinnerungspolitik. Im Fokus der Forschung stehen zudem Ausdrucksformen jüdischer Identitäten, die Erfahrung von Zugehörigkeit und Fremdheit, das Zusammenleben von Kulturen, Minderheiten und Mehrheiten, die Herausforderungen der Migration und der umfassende kulturelle Austausch. Finanzielle Unterstützung bekam das Zentrum unter anderem vom amerikanischen Wahlsalzburger mit jüdischen Wurzeln, Donald Kahn (1925-2013).
Als eines der angesehensten Projekte des Zentrums gilt die „Austrian Heritage Collection“: Als Professor Albert Lichtblau, früher stellvertretender Leiter des ZJK, in den 1990er-Jahren für drei Monate nach New York ging, nahm er sich vor, ehemalige Österreicherinnen und Österreicher zu ihrer Migrationsgeschichte in die USA dokumentierend zu befragen. „Nach den ersten Besuchen wurde ich quasi von einer Person zur nächsten weitergereicht“, zitierte die Universität Salzburg den Zeithistoriker in einer Aussendung anlässlich des 20-Jahre-ZJK-Grünungsjubiläums. Als er 1992 nach Österreich zurückkam, stieß er das Projekt „Austrian Heritage Collection“ an. Mitstreiter waren der Verein Gedenkdienst, der Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, das Austrian Cultural Forums New York sowie das ebenfalls dort beheimatete Leo Bäck Institut LBI, wo die „Austrian Heritage Collection“ ihren Sitz hat. Die Interviews gelten als die umfassendste Sammlung zum Thema jüdische Emigration aus Österreich in den Vereinigten Staaten. Unter dem Motto „Wir interessieren uns für Ihre Geschichte“ wurden seither knapp 850 Interviews von Freiwilligen des Vereins Gedenkdienst produziert.
Das ZJK ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für Jüdische Studien in Österreich (AGJÖ), einem seit 2008 bestehenden informellen Zusammenschluss der universitären und außeruniversitären Institutionen, welche sich mit der Erforschung, Publikation und Lehre jüdischer Geschichte und Kultur beschäftigen. Mitglieder der AGJÖ sind neben uns das Institut für Judaistik der Universität Wien, das Institut für jüdische Geschichte Österreichs (INJOEST) und das Centrum für jüdische Studien der Karl-Franzens-Universität Graz (CJS).
(Infos: www.plus.ac.at/zentrum-fuer-juedische-kulturgeschichte und Interviews: www.lbi.org/de/collections/austrian-heritage-collection)
Foto v.l.n.r.: Gerhard Langer, Louise Hecht, Susanne Plietzsch, Gerald Lamprecht, Clemens Peck bei der Podiumsdiskussion „Jüdische Studien in Österreich“ am Studientag im Europasaal der Salzburger Edmundsburg. Foto: © Melanie Litta